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Leise plätscherte das schmutzstarrende Wasser der Götterfelser Kanalisation an ihnen vorüber. Der Inquisitor polierte sein Monokel, während er wartete. Und den Gestank ausblendete. Ihn beschlich unlängst der Eindruck, dass seine Arbeit ihn immer wieder zurück an die Kloake menschlichen Schaffens führte. Ein Mann musste seine Opfer bringen, um dem Weißen Mantel zu dienen. Die alte Schmugglernische am Rande der Abwasserkanäle, tief unter den Straßen der Stadt, war durch ein verrostetes Eisengitter und einen kleinen Seitengang mit dem Haupttunnel verbunden. Wasser tropfte stellenweise von der moos- und pilzbehangenen Decke, degeneriertes Ungeziefer wuselte in den Ritzen umher, und nur zwei entfachte Fackeln in beinahe völlig korrodierten Wandhalterungen waren die einzige Quelle spärlichen, flackernden Lichtes. Ebenfalls ein Merkmal, das seine Arbeit letzthin auf lästige Weise zu prägen schien. Mit gekräuseltem Nasenrücken hielt Godfrey sein strahlend sauberes Monokel in Richtung der Flammen, prüfte mit zusammengekniffenen Augen die Linse und setzte es schließlich wieder auf. Billy und Frank flankierten den Durchgang zum Abwasserkanal, und gerade in diesem Moment räusperte sich Frank leicht, um verdeutlichend an Godfrey vorbei zu nicken.
Der Inquisitor wandte den Kopf wieder nach vorn und stellte fest, dass sein Gast zu erwachen begann. Sie saßen beide in ekelhaft gleichgestellter Manier auf morschen alten Holzstühlen, ein nicht minder morscher alter Tisch zwischen ihnen, doch mehr Komfort bot die Lokalität eben nicht an. Bei der harten, von Feuchtigkeit durchzogenen Sitzfläche, auf der er selbst seinen Hintern quälte, beneidete er sein Gegenüber in jedem Fall nicht um Fesseln und Knebel.
Sie war ein hübsches Mädchen, da konnte man Nichts sagen. Beinahe an der Schwelle zur jungen Frau. Großgewachsen und schlank, mit dunkler, elonischer Haut und einem vollen, schwarzem Lockenschopf. Ihre einfache Kleidung war noch etwas knittrig, wie frisch aus dem Bett aufgestanden. Und jetzt kam schwache Regung in ihren Körper. Sie gab leise Töne von sich und bewegte das Haupt bleiern zur Seite, bevor sie die Augen abrupt öffnete.
"Oh, Ihr seid wach!", kommentierte er erfreut. "Ich hatte schon gefürchtet, meine Männer wären zu grob mit Euch umgesprungen." Sie reagierte nicht, denn ihr Kopf kippte vor lauter Schummrigkeit nach hinten, die Augenlider wieder geschlossen. Er hob die rechte Augenbraue. "Das wäre... wirklich etwas unglücklich gewesen."
Maulige Geräusche drangen zur Antwort aus dem geknebelten Mund. Das Mädchen schaffte es, die Lider endgültig zu teilen und bemühte sich, ihn ins Sichtfeld zu bekommen, während sie weiter sinnlos in den Knebel quäkte. "Ho in ih... he hei hie?"
Godfrey zog den Kopf leicht seitlich herab, damit sie ihn deutlich erkennen konnte. Schmunzelnd hob er die Rechte und klimperte winkend mit den Fingern. "Ja, hier bin ich!" Dann räusperte er sich und begradigte gelassen seine Haltung. "Ihr seid gewiss eine treue Anhängerin der alten, falschen Götter. Du, heißt das. Ich darf doch du sagen? Lass' mich der Erste sein, der dir zu einem wunderbaren, heidnischen Wintertagsfest gratuliert, mein Kind. Und was du für ein hübsches Kind bist!"
Sie blickte ihm für einen kurzen Moment sehr direkt entgegen und engte leicht die Augen. Dann kam so langsam wieder Leben in Geist und Körper des Mädchens. Erst ruckte sie mit den Händen an ihren Fesseln, dann mit aller wilden Bewegung, die der jugendliche Körper aufbringen konnte. Fruchtlos. Je bewusster sie sich ihrer Situation wurde, desto wilder wurde ihr Kampf gegen die Seile. Sie knurrte und wand sich, schrie gedämpft in den Knebel, aber es brachte alles Nichts. Nur das modrige Holz unter ihrem Hintern knirschte und wackelte dabei bedenklich, weswegen Godfrey schließlich missbilligend über die Schulter sah und Billy mit einer laschen Geste voran scheuchte. Der bärtige Kahlkopf trat sofort nach vorn, und im nächsten Moment hatte das Mädchen seine starken Hände auf den Schultern und musste ihre Bemühungen unterbrechen.
"Ich entschuldige mich natürlich vielmals für die unterwältigende Umgebung, wir werden alsbald weiterziehen." Der Inquisitor lehnte sich holzknirschend in seinem morschen Stuhl zurück und schmunzelte ihr matt entgegen. "Aber ich fürchte, alle Widerstandsversuche werden nur dazu führen, dass du dir wehtust, mein Kind."
Sie widersetzte sich trotzdem; Natürlich tat sie das. Bockig versuchte sie die Hände des Banditen abzuwerfen. Putzig. Solches Feuer. Fass mich nicht an, fass mich nicht an, übler Schuft! Natürlich brachte es immer noch Nichts. Billys raue Finger blieben solide in Position und zwangen sie schließlich zum Stillhalten. Die junge Elonierin blickte zornig nach oben, dann im Versuch trotziger Biestigkeit hinüber zu Godfrey. Ihre Iriden waren von beinahe goldener Farbe. Der Inquisitor lehnte sich ihr ein Stück entgegen, stützte seinen rechten Ellbogen auf die Tischplatte und bettete sein Kinn auf die Knöchel des Mittelfingers, während er sich mit dem Zeigefinger an die Wange tippte.
"Es war mir daran gelegen, liebe Tabitha, dass du und ich gleich zu Beginn einmal von Angesicht zu Angesicht sprechen. Deswegen dieses.." Er deutete flüchtig mit links umher. "..Szenario. Damit du dir darüber im Klaren bist, warum wir überhaupt bis an diesen Punkt gelangt sind. Warum du an diesen Punkt gelangt bist, mein schönes Kind. Sei dir versichert, dass es keinen Zweck hat, zu schreien. Also!" Er nahm die Rechte für einen Moment vom Kinn, und schnippte mit den lederummantelten Fingern zu Billy hoch, nickend, ohne ihn wirklich anzusehen. "Ich nehme an du weißt, wer ich bin?"
Der vollgesabberte Knebel wurde aus ihrem Mund genommen, und prompt begann sie wieder damit, sich gegen ihre Fesseln aufzubäumen. Wenn auch nicht für lange. "Ihr habt kein Recht, mich hier festzuhalten!", sprach sie mit erstaunlich klarer, aber stockender Stimme. "Ihr ... tut das gegen meinen Willen und das ist strafbar. Macht mich sofort los. Wenn Ihr das nicht tut wird man mich suchen. Und dann bekommt Ihr eine viel größere Strafe." Aww. Wieder ruckte ihr Lockenschopf herum, indem sie wutig zu Billy aufzublicken versuchte. "Und lasst die Finger weg!" An Willenskraft mangelte es ihr eindeutig nicht. Godfrey musste insgeheim zugeben, dass das bemerkenswert war. Dennoch hielt das weder ihn noch Billy oder Frank davon ab, in spontanes Gelächter auszubrechen. Er konnte sich einfach nicht helfen. Die generelle Heiterkeit machte das Mädchen nur wütender, und damit nur noch putziger. Ein Teufelskreis, aus dem Godfrey sich nur mühevoll losreißen konnte. Endgültig nahm er den Ellbogen von der Tischplatte und wedelte gewichtig mit dem Zeigefinger.
"In Punkto Mumm können wir wohl alle noch ein wenig was von dir lernen, nicht wahr, Tabitha? Solcher Biss. Rrrr." Spielerisch fletschte er die Zähne, doch danach kühlte seine Stimmung rapide wieder ab. Er lupfte eine Augenbraue und strich sich die weißen Ärmel seines Ledermantels glatt. "Aber ich staune doch, muss ich sagen. Du scheinst wirklich keinen Schimmer zu haben, oder, hübsches Kind?"
"Ihr seid ein Mann, der hinter Gitter gehört.", knurrte sie leise. Ihr Atem ging inzwischen schneller, die Brust hob und senkte sich ungleichmäßig.
"Nein, ich bin ein Mann, der bestimmt, wer hinter Gitter gehört. Du bist, bis auf weiteres, leider darunter." Er bedachte sie in ausdauernder Ruhe mit dem Blick. "Es ist nicht mehr allzu lange hin, da wird der Weiße Mantel wieder über Kryta herrschen. Du solltest dankbar sein, denn dein Vater wird uns auf dem Weg dahin behilflich sein. Und dir selbst blüht später eine bessere Zukunft."
Das war der Moment, in dem sich etwas Entscheidendes an ihr veränderte. Aus Temperament wurde allmählich Erkenntnis, aus geschlitzten Augen wurden geweitete. Für ein Kind machte sie sich bemerkenswert gut in dem Versuch, es sich nicht anmerken zu lassen, aber Godfrey sah es dennoch. "Ich habe gar keinen Vater.", behauptete das Mädchen. "Ihr habt die Falsche an Euren Stuhl gefesselt."
"Oh, ich habe genau die Richtige. Tabitha Donovan, Tochter des berüchtigten Roscoe Donovan, auch genannt Goldzahn, Kapitän der Nadel." Er ließ einen Mundwinkel zucken. "Ein netter Versuch allerdings. Berührend, aber hoffnungslos."
Tabitha schluckte schwer. "Was...wollt Ihr von... Goldzahn?"
Godfrey ließ einen Moment schweigend verstreichen. Er lehnte sich aufatmend im Stuhl zurück, beschaute sich die tropfende, moosbehangene Decke. Schimmel wucherte in den Ritzen des niedrigen Steingewölbes. Schließlich lenkte er seinen Blick zurück zu dem Mädchen, überschlug die Beine und betrachtete sie. "Oh, vieles. Vieles, mein Kind.", ergriff er wieder das Wort, indem sie einander in die Augen sahen. In einer schwachen Geste ließ der Inquisitor die Rechte schweifen.
"Manche würden natürlich behaupten, meine Pläne seien sadistisch. Bösartig, sogar. Die Wahrheit ist; Ich kenne wahre Sadisten. Ich habe dem Bösen die Hand gereicht, mich mit ihm angefreundet. Darin besteht die pragmatische Erkenntnis, dass es ein Mittel zum Zwecke ist, ein Rad im Getriebe, dem man sich bedienen muss, um irgendwann, in ferner Zukunft, das Gute und Fortschrittliche zutage zu fördern." Er engte grimassierend die Lider, wölbte dann sacht die Augenbrauen. "Keine strahlende Zukunft wurde je ohne Taten und Entscheidungen erkämpft, für die man später keinen Stolz empfinden kann."
Tabithas Blick hatte an Schärfe gewonnen, und ihr Atem war standhafter geworden. "Mein Vater.", verlangte sie leise zu wissen, doch Billys Hände gruben sich fester in ihre Schultern und brachten sie mit einem zornigen Schmerzkeuchen zum Schweigen.
Der Inquisitor lachte leise und senkte den Blick. Für eine kurze Weise harrte er in Versonnenheit aus, bevor er die Lider wieder aufwärts schlug, um ihr mit kaltem Blick zu begegnen. Sie hielt ihm stand. Vielleicht besaß sie ungeahntes Potenzial. "Die Vorväter meines Ordens pflegten zu sagen-", sprach er wieder, "Jeder Mann trägt in seinem Herzen einen Ort der Dunkelheit. Und so ist es auch, tatsächlich. Wir alle gehen Zeit unseres Lebens einen Pakt mit dem Bösen ein, früher oder später, auf die eine oder andere Art und Weise." Langsam hob er nun das Kinn, musterte sie auf ein Neues und legte beide Hände übereinander gebettet auf der Tischplatte ab. "Beispielsweise; Dein Vater, mein Kind, auch er hat sich mit dem Bösen eingelassen. Einer seiner neuen Freunde, ein Mann von großer Überzeugung, predigt und tut skrupellos Böses, obwohl er denkt, es wäre das Gute und Rechte. Niemals würde er erkennen oder einsehen, es könne anders sein. Ich kenne viele Männer von diesem Schlag. Oh, mein eigener Orden ist voll von ihnen."
Verächtlich zog er die Lippen kraus und winkte ab, ohne das Mädchen aus den Augen zu lassen. "Märtyrer und Eiferer, die sich berufen fühlen, die niemals aufhören können. Es ist faszinierend, nicht? Wie selbst die Tapfersten von uns sich in ihrem eigenen Wesen täuschen können. Ich verstehe natürlich, hübsches Kind, dass das für dich noch schwer zu greifen ist. Ein abstraktes Konzept mit vielen Facetten. Darum will ich nur dies sagen – dieses Böse ist Nichts im Vergleich zu demjenigen, welchem ich die Hand gereicht habe. Ich selbst hingegen bin bei klarem Verstand und mir der Schrecklichkeit bewusst, die darin besteht. Das ist ein Teil meines Berufsbildes, könnte man sagen. Aus... ja, sagen wir, aus methodischer Sicht. Ich kenne das Böse von vorn bis hinten. Und ich habe alle Möglichkeit, dich mit ihm bekannt zu machen. Und wenn ich es tue, Kind, wirst du deine falschen Götter anflehen, dich zu erlösen, bevor wir überhaupt richtig angefangen haben."
Schweigen breitete sich über die schmutzige Kammer, untermalt vom Plätschern der Kanalisation. Inquisitor Godfrey schrägte den Kopf, mit den Augen immer noch bei Tabitha. Sie schluckte abermals sichtlich. Letzte Nachwehen des Trotzes sandten einen Ruck durch ihre Schultern, doch natürlich verschwanden die starken Schlägerhände nicht.
"Ich..", begann sie, "..denke nicht, dass mein Vater derartige Dinge tun würde... nur weil ich hier sitze. Er ... lebt sein ganzes Leben lang gefährlich und ... ich hätte schon immer eine Gefahr für ihn sein können. Nur, weil es dieses Mal jemand geschafft hat, mich... in so eine Lage zu bringen, heißt das nicht, dass er sich nun... epressen lässt. Wir wissen beide, dass wir... uns auf solche... Art der Erzwingung nicht einlassen werden. Das ist unser Pakt." Erst jetzt wich sie seinem Blick aus, sah auf den Tisch herab. Ihr Atem ging tief und heftig durch die Nase. "Ihr scheitert also, wenn Ihr denkt ich bin Mittel zum Zweck." Doch ihre Unterlippe zitterte zu diesen Worten. Und erst nach einem weiteren, tiefen Atemzug war es ihr möglich, seinem Blick wieder zu begegnen.
"Oh, mein süßes, tapferes Kind..", raunte Godfrey. "..du hast ja keine Ahnung, wozu Eltern fähig sind. Und wo wir bereits dabei sind, kannst du mir genauso gut verraten.." Er griff gemächlich unter den Mantel, zog seinen scharfen Dolch hervor und bettete die Waffe delikat auf den Tisch.
"...welches Stück von dir liebt dein Vater am Meisten?"
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