Es war ein Frühlingstag des noch frischen Jahres, an dem Adrian seinen Boten Keiran mit einem Paket und Portalgeld nach Löwenstein entließ und dann noch einige Momente an der offenen Pforte stand und mit einem Blick, der nicht recht amüsiert, nicht recht zufrieden aussah, über den Platz hinaus sah. Als er gerade die Tür wieder schließen wollte, kamen Helena und Nikolaj die rechtsanliegenden Stufen hinauf und beeilten sich, den Spalt noch zu erwischen, bevor ihnen das Anwesen vor erhobener Nase versperrt wurde. Dabei war es nicht Kolja sondern viel eher Helena, die ihren Schritt beschleunigte und, damit sie ihn nicht verlor, mit einer Hand einen Kapotthut mit cremefarbenen, ungebundenen Seidenbändern auf dem Kopf festhielt. Sowie sie aber das Haus betreten hatte, Nikolaj kam gemütlicher hinter ihr her, riss sie den Damenhut in die Luft und warf ihn in ein Eck.
„Ich kann den Nordenholz nicht leiden“, verkündete sie groß, mit majestätischer Drehung und einem dreimaligen Zucken, das ihre Nasenflügel erschütterte. „Können wir nicht unseren Safran anderswoher beziehen?“
Adrian hatte sich ihren Auftritt angesehen und hinter ihr und ihrem ein-Mann-Gefolge doch noch die Tür ins Schloss gezogen.
„Nordenholz ist der König der Krokusse“, entgegnete er und hatte für ihre Beschwerde ein müdes Lächeln übrig, das zu beiläufig war, um von Helena, die ganz damit beschäftigt war, ihre Locken zu richten, wahrgenommen zu werden. „Apropos, wie geht es ihm? Hat er Probleme gemacht?“
„Das fragst du besser Kolja. Ich habe keine Lust, noch eine Sekunde länger von diesem Menschen zu reden, geschweige denn an ihn zu denken.“
So musste Kolja, der noch in der Diele stand, sich jetzt Adrians fragendem Blick aussetzen. Er stand gemütlich in seinem sauberen Wams und hob, ehe er sprach, die Schultern.
„Er hat ab und zu n bisschen komisch geschaut. Aber nichts, wo ich dazwischengehen müsste.“
„Er ist ein Lustmolch, das weiß jeder“, hielt es Helena aus dem Hintergrund plötzlich für nötig, ihre Meinung kundzutun. Sie war schon in der Küche und schenkte Limonade ein, die sie mit reichlich Rum versetzte.
„Er hat eigentlich nur schief geschaut, als es ums Geld ging“, sagte Kolja.
Da verstand Adrian und ein wissendes Schmunzeln, ein Ausdruck liebevollen, rasiermesserscharfen Hohns und rastloser Findigkeit zog über sein Gesicht, spielte sich gegen Helena aus und blieb doch ihrem Blick verborgen, da es nur eben die zwei Sekunden währte, die es ihn kostete, das Thema zu wechseln.
„Übrigens habe ich einige kleine Melandrustatuen bei Veruca in Auftrag gegeben. Die kannst du dir dann in den Garten stellen. Du wolltest doch eine Dekoration.“
„Hast du schon eine Entscheidung über das Mädchen im Keller getroffen?“
„Nein, noch nicht.“ Zuerst war Adrian überrascht, wie schnell auch seine Cousine das Thema zu wechseln vermochte, wo er sich doch mehr Regung erhofft hatte als das bloße Übergehen seiner Worte. „Ich bin noch unentschlossen.“
„Ich kann mich um sie kümmern“, bot Nikolaj an. Mehr sagte er nicht, mehr war auch nicht nötig. Es gab keinen im Raum, der nicht wusste, was das bedeutete.
„Wenn du vorhast, sie an Nicolae zu übergeben, tätest du ihr einen Gefallen, sie vorher Kolja zu überlassen“, sprach Helena und obwohl sie es leicht sagte, mit einem beiläufigen Deut des Limonade-und-Rumbechers ihm entgegen, zog er sich einen ärgerlichen Schritt in den Hintergrund zurück.
„Ich lasse es euch wissen, wenn ich ein Urteil gefällt habe. Die Sache ist lästig genug. Das Mädchen spricht, als rezitiere sie aus einem Buch über Defätismus und Elegie.“
Nikolajs Miene blieb bei diesen Worten ungerührt. Dies war nicht so, weil er per se ein herzenskalter Mensch war, er verstand nur nicht, welche Begriffe sein Vetter gebrauchte oder viel eher verstand er die Begriffe nicht.
„Wärest du wohl bei bester Laune, säßest du in einem dunklen Kellerloch mit einem Hutzelmann zu deiner Bewachung?“, fragte Helena, die den Becher jetzt zu Adrian gebracht hatte und ihn ihm reichte.
„Mach dich nicht lächerlich, sie und mich zu vergleichen.“
„Und das Kind? Der Dreijährige? Was machen wir mit ihm? Er scheint sich als Pfand bei uns sesshaft machen zu wollen.“
„Welcher Dreijährige?“ Während Adrian den Becher leertrank, nutzte Kolja die Gunst der Stunde aus ganz berechtigtem Antrieb heraus nachzufragen.
Mit liebenswürdiger Grobheit winkte der Trinkende seiner gen ab, doch entschied er sich um, als er mit gestrecktem Zeigefinger erst auf Helena und dann auf den Fragenden deutete.
„Ein Schuldner konnte nicht bezahlen“, erklärte sie daraufhin. „Er hat dann seinen Sohn gebracht und ihn als Pfand bei uns gelassen. Es konnte ja keiner ahnen, dass dieses Geschmeiß sich daraufhin in dünne Luft auflöst und uns mit seinem Jungen sitzen lässt.“
„Echt jetzt?“
„Echt jetzt“, vertiefte sie mit strengem Nachdruck, der halb Nikolaj und halb dem beschriebenen Umstand galt.
Koljas Blick flog Adrian nach, der schon Besseres zu tun hatte, den leeren Becher abstellte und sich dem Flur zuwandte. „Ich hab Veruca geschrieben. Sehen wir mal.“ Damit war er fort.
„Er hat das Kind von sich aus bei uns gelassen.“ Nach einigen Momenten, in denen sie mit gestrecktem Kreuz und zurückgezogenen Schultern kultiviert in der Küche gestanden hatte, löste sich Helena und ging, um ihren Hut aufzuheben. „Demnach ist uns kein Unrecht nachzuweisen. Trotzdem nützt uns der Junge nichts, es sei denn, wir verkaufen ihn. Aber den Göttern sei's gedankt ist Adrian noch nicht Nicolae.“
„Hm. Ja.“
„Mein Rücken juckt in dem Kleid. Soll ich mich umziehen? Wir könnten mit den Dolchen üben?“
Helenas Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben, als Kolja einwand: „Ich hab noch was zu tun. Ich muss was für die Weißenstein besorgen. Die Ziege, nicht die Fette.“
„Ach.“ Seine Erklärung enthielt doch einen interessanten Teil, den zu analysieren ihr spitzfindiger Blick sofort im Inbegriff war. „Hat Adya dir das aufgetragen?“
„Hfff. Von mir aus würd ich es garantiert nicht machen.“
„Hat er dir auch schon verkündet, wie hübsch das Fräulein Weißenstein doch sei?“
„Die? Bei der stimmt doch was nicht.“
„Er hat es aber erzählt. Ich hoffe, er beherscht sich wenigstens vor Elizabeth mit solchen Aussprüchen. Sensibel seid ihr ja alle nicht. Der eine noch weniger als der andere.“
„Es kann ja nicht jeder so eine Einfühlsamkeit haben wie du, Leni“, setzte Kolja seiner Cousine mit dem gewinnenden Lächeln entgegen, mit dem man einem Menschen einen Spiegel vorhielt. Nur hielt er in seinen Händen keinen Spiegel, sondern neuerdings einen Apfel, den er sich aus einer blauen Keramikschale in der Nähe des Küchentisches geholt hatte.
„Dennoch war es nicht das Fräulein Weißenstein, mit der ich ihn neulich abends gesehen habe.“
„Wer denn dann? Charr-lotte?“
„Wie bitte?“
„Nichts. Ein Scherz unter Kerlen.“
„Charr-lotte?“
Es empfahl sich für Kolja, wollte er seinen Apfel zurückhaben, Helena eine Antwort zu geben, denn sie hatte sich ihm in wenigen Schritten angenähert und mit einem flinken Zug dessen beraubt. Jetzt stand sie vor ihm und reckte ihm die gläserne Nase entgegen, die Brust stolz geschwollen ging sie ihm bis zum Kinn. Obwohl er nach links linsend mit dem Gedanken spielte, einfach einen neuen Apfel aus der Schale zu nehmen, fügte er sich letztlich dem gestreng prüfenden Blick, der lauernd auf ihn gerichtet stand.
„Charlotte von Dingensda.“
„Charlotte von Singen? Ihr nennt sie Charr-lotte?“
„Kommt nicht von mir. Ich kenn die gar nicht! Sie war halt mal da und wollte Adrian sehen.“
„Der eine noch weniger als der andere!“, wiederholte Helena mit jugendlicher Inbrunst, dann drückte sie Nikolaj schleunigst den Apfel gegen die Brust und drehte sich, damit er nicht mitbekam, wie ihr Lächeln sie einholte. „Dann erledige mal deine Aufgaben, Kolaj.“
Sie sprach seinen Namen manchmal gern falsch aus, bediente sich dafür eines neckischen Tones und einer Referenz, die auch er verstand.
„Übrigens wird er Ehrenmann.“
„Ich weiß. Hat Adrian mir schon erzählt.“ Kolja warf den Apfel und fing ihn in der Luft wieder auf. Er schien zufrieden.
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