Vielleicht, dachte er sich, indem er die Kammer betrat, hätte ich doch absperren und ihn zum Saal schicken sollen. Hilron Gleyn stand in reservierter Überforderung neben dem Tisch und zog mit verkniffenem Gesicht und spitzen Fingern seine Kutte etwas höher, damit Dannicks Holzschwert keine seiner Pistolen erwischte. Der Zweijährige, Spielzeugschwert und -schild zur Hand, hatte seine rege Freude damit, den ehemaligen Klosterbruder als Übungspuppe zu missbrauchen. Die finstere Erscheinung des hageren Mannes schien das fröhlich glucksende Kleinkind nicht im Geringsten zu stören.
"Junge.", grollte Dronon, der noch in der Tür stand.
"Papa!" Dannick lachte quietschend und hörte damit auf, Gleyns Oberschenkel zu attackieren. "Wer ist der Mann?", fragte der Kleine vertrauensvoll. Natürlich erinnerte er sich nicht. Das war gewiss auch zum Besten.
"Ein Freund.", war die strenge Antwort. "Jetzt hinaus. Dein Vater arbeitet."
Der Junge gehorchte sofort, senkte seine Waffen und kam zu ihm hinüber getapst, um das gepanzerte rechte Bein fest zu umarmen. Dronon legte eine große Hand auf dem Schopf seines Sohnes ab und zog zähneknirschend die Brauen herab, aber Gleyn bekam vor lauter Erleichterung offenbar überhaupt nicht mit, wie peinlich der Moment ihm war. Der schlaksige Mann war zu sehr damit beschäftigt, aufzuatmen und sein halbes Dutzend Steinschlosspistolen in ihren Schlaufen zu richten.
"Tu, was dein Vater sagt.", grollte Dronon nachdrücklich und schob den Kleinen am Kopf in Richtung Tür. Aber Dannick lächelte nur glücklich und schien ohnehin Nichts anderes im Sinn zu haben, als genau das zu tun. Als der Priester die Tür ins Schloss zog, sah er noch, wie das Kind sich johlend auf einen zufällig passierenden Novizen stürzte, um den nächsten Kampf anzuzetteln. "Das ist mir nun unangenehm. Verzeiht."
"Grenths Waagschale kennt stetig neue Prüfungen für die Klarsicht der Gerechten.", sagte Gleyn, der sich schon wieder nüchtern gab. Nicht, dass aus dem hohlwangigen Gesicht je viel zu lesen wäre - ein Auge war milchig trüb, und das zweite, das noch sehen konnte, von einem mechanischen Monokel bedeckt, dessen haltende Lederriemen sich durch den fettigen grauen Haarschopf spannten. Er war ein merkwürdig poetischer Mann, dieser wandelnde Strich in der Landschaft. Was seinem Körper an Stärke mangelte, machte Gleyn mit Frömmigkeit wett. Und die Angewohnheit, die meisten seiner Sätze mit Tributen an die Götter zu füllen, empfand der Priester als vergleichsweise angenehm.
"Darin kann ich Euch zu zustimmen." Noch immer knirschte Dronon mit den Zähnen, während er hammer-krückend den kleinen Raum durchmaß. Mit einem Schnauben zog er sich den dünnen Dokumentenstapel heran, welchen Gleyn auf dem Tisch deponiert hatte.
"Euer Sohn trägt in der Tat die Flamme Balthasars." Der hochgewachsene Pistolenschütze räusperte sich nun trocken und faltete die Hände im Schoß, indem er sich mitdrehte, um ihn im Auge zu behalten. "So Lyssa mir geneigt ist, erweckt es den Eindruck, er habe seine Erprobung an dem Ketzer bestanden. Ich..." Und er verstummte.
Erst als seine Faust die Papiere zu zerknüllen begann, bemerkte auch der Priester, was für eine Wut plötzlich in seinem Schädel pochte. Sein Gesichtsausdruck musste ihn verraten haben, denn Gleyn senkte ausdruckslos das Haupt, ohne erkenntliche Schuldgefühle, aber doch ganz so als warte er auf eine Zurechtweisung. Ausgerechnet von mir. Nein, gewiss nicht. Der Priester schnaubte abermals. Sie schwiegen folglich beide, während er die beschädigten Dokumente notdürftig glatt strich und überfliegend zu blättern begann. Es herrschte angespannte Stille, doch das war ihm jetzt reichlich egal. Nachdem er das Gröbste gelesen hatte, wurde seine Laune nicht besser. "..hrrn.", knurrte er unwirsch.
"Priester?"
"Wenn ich das richtig entnehme, wurde das Anwesen Lodenbrink schon zwei Wochen nach dem Tod des Freiherren an die Familie Cassidy verkauft."
"Kormir bezeug's."
"Und die Cassidys sind ohne jeden Zweifel sauber?"
Gleyn nickte huldvoll und entschlossen, als er den Seitenblick auffing.
"Das macht die Diener zu unserer einzigen Spur in dieser Sache.", schlussfolgerte der Priester.
"Und zu einer toten, so wahr Grenth der Richter ist." Der ehemalige Mönch richtete seine Sichtlinse auf die Papiere. "Kein Lebenszeichen mehr von ihnen, seit der Übergabe des Hauses. Während ihres angeblichen Umzuges nach Löwenstein sind sie einfach verschwunden. Ich habe keinen Aufschluss darüber gefunden, wo sie abgeblieben sein könnten. Möge Dwayna ihre Seelen trösten."
"VERDAMMT NOCHMAL!", brüllte Dronon und fegte die Papiere zusammen mit einigem Geschirr vom Tisch, in einem Anflug kurzlebigen Jährzornes. "Schon wieder alles verwischt! Diese dreckigen Ketzer!"
"Früher oder später wird Melandru uns den Weg zu ihren Verstecken weisen."
"Wir müssen sie JETZT finden, bei Balthasars Bart!" Aber das würden sie nicht. Er musste feststellen, dass selbst seine Wut keine verlässliche Konstante mehr war. Längst war der Zeitpunkt vorüber, an dem er über die Zustände allein wahrlich hätte toben können. Für seine Gesundheit hatte das nur Vorteile, aber das war der einzige Pluspunkt, der sich ihm noch erschloss. Die Dinge waren, wie sie waren, und am Meisten zürnte er insgeheim darüber, wie behäbig und nutzlos er sich fühlte. Mit jedem weiteren Tag, der ohne Blutvergießen verstrich, hatte er mehr das Gefühl, auf dem Hintern zu sitzen und Zeit zu vergeuden. Stunden um Stunden gingen ins Land, während er sich dumm und dämlich suchte, in der Hoffnung, noch einen Treffer von der Sorte zu landen, wie er ihnen bei Naylors Hof gelungen war. Aber allmählich beschlich ihn der Eindruck, dass sie es in dieser einen Nacht einfach mit seltener Dummheit zu tun gehabt hatten. Hier und jetzt war Nichts mehr übrig als heilloses Durcheinander. Die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Es gab tausend Menschen, die diese Dinge besser beherrschten als er, aber sie arbeiteten ihm alle zu langsam. Er war auf ihre Hilfe angewiesen, aber es war noch immer keine Schlacht in Sicht, während die Lage sich weiter zuspitzte. Die Glänzende Klinge behielt ihre Informationen ebenfalls für sich, und er musste dagegen ankämpfen, sich einzugestehen, dass der Feind ihm in allen Belangen einen Schritt voraus war. Im Gebet an Balthasar fragte er sich dieser Tage, ob es eine Alterserscheinung war, dass er darüber überhaupt nachdachte. Der Herr der Schlacht bestrafte ihn für seine Unaufmerksamkeit, so viel stand fest. Wenn ich nicht bald etwas Lebendes in Stücke hacke, gibt es ein großes Unglück. Und das wollte er um jeden Preis vermeiden. Als er feststellte, dass er Gefahr lief in Thrymaers Bahnen zu denken, knurrte er laut und hinkte um den Tisch herum. Er hatte seine Wut wiedergefunden. "Wir kommen nicht voran, das alles ist vollkommen inakzeptabel!", dröhnte er und lehnte seinen Hammer viel harscher an die Tischkante als nötig, knallte den Schaft der Waffe förmlich dagegen. "Menschen werden ausgeraubt, getötet und manipuliert, und wir hinken dem Kielwasser der Blasphemie hinterher wie ein blinder und alterslahmer Krüppel! Wir alle! MENZIES VERRECKE!"
"Grenth ist der Steuermann.", sagte Gleyn, der nicht aus der Ruhe zu bringen schien. "Und der Moment des Urteils kommt, wenn er es für richtig hält."
"Und Balthasar ist die Faust, und er will dass wir kämpfen!" Es war ihm egal, dass er sich ins Plumpe wetterte. Mit einem verächtlichen Zähnefletschen riss er einen blanken Papierbogen an sich. "Wir lassen uns einlullen von Ablenkungen aller Art! Wir haben bei Goldklinge schon nicht rechtzeitig zugeschlagen, und auch die Jagdhütte haben wir zu spät gefunden. Hier geht Nichts voran, und der Mantel zieht jeden Tag neues Gesocks auf seine Seite."
Er wuchtete sich mit krachendem Rüstmetall in seinen Thron, zerrte nacheinander umständlich die Riemen seiner Panzerhandschuhe auf und rupfte sie sich von den Unterarmen, um vernünftig nach Feder und Tinte greifen zu können.
"An wen wollt Ihr schreiben?", fragte Gleyn.
Einen Moment lang zögerte der Priester, und ein Tropfen tiefroter Tinte kleckste von der Spitze seines frisch eingetauchten Federkiels auf das grobe Papier. Aber dann schrieb er einfach, ohne zu antworten.
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