“Im Ernst jetzt, Sophie?” stöhnt Lucas, der mit dem Mehrgewicht ein bisschen zu tun hat, aber tapfer weiter an dem Seil zieht, welches mit dem Schlitten verbunden ist. Eigentlich saßen dort Hannah und Lulu, aber die Toben gerade vor Lucas her und bewerfen ihn mit Schneekugeln. “Weiter machen, mehr Schnee Mädels!” ruft sie herüber und lacht dann herzlich auf, wobei sie fast einmal nach hinten kippt und so beinahe vom Schlitten, als Lucas Ruck ein bisschen unsanfter wird.
“Luki is’ böse!” trällert Lulu vergnügt und er bekommt einen weiteren Schneeball von ihr ab, wobei die Vierjährige dabei gluckst und sich des Lebens freut. Hannah läuft ein großes Stück vor und sammelt mehr Schnee aus einem Eck auf. Lucas schwant Böses, er lässt das Seil fallen und läuft lachend zu ihr herüber, wobei er das kleine Mädchen vom Boden hochhebt und ein paar Mal über Kopf in die Luft hält. Sie quietscht und schreit vergnügt auf. “Ich tunke dich Kopfüber in den Schnee, Hanni!” droht er ihr lachend, kurz darauf bekommt er den Schnee ins Gesicht gestiept, den sie mühsam gehalten bekommen hat.
“Lulu komm, wir sind dran!” ruft Sophie dann verschwörerisch, schnappt sich die Kleine sobald sie Schnee in den Händen hat und bringt sie auf Höhe, so das sie Lucas leicht einseifen kann. Was sie auch tut. Das Lachen bricht mit der sonstigen Stille, die der Friedhof und auch der Schrein des Grenth mit sich bringen. Aber je näher sie kommen, desto ruhiger wird die Prozession.
Es sind nicht nur Lucas und Sophie, wie auch Hannah und Lulu auf dem Weg dorthin, sondern auch die Mutter der beiden Älteren, die Großeltern der Kleinen und zwei Männer die schrecklich viel Ähnlichkeit mit Lucas Vater haben und gewiss auch verwandt sind. Es hat bereits gedämmert, entsprechend sind die Straßen durch die Laternen beleuchtet, einzeln wandern Laternenträger umher und auch die Familie hat Kerzen dabei, allerdings aus anderem Grund.
“Gut festhalten ihr Beiden!” meint Sophie dann, als sie das Seil abgenommen hat, inzwischen sitzen die Mädchen wieder eingekuschelt auf dem Schlitten und gegen die Lehne gelehnt, welche extra für die kleinen und auch müden Mädchen angebracht wurde. Einige Zeit haben sie getobt, jetzt ist die Luft raus. Sophie zieht den Schlitten über den Schnee und führt so den kleinen Trupp an, welcher erst auf dem Friedhof langsamer wird, wo eingemauert die Überreste des Vaters liegen und eine in Stein eingemeißelte Inschrift daran erinnert, wer er war.
Nach und nach stellen sie die Kerzen vor dem Grab ab und nachdem Sophie ihre abgestellt hat, schmiegt sie sich in die Arme ihre Mutter, welche einen Kuss bekommt. Dann beobachten sie die Brüder, das ältere Paar und zuletzt Lucas, der ebenfalls eine Kerze zwischen die Übrigen auf den Boden stellt. Man sieht an seinem Stirnrunzeln sehr wohl, das er einen kleinen Dialog führt, jener endet aber als der Arzt sich erhebt und zu Mutter und Schwester tritt, um beide zu umarmen und mit einem Kuss auf die Häupter zu begrüßen.
Die Stille trägt Nachdenklichkeit, es ist Wintertag und das erste Fest ohne diesen geliebten Menschen. Es werden andere dazu kommen, aber zu keiner anderen Zeit werden sie sich wieder so geborgen und vereint fühlen, wie es gerade der Fall ist.
Einen Luftkuss lässt Sophie in Richtung Grabstätte fliegen, sie haben einige Minuten hier in Schweigen ausgeharrt, vielleicht ein Gebet gesprochen oder Zwiespalt gehalten. Nun wenden sie sich aber wieder ab um heimzukehren. Lucas zieht den Schlitten, während Sophie bei ihrer Mutter geht und jene eingehakt bei ihr den Rückweg antritt. Sie sprechen über den Vater, den Ehemann, den Bruder, den Sohn - natürlich kommen Tränen auf, aber sie lächeln auch gemeinsam, lachen zusammen und erzählen sich Geschichten.
Es hält Nahe was verloren geglaubt ist, es wärmt und es erlaubt auch einen Blick nach vorne.
(In Gedenken..)
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