Die Plane fiel mit der verlorenen Anmut einer gescheiterten Kunstausstellung. Als die ranzigen Stoffbahnen schließlich auf die Holzplattform nieder sanken, offenbarte sich das magische Wunder in all seiner atemberaubenden Schönheit. Clodiver Galgenbrenner stieß einen leisen Pfiff aus und stemmte die Hände in die Hüfte.
"Wenn ich das gewusst hätte.", krächzte der Räuberhauptmann.
"Dann was?"
"Hätte ich mich weniger beschwert über den Platz, den die verdammte Fracht mir geschlagene zwei Wochen lang weggenommen hat. Wo sollen die ganzen Waffen denn hin, wenn die Höhle voll ist bis obenhin?" Galgenbrenner schnaubte. "Und die verdammten Viecher. Wir haben hier Nachts kaum ein Auge zugetan, so unruhig macht sie das Zeug. Einmal haben sie so übel randaliert, dass ich schon Schiss hatte, eins würd' sich befreien und uns alle fressen. Fleischhaken hat's natürlich nicht die Bohne gejuckt. Um ehrlich zu sein ist's mir nicht sonderlich schade drum, dass wir eins verloren haben."
Inquisitor Godfrey schmunzelte müde. "Wirklich, ein ganz und gar schreckliches Schicksal, Clodiver.", sagte er trocken. "Ich kann Euch allerdings beruhigen; Schon bald wird sich das Problem in Wohlgefallen auflösen." Der Inquisitor wandte den Blick zurück auf den endlich errichteten Inhalt der Frachtkiste. Das mannshohe Fragment war das mit Abstand größte Exemplar aus seinem gesamten Vorratslager. So viel rohes Potenzial, verschwendet an so viel Kleingeistigkeit. Der riesige Splitter zwar zu lang und durchwachsen für den Waffenbau, zu schlank und gewunden für eine Bombe, aber er bedeutete dennoch Kapital. Das Fundament aus weißem Granit auszumeißeln hatte den Konstrukteur einige Zeit gekostet, aber jetzt da alles fertig war, rotierte das mächtige Stück Blutstein über der steinernen Kuhle um die eigene Achse, von den Verzauberungen senkrecht in der Schwebe gehalten. Satt und kräftig leuchtete das Material, rot wie Herzblut, mit einer Prise von chaotischem Violett. In Gedanken brachte dieser Anblick den Inquisitor zurück in die Festung der Treuen, deren starke Mauern nur so gestrotzt hatten vor arkanen Geschützen wie diesem. Er konnte bis heute kaum fassen, dass eine solche Verteidigung überhaupt hatte durchbrochen werden können.
"Jou, wird es wohl." Galgenbrenners Krächzen riss ihn aus den Gedanken. Die fauligen Zähne des Mannes zeigten sich in einem breiten Grinsen. "Der Beichtvater ruft, was? Wir werden Götterfels plündern."
"Vielleicht irgendwann.", raunte Godfrey.
"Eh?"
"Nichts, Clodiver.", sprach er ruhig und wölbte die Brauen. "Nichts." Er wandte sich ab, nahm die Hände hinterm Steiß zusammen und schlenderte hinüber zu Jonathan. Der Konstrukteur war ein junger Mann, nicht älter als achtzehn Jahre und voller Talent. Selten hatte der Inquisitor Jemanden getroffen, der das Handwerk von Hammer und Meißel so trefflich mit der Fertigung arkaner Foki und Runen kombinierte. So viel rohes Potenzial, dachte er wieder, verschwendet an so viel Kleingeistigkeit. Mit stolz herausgestreckter Brust stand der junge Kultist da, seine grünen Augen leuchtend vor Eifer, das stupsnasige Gesicht umrahmt von braunen Locken. "Jonathan." Godfrey lächelte, streckte die Rechte aus und tätschelte dem Burschen väterlich die Wange.
"Sir, ich hoffe meine Arbeit enttäuscht Euch nicht.", sprach der Junge, den Blick streng geradeaus ins Leere, wie ein kleiner Zinnsoldat.
"Nicht im Mindesten, Jonathan. Du kennst deine Aufgabe?"
Das Nicken war resolut und gehorsam.
"Sehr gut.", sagte Godfrey und klopfte dem Konstrukteur auf die schmächtige Schulter. "Ein junger Mann deines Talentes und deines Eifers wird hier dringend benötigt."
Er überließ Jonathan seinen Wartungsarbeiten und schloss, während der Verschworene schweigend hinter ihm einlenkte, wieder zu Galgenbrenner auf. Gemeinsam spazierten sie über die Plattform, zwei Männer ewigen Kontrastes. Ein Mantel weiß und glatt, der andere schwarz und löchrig. Ein Gesicht makellos, das andere pockennarbig und verbrannt. Ein Geist messerscharf, der andere von innen verrostet. Der Inquisitor konnte sich keinen Mann vorstellen, auf den er mehr herabsah als Clodiver Galgenbrenner. Auch wenn man ihm lassen muss, dass er sich im Lichte meiner Verachtung viel länger hält als alle anderen. Einen Moment lang sann er darüber nach, warum dem so sein mochte, und tatsächlich war die Antwort leicht gefunden. Ja, auf verquere Weise betrachtete er den Räuberhauptmann tatsächlich als einen guten Freund, gerade weil der Mann ihm so sehr zuwider war. Man konnte hoch pokern und fein essen und beginnen sich luxuriös zu langweilen, aber warf man nur einen Blick über die Schulter, so fand man ihn dort, den lebenden Beweis dafür, selbst etwas Besseres zu sein. Dafür musste der Inquisitor eine gewisse Dankbarkeit empfinden. Ein Gedanke, der ihn melancholisch werden ließ.
"Der Junge scheint sein Handwerk zu verstehen.", krächzte der entstellte Bandit.
"Er wird hier gute Dienste leisten. Ich habe Euch keinen Stümper geschickt, Clodiver."
"Dann brauchen wir den da jetzt wohl endlich nicht mehr, was?"
Er folgte Galgenbrenners Blick und entdeckte rasch die Zielscheibe des gehässigen Knurrens. Inquestur-Techniker Taaz stand verschränkten Armen neben einigen Kisten und observierte mit recht offensichtlicher Neugierde die Errichtung des Blutstein-Geschützes, nachdem die meisten schaulustigen Banditen sich wieder über das Lager verstreut hatten. Der Inquisitor wartete einen Augenblick, während sie weiter gingen, denn im Gegensatz zu Galgenbrenner war er sich der guten Ohren des asurischen Volkes sehr wohl bewusst. "So ist es.", bestätigte er, während sie eine modrige Holzstiege an der Flanke der riesigen Kaverne erklommen, die hinter ihnen unter den schweren Schritten des Verschworenen knarzte. Nur die überall aufgehangenen Fackeln brachten etwas Helligkeit in den weitläufigen Höhlenkomplex, der sich dennoch in tiefer Schwärze neben ihnen erstreckte.
"Dämliche schlappohrige Möchtergernintelligenzler. So hat der Beichtvater es doch geschrieben."
"Das hat er."
"Bin heilfroh, wenn wir nicht mehr mit diesem schmutzigen Abschaum arbeiten müssen."
"Hm-hm."
"Ihr klingt nicht überzeugt, Sir." Galgenbrenner beäugte ihn grimmig von der Seite.
So viel rohes Potenzial, dachte Godfrey. Verschwendet an so viel Kleingeistigkeit. Aber welche Wahl blieb ihm schon?
"Darf ich fragen, warum wir das Teil überhaupt hier aufbauen? Wäre es nicht sinnvoller, damit eroberte Stützpunkte zu halten?"
"Oh, seid unbesorgt, der Beichtvater verfügt über raue Mengen an Blutstein. Das hier ist nur eine Sicherheitsmaßnahme."
"Ihr seid heut' nicht zu Seitenhieben aufgelegt." Sie waren auf der obersten Zwischenplattform angelangt, die nach rechts in einen der verlassenen Minenstollen mündete. "Sieht aus, als würde es langsam ernst."
Godfrey kräuselte müde die Lippen. "In der Tat. Die große Stunde ist nah."
"Dann halt' Euch nicht weiter auf, Inquisitor." Galgenbrenner vollführte die Andeutung einer wenig überzeugenden Verbeugung, richtete sich dann den zerfledderten schwarzen Kragen seines löchrigen Mantels und trat einen respektvollen Schritt zurück, bevor er seine Schritte wieder die Treppe hinab lenkte, gen seiner Männer und dem roten Glimmen von Blutstein über den hölzernen Planken. Der Verschworene platzierte sich neben Godfrey, und sie sahen dem Bandenführer in gemeinsamem Schweigen hinterher. Als Galgenbrenner zwei Drittel der Treppenstufen hinter sich gebracht hatte, konnte der Inquisitor nicht länger an sich halten.
"Clodiver!", rief er ihm hinterher, laut genug dass sich unten einige Köpfe wandten, der des Asura allen voran.
Galgenbrenner blieb auf der Treppe stehen und sah stirnrunzelnd über die Schulter, soweit man vor lauter Pockennarben und Verbrennungen noch von einem Stirnrunzeln reden konnte statt lediglich von verzerrtem Fleisch. "Sir?"
"Ich hab' Euch angelogen.", prustete Godfrey und trat unangenehm berührt von einem Fuß auf den anderen. "Um ehrlich zu sein, es ist vollkommen dämlich, hier weitere Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, offen gestanden; Ich bin positiv überrascht, dass Euch das überhaupt aufgefallen ist. Eigentlich habe ich das Ding nur angebracht, um Euch zu hintergehen und umzubringen."
Verwirrte Stille breitete sich unter den Banditen auf der Plattform aus. Zwei Männer, die an einem kleinen Tisch hockten und sich mit Würfelspielen beschäftigten, blickten einander dumpf an, einer genauso fragend wieder andere. Eine hartgesottene Schützin, die nahe der Barracken lehnte, hob unbeeindruckt eine Augenbraue. Taaz, der Asura, seufzte beherrscht und verkniff sich zweifelsohne einen Satz, der das Wort 'Bookah' beinhaltet hätte, wenn die Auflagen seines Auftraggebers nur etwas weniger strikt wären. Galgenbrenner schnaubte, befremdet dreinglotzend. Schließlich wandte der Räuberhauptmann sich komplett auf den Stufen um, während er angesäuert nach oben blickte. "...wollt Ihr mich veräppeln?"
"Nein, nein, es ist die Wahrheit, mein Ehrenwort!"
Mehr Schweigen. "...Euch ist bewusst, dass das gerade weder lustig noch dramatisch ist?"
Der Inquisitor seufzte tief und verzog schuldbewusst den Mund, während ein gefühltes Dutzend Augen in aller Peinlichkeit des Momentes zu ihm hinauf zu starren schien. "Ich wollte doch nur mal Euren Gesichtsausdruck sehen.", gestand er und verwob die Finger beider Hände vor dem Schoß, indem er den Blick senkte, für einen langen Moment. Als er ihn wieder hob, fanden seine Augen ihren Weg hinweg über Galgenbrenner, vorbei an seinen Banditen und dem Asura, hin zu Jonathan. Die grünen Augen des Jungen begegneten den seinen, noch immer erfüllt von einem tiefen Eifer. Als ihre Blicke sich begegneten, zollte der Konstrukteur ein sachtes Nicken. "Aber dahingehend habt Ihr mich enttäuscht...", fauchte Godfrey, und seine Stimme wurde durch die Akustik der Kaverne an die Ohren aller getragen.. "...Clodiver!"
"FÜR LAZARUS! FÜR DIE UNSICHTBAREN!"
Als Clodiver mit verblüfften Gesichtszügen herumfuhr, war es bereits zu spät. Jonathan hatte die Augen geschlossen und zitterte ekstatisch, die rechte Hand fest nach dem riesigen Blutsteinsplitter ausgestreckt, und das Geschütz begann schneller in seinen arkanen Schwingungen zu rotieren. Dann brach das heilige Höllenfeuer herein. Wabernde Ladungen instabiler, rot flimmernder Energie wurden in alle Richtungen aus dem magischen Mineral geschleudert und brachen über die Banditen herein. Holz splitterte unter magischen Explosionen, Körper wurden verschmort und umhergeschleudert, Inquestur-Techniker Taaz wurde direkt von chaotischer Energie erfasst und quiekend davon verschlungen.
"FÜR LAZARUS!", wiederholte Jonathan, zitternd und in jauchzenden Schreien, gleich einem Mantra. "FÜR DIE UNSIIiiiiiaaaarggh!" Seine Stimme erstarb in einem markerschütternden Kreischen, während die gesamte Plattform vom Sturm der Blutsteinmagie in die Tiefe gerissen wurde, tote und sterbende Banditen wie Spielzeugfiguren mit sich nehmend. Ein tiefes Bersten rumorte durch die weitläufige Höhle, und schließlich fiel auch das Blutsteinfragment selbst, donnerte gegen harten Fels und explodierte in grellen roten Blitzen.
Das letzte, was Inquisitor Godfrey sah, war Clodiver Galgenbrenner, der sich mit gefletschten, modrigen Zähnen schon wieder auf der Stelle wandte, hasserfüllt zu ihm aufsah und nach seiner Pistole griff. Dann stürzten auch die Treppenstufen fort, und Galgenbrenner starb als herumwirbelnder Schemen ohne auch nur einen einzigen Laut über die Lippen zu bringen, da sein Kopf knackend mit abstürzenden Balken zusammenprallte. Und dann war er einfach weg. Verschluckt von der Dunkelheit. Eine einzelne, sacht rauschende Fackel fiel noch hinterher, dann kam ein letztes Knistern roter Energie auf. Schlussendlich folgte dumpfes Gepolter einige Dutzend Meter weiter unten, und die Geräusche mündeten in eine bedeutungslose Leere.
"Komm.", sagte Godfrey, als es schließlich still war unter ihnen. "Der nächste Freiwillige erwartet uns." Er wandte sich ab, und der Verschworene folgte.
So viel rohes Potenzial, verschwendet an so viel Kleingeistigkeit.
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