Die Landstraße gestaltete sich holprig, und so wippte der Inquisitor auf der gepolsterten Rückbank seiner Kutsche unfreiwillig auf und ab. Er hatte den Eiskasten aus dem zerstörten Vorgängergefährt neu einbauen lassen, aber seit der gekühlte Rotwein beim Rumpeln einer Unebenheit sein weißes Seidenhemd ruiniert hatte, war ihm das Bedürfnis nach einem guten Tropfen vergangen. Zu seiner Rechten wackelte die Flasche zwischen den Eiswürfeln vor sich hin, provokant wie ein unverfrorener Staatsfeind.
"Wenn all das hier irgendwann vorüber ist, mein Freund-", sprach er enerviert, "-wenn die tugendhaften Ziele erfüllt sind; Dann sorgen wir zuerst für einen Ausbau von ländlicher Infrastruktur."
Der Verschworene starrte ihn gleichgültig an und schwieg. Seine riesige Gestalt allein nahm mit dem gescheideten Zweihandschwert zwischen den Beinen bereits die Hälfte allen Platzes gegenüber ein, zwangsbucklig wie er da saß, während sein maskierter Schädel immer wieder leicht an die Decke der Kabine stieß. Die zweite Hälfte der Sitzbank hatten sie komplett ausbauen müssen, um hochkant Platz für die ebenso riesige Kiste zu schaffen, welche zugenagelt neben dem hochgewachsenen Henker aufragte.
"Du könntest zumindest ein huldvolles Nicken der Zustimmung erübrigen, in deiner beklagenswerten Position."
Der Kopf des Verschworenen dotzte abermals an die holzverkleidete Decke, aber seine violetten Augen verloren Nichts von ihrer indifferenten Stoik. Godfrey runzelte die Stirn, seufzte und gab die forcierten Selbstgespräche auf. Vor dem verglasten Fenster zog das nachmittägliche Königintal vorüber, mit seinen Wäldern und Feldern - idyllisch und recht friedlich, so nah an der Stadt Götterfels. Der Winterroggen stand auf den Feldern. Bald würden sie am Ziel sein, und je eher die beengte Gesellschaft sich in Wohlgefallen auflöste, desto besser.
Während die Kutschenräder geräuschvoll ratternd eine Kurve nahmen, griff der Inquisitor über die Eiskiste hinweg und nahm sich das mitgebrachte Bündel, welches bislang unangetastet auf dem weichen Polster gelegen hatte. Er wickelte mehrere Lagen festes Leinen auseinander, bevor das glatte Metall des handlichen Apparates zum Vorschein kam, mit seinen Gravuren und Schaltern und dem polierten Energiekristall im Zentrum, welcher ganz sacht beginnen würde, rötlich zu leuchten, wenn man das Gerät aktivierte. Godfrey zupfte sich den Handschuh von der Rechten und fuhr mit den Fingerkuppen über das anspruchsvolle Machwerk magitechnologischer Handwerkskunst. Spürte das delikate Prickeln arkaner Kraft, welches darin verborgen lag. Er war stets ehrfürchtig beeindruckt gewesen von kleinen Wunderwerken wie diesem.
Er war sich allerdings nicht sicher, ob er dieselbe Ehrfurcht auch seinem werten Geschäftspartner entgegen brachte. Der Asura war nützlich, daran bestand kein Zweifel. Von unschätzbarem Wert, gar. Aber er war ebenso gefährlich. Und vermutlich ein ganzes Stück weniger genial, als er selbst annahm. Godfrey stellte sich die Frage, ob sein schlappohriger Freund ahnte, dass seine herablassenden Gedanken der Instrumentalisierung ihm vollkommen bewusst waren. Aber vermutlich war es gerade das, was ihre Ansprüche aneinander auszeichnete. Dem neuen Handlanger würde ein Platz zugewiesen werden, an dem er nur wenig Schaden anrichten konnte, und das war das. Aber der Inquisitor wusste genau, dass die Tragbarkeit dieses Paktes begrenzt war. Nicht der Scharfsinn machte den Asura gefährlich, sondern sein geisteskranker Wahnsinn.
Dieselbe Differenzierung konnte er jedoch nicht auf sie beziehen. Beim bloßen Gedanken an die Gelehrte zogen sich seine Eingeweide vor Verachtung förmlich zusammen. Das elende Luder, das schon wieder dabei war, ihre nächste Marionette um den Finger zu wickeln und ihn dabei schleichend seines Einflusses zu berauben. Sie glaubte, besser zu sein als er. Besser als ein dekorierter Inquisitor. Er würde ihr zeigen, wer das Sagen hatte. Bald schon würde sie bitter bereuen, seine Pläne durchkreuzt zu haben. Sehr bald, sinnierte er lächelnd, strich ein letztes Mal zärtlich über den Apparat und schnürte das Bündel dann wieder sorgfältig zusammen, um es in seiner ledernen Umhängetasche zu verstauen.
Er stieg selbstredend zuerst aus, der Umschlagort war gesichert worden. Rasch warf er sich seinen Mantel um und zog ihn gründlich zu, damit Niemand einen Einblick auf den getrockneten Weinfleck erhielt. Der Verschworene zwängte seinen unnatürlich großen Körper hinter ihm ins Freie; Seine Stiefel sanken auf dem matschig getrampelten Erdboden tief ein.
"An die Arbeit!", rief Godfrey mit einem auffordernden Schwenk seiner Rechten. "Die Fracht transportiert sich nicht von alleine!"
Ein gutes Dutzend bewaffneter Banditen erwartete sie bereits, und prompt stiegen drei von ihnen auf, um sich umständlich und mit klagend ächzendem Holz daran zu machen, die mannshohe Kiste aus der Kutsche zu bugsieren.
"Wenn ich auch nur einen Kratzer an meinem Gefährt entdecke, würfle ich aus, welcher von Euch seinen Kopf verliert!", fügte er scharfzüngig an und ging dann in Richtung Frank hinüber, welcher abseits auf ihn wartete.
"Exzellenz." Frank trat einen Schritt auf ihn zu und neigte respektvoll den Kopf. Die schwarzen Haare trug er heute in einem straffen Pferdeschwanz.
"Gepriesen sei Saul, mein Bester.", sagte Godfrey, griff in die Umhängetasche und zog sein eingewickeltes Mitbringsel hervor. "Enttäusche mich nicht. Der Erfolg deiner Mission ist entscheidend."
"Es wird alles nach Plan laufen, wie gehabt.", versicherte Frank, indem er das Bündel entgegen nahm. Er sah flüchtig darauf herab. "Die Instruktionen stehen unverändert?"
"Praaw hat letzte Kalkulationen vorgenommen, aber die Handhabe bleibt identisch. Ich habe mich persönlich davon überzeugt."
"Na, das verspricht doch höchst explosiv zu werden." Der breitschultrige Bandit grinste und zog seinen Rucksack heran, der im Schattenes eines Baumes lehnte. Aber während er den Apparat darin verstaute, kühlten seine kantigen Gesichszüge rasch wieder ab. "Ich bringe allerdings schlechte Neuigkeiten."
"Ich höre...?"
"Nachricht aus Götterfels. Die Glänzende Klinge hat Ganes erwischt."
Das kam überraschend. Erst tags zuvor hatte Godfrey noch selbst mit dem Gedanken gespielt, vielleicht... Nein. Das war jetzt nicht länger wichtig. Er presste die Lippen missbilligend aufeinander und linste nach rechts hinüber, aber der Rest der Truppe war viel zu beschäftigt damit, die sperrige Fracht auszuladen. Gerade rutschte einer der Männer im Dreck aus und hätte beinahe sein Ende der schweren Kiste herunterkrachen lassen. Doch der Inquisitor hatte längst andere potenzielle Schäden im Sinn. Es gab nur eine Möglichkeit, wie dieses Malheur hatte passieren können. "Bricks.", fauchte er verächtlich.
Frank nickte langsam.
"Einerlei.", zischte Godfrey. "Ganes kann Nichts preisgeben, das früher oder später nicht sowieso beim Feind angekommen wäre."
"Befehle, Sir?"
"Informiere unterwegs Mister Viral und seine Truppe." Er tastete mit unruhigen Fingern nach dem Rand seines Monokels. "Es ist unbedingt sicherzustellen, dass Vorr die Anlage nicht verlässt. Ansonsten bleibt die Information unter Verschluss. Einen detaillierten Bericht erwarte ich, sobald der Auftrag erledigt ist. Wir fahren fort wie geplant."
Er überließ Frank sich selbst, während sein Getreuer den Rucksack schulterte und sich zum Aufbruch bereit machte. Inzwischen hatten die Männer es unter der Aufsicht des Verschworenen bewerkstelligt, die Kiste ins Freie zu zerren. Vier starke Kerle schulterten die Fracht und schlugen mit dem schlaksigen Riesen im Schlepptau ihren eigenen Weg ein. Die restlichen Banditen hatten sich um Pitney geschart. Der bullige Ascalonier stand teilnahmslos da und puhlte mit bleichen Fingern an der stählernen Hakenklaue herum, die seine linke Hand ersetzte. Erst als Godfrey sich ihm näherte, sah der Mann auf.
"Eine Ehre, Inquisitor.", grüßte Pitney wie üblich monoton und sah dem Transport der gründlich zugenagelten Kiste hinterher. "Meine Kleinen werden unruhig sein, Sir."
"Oh, das wird keinen Schaden tun.", entgegnete der Inquisitor mit einem milden Schmunzeln. "Eure große Stunde rückt näher."
"Hm.", machte Pitney nichtssagend, aber um die giftgrünen Augen des Ascaloniers zogen sich bösartige Lachfältchen.
"Die Schatten, mit denen wir uns umgeben, werden bald schon gänzlich vergehen, Mister Pitney.", fuhr Godfrey fort und hob lächelnd den Zeigefinger an, während er sich schlendernd abwandte. "Merkt Euch meine Worte!"
Seufzend ließ er sich wieder auf der Rückbank nieder, nachdem schließlich alle Männer ausgerückt waren. Billy, der bislang mit dem Fahrer auf dem Kutschbock gesessen hatte, zog die Tür hinter ihm zu. Bald darauf knallte die Peitsche, und die Moas setzten sich wieder in Bewegung. Die Schatten werden vergehen, dachte Godfrey. Ich werde sie vermissen.
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