Ruhelos strich der Blick durch den großen Wohnraum, der alles an seiner wohligen Heimeligkeit verloren hatte. Hier und jetzt, fühlte sich das Gemäuer das ihr Heim und Nest sein sollte, kalt und leer an. All das, obwohl er optisch eine wahre Reizflut der häuslichen Wärme und des Lebens versprach.
Warme Töne an den Wänden, behangen von Bildern und angepinnten Bildern eines Kindes, dass nicht einmal einen runden Kreis aufs Papier brachte, aber dafür die ganze Farbpalette seiner Wachsmaler ausgereizt hatte. Der einfache Betrachter mochte nicht mal im Ansatz erkennen, was die krakeligen Linien darstellen sollten, doch Vera wusste sie noch alle. Der blaue Köter, der eher wie ein angenagtes Würstchen auf einem grün gezackten Rasen anmutete- Tommy hatte hier versucht Paco zu malen und das einzige was wirklich an den Haushund erinnerte, war die Ahnung eines umgeknickten und viel zu großen Ohres.
Dann war da das Bild mit den drei unförmigen Klötzchen. Die Linien waren ungerade, völlig schief und hatten dürre Ärmchen mit je nur drei Fingern, als hätte man ihnen verkrüppelte Reisigbesen in den Leib gestopft. Ein Klötzchen hatte eine gelbe Kringelei auf dem Kopf, der daneben ein Nest aus schwarzen Strichen und der daneben, trug braune Striche über und in sich. Später hatte Tommy noch ein Miniklötzchen in dem ersten gemalt und stolz verkündet, Viorel nicht vergessen zu haben.
~Du wirst dich mit dem Gedanken abfinden müssen, dass Tommy bald nicht mehr da ist.~ Abermals rannen die Tränen, kaum das der Blick auf den Brief in der Hand fiel, der zerknittert und aufgeweicht von den Tränen der letzten Stunden, von den Fingern krampfhaft umschlossen wurde. Die Augen brannten, waren aufgequollen und gerötet, doch an ein Ende der Tränen war doch nicht zu denken. Nicht, wo sie so lange ungeweint blieben. Erst ihr Wolf, nun das.
Es hatte nicht geholfen, dass steinerne Bildnis seiner Person zu zertrümmern, noch das Halsband in einen Karton zu verbannen, auf das unangenehme Leere am Hals zurück blieb.
Der Verlust blieb der gleiche und nun beraubte man sie noch eines Stückes ihrer kleinen Familie, nahm ihr eines der Kinder.
Insgeheim wünschte sie sich, diese Frau würde krepieren. Einem Beutelschneider mit nervösen Nerven zum Opfer fallen, oder einfach von irgendwem, irgendwo fernab ihres Heimes, erschossem werden. Dann könnte Tommy bei ihr bleiben, ein Stück ihrer langsam brechenden, scheinheiligen Welt wahren, die längst einen tiefen Riss aufwies. Der Verstand wusste unlängst, dass das Gebilde bald einstürzen würde, doch die verdammte Hoffnung auf ein glückliches Ende, hatte es noch nicht begriffen und klammerte sich an ihre letzten Atemzüge.
Einige Momente dauerte es, bis Veruca sich wieder soweit in Griff hatte, dass die Tränen für den Augenblick nicht mehr flossen und der überreizten Haut der Wangen, Gnade gewährte. Um Fassung bemüht, wischte sie grob mit den Handballen drüber, noch einmal mit den Handrücken und den Gelenken. Zwar war die Nässe damit fort gewischt, doch die verräterische Röte der Augenlider blieb.
Die Eitelkeit und Notwendigkeit zur Heimlichkeit, trieb ihre Gestalt ins Bad, wo die Zeugen ihres Ausbruchs, aus den schmalen Zügen verbannt werden sollten. Zuerst war es nur kaltes Wasser das sie sich ins Gesicht spritzte, dann rubbelte sie barsch mit dem Handtuch hindurch und schickte dem eigenen, völlig erschöpften Spiegelbild einen müden Blick entgegen. Erst einen tiefen Atemzug später, sich wappnend für den Rest des Tages, zog die das Schminktäschchen näher und begann die Röte weg zu pudern. Was feinste Partikel ihres Hauttones nicht schafften, vertrieb der dunkle Kohlestift, der die Lider mit dünnen, schwarzen Strichen schmückte.
Noch im Bad beschäftigt, hörte sie die Eingangstür ins Schloss fallen. Fio und Tommy waren vom Einkauf zurück gekommen und hatten reiche Beute gemacht, wie die Siegesstimme des kleinen Jungen verriet und das Gepolter in der Küche.
"Lachen Mädchen..." gemahnte Vera sich selbst und bedachte ihr Spiegelbild mit grimmigen Blick, weil das Lächeln nicht seine gequälte Note verlieren wollte.
Unten rief man schon nach ihr, doch sie rang weiter mit ihrem Grinsen, bis es wenigstens im Ansatz zufriedenstellend war. Der Brief- der verschwand zusammen gefaltet in der Hosentasche, während sie nach unten trat.
Kaum die Meute von Sylvari, Kindern und Hund erblickt, breitete sie auch schon einladend die Arme aus.
"Na sieh an, ihr habt ja den ganzen Hafen leer gekauft!"
Und Vera lächelte, wie sie es immer tat. Lachte, damit es die anderen taten, obwohl ihr doch nach Mord zumute war.~
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