Es war ein schweigsamer Weg in gegenseitigem Ernst. Helena Iorga und ihr dubioses Anhängsel Sooc gingen beide ein Stück im Hintergrund, während sie die Straße hinauf zum Platz nahmen. Erstaunlicherweise hatte der Asura es unterwegs bewerkstelligt, sein überhebliches Drecksmaul zu halten. Das linderte zumindest die Versuchung, den Schädelinhalt der lästigen Kreatur über den Boden zu verteilen. Vielleicht hätte er tatsächlich einfach abgedrückt, wenn Niemand eingelenkt hätte. Es wäre eine Erfrischung gewesen, das konnte er nicht leugnen. Obwohl er dem Knilch nie zuvor begegnet war, hatte der Priester noch immer das Gefühl, Soocs Stimme bereits von irgendwo zu kennen. Aber das alles spielte keine Rolle mehr. Hier und jetzt zählte nur, dass das verzogene Gör und die schlappohrige Ratte seine Verbündeten waren, auch wenn er sich verlässlichere vorstellen konnte. Aber ein starker Krieger musste stets nach der besten Waffe ergreifen, die ihm zur Verfügung stand. Solange sie seinen Zielen nicht hinderlich war.
"Ich bin mir wirklich sicher, dass Melandrin damit Nichts zu tun hat.", durchbrach die Stimme des blonden Weibes schließlich das Schweigen. Sie war ein Stück näher gekommen und blieb leise.
Schweigend stapfte der Priester Balthasars weiter, das Tocken des Hammerstiels ein stetiger Hall auf dem Straßenpflaster. Donovan und Blut hatten die Besprechung wie zu erwarten in großer Eile verlassen, um dem finalen Hinweis des Mantel-Inquisitors auf den Grund zu gehen. Das flimmernde Bild hatte sich kaum verflüchtigt, da waren die Männer schon zur Tür hinaus gewesen. Der Priester hatte sie nicht aufgehalten. Dass sie es versuchen mussten, war allen klar gewesen. Im Nachhinein betrachtet wäre es allerdings klüger gewesen, mehr Männer mitzuschicken. Zweifelsohne stellte der dreckige Häretiker ihnen eine Falle. Mehr als das; Gleich eine ganze Serie von Fallen.
Im Palastgarten tagte heute Königin Jennahs Ministerversammlung. Inzwischen war gewiss die gesamte Oberstadt abgeriegelt und wimmelte vor Ministerialwachen. Es gab keinen Zufall daran, dass diese Nachricht ausgerechnet an diesem Tag eingetroffen war. Ich bin zuversichtlich, dass Ihr den Grund dafür binnen weniger Stunden herausfinden werdet, hatte es geheißen. Es war alles was der Priester tun konnte, sein Verlangen nach Blutvergießen in diesen Stunden nicht auf die Welt loszulassen. Er hatte seine Kammer als Ruine hinterlassen, nachdem Zarrj das Projektionsgerät erstmals in Gang gebracht hatte. In seinem Brustkorb spürte er noch immer das Stechen des letzten Herzkrampfes. Vor dem inneren Auge versenkte er seinen Streithammer wieder und wieder in diesem arrogant lächelnden Ketzergesicht. Bei Balthasar, er musste gegen etwas kämpfen.
"Ihr hattet von offenen Karten und einer Union geredet, Hochwürden.", fuhr die Iorga kritisch fort, als er nicht reagierte. "Ich habe Euch von Armien erzählt. Das war persönlich. Wollt Ihr jetzt-"
"Balthasars Bart nochmal!", schnauzte er ihr dazwischen, zähneknirschend und ohne sich umzublicken. Nur mit Mühe konnte er seine Stimme gesenkt halten. "Ich habe genauso wie Ihr erst heute von diesem widerlichen Godfrey erfahren. Wer weiß, wer noch mit dahinter steckt. Eines steht fest; Er muss schnellstmöglich vernichtet werden, zusammen mit dem ganzen Rest."
"Die Absicht dieser beispiellosen Darstellung von selbstverliebter Egozentrik ist inhärent offensichtlich.", mischte der Asura sich ein. Sie waren am Rand des Balthasar-Platzes angekommen. "Der Bookah ist offensichtlich wahnsinnig und will mittels erdrückender Beweislast den Kopf aus seiner eigenen Schlinge ziehen sowie bezwecken, dass seine Zielgruppe und die Verratenen einander an die Kehle gehen."
Es war die Wahrheit, dagegen konnte auch das tiefsitzende Bedürfnis nicht ankommen, Magister Sooc das Maul mit einer Faust zu stopfen. Es war so, wie der Asura sagte. Der Inquisitor des Mantels wollte sie seine eigenen Kämpfe auszutragen lassen, während er selbst in den Schatten verschwand. Und das Bittere daran war, dass es keinen Grund gab, diesen Kämpfen fernzubleiben.
"Kein blasphemischer Verräter wird das Werk Balthasars dirigieren.", grollte der Priester und wandte sich zu seinen Begleitern herum. Sooc verbarg genervt sein Gesicht hinter einer Hand, aber der Priester ignorierte die Anmaßung des Heiden. "Wir werden die Feinde vernichten, die wir vor uns haben. Aber Niemand kann sich ewig verstecken vor dem Zorn des Herrn de-"
Er kam nicht weiter. Plötzlich waren die Passanten vorn auf dem Platz in Aufruhr. Jemand stieß einen erschrockenen Schrei aus, ungläubiges Keuchen erklang. Einer der Seraphen kam mit offenem Mund aus dem Wachhäuschen getreten, während er sich fassungslos den Helm in den Nacken schob. Der Kriegerpriester folgte den Blicken der Menschen, vorbei am gehörnten Massiv von Balthasars Statue und weiter hinauf.
Im Osten standen rote Kometen am Himmel und kamen in rasendem Tempo aus den Lüften herab. In der Ferne sahen die beiden Blutsteinbrocken nicht besonders groß aus, aber sie mussten riesig genug sein, um ganze Häuserblocks zum Einsturz zu bringen. Im Sturzflug auf die Oberstadt zogen sie lange Schweife knisternder Energie hinter sich her und... zerschellten dann wirkungslos in lichten Höhen. Selbst hier, sicher eine halbe Meile weiter nordwestlich, hörte man das Bersten. Die violett schimmernde Schutzkuppel, die sich über das Herz von Götterfels zu wölben begann, war mit Abstand die mächtigste Demonstration arkaner Macht, die er seit der Ogerrevolte je zu Gesicht bekommen hatte. Die Königin, schwante ihm in grimmiger Gewissheit. Es war nicht bis zu seinem nächsten Gedanken, dass der Schrecken ihn einholte: ...der Schrein.
"Hochwürden, wo wollt Ihr hin?", hörte er die perplexe Stimme von Helena Iorga, als er sich in Bewegung setzte. Sooc erging sich an wilden Flüchen, aber der Schwall aus neunmalklugen Fremdwörtern ging hinter ihm im Tumult unter.
Der Priester senkte seinen Streithammern in der rechten Faust und rannte die Straße hinauf. Er rannte so schnell er konnte, hinkend und in schweren Stahl gehüllt, nahm sich nicht die Zeit, der Statue zu salutieren. Ein anderer Tribut war gefragt. Metalldonnernd überbrückte er die Meter, vorbei an aufgescheuchten Menschen, die seinem Ansturm hastig auswichen. Doch schon bald darauf traten die Leute nicht länger vor ihm fort, sondern kamen ihm nur noch in panischer Flucht entgegen.
"AUS DEM WEG!", dröhnte er einem dicklichen Straßenfeger entgegen, aber er musste den Mann eigenhändig zur Seite drängen. Er sah sich nicht um, als der Kerl mit aufgerissenen Augen und fest umklammertem Besen an ihm vorüber taumelte. Weiter, war alles was der Priester denken konnte. Seine Lunge brannte bereits harsch, da hatte er gerade erst die Hälfte der Strecke geschafft. Er war nie der beste Läufer gewesen, aber darin bestand keine Ausrede. Es schien nur Niemand in dieselbe Richtung zu laufen. Die Leute stürmten sogar aus ihren Häusern hervor, um Distanz zur Oberstadt zu gewinnen. Das Gedränge wurde immer dichter, während das magentafarbene Schimmern der mächtigen Schutzkuppel langsam näher kam. Dann plötzlich tat sich eine Lücke vor ihm auf. Aus der Entfernung hatte er den Seraphen nicht sehen können, aber jetzt lag der Soldat vor ihm auf der Straße, während links und rechts Leute vorbei eilten. Eine Frau kniete über dem Soldaten und rammte ihm frenetisch immer wieder einen Langdolch in den Hals, während das Kopfsteinpflaster sich rot färbte. Ein Blick auf ihre rote Lederuniform mit den weißen Mustern, das dunkel vermummte Haupt und das helle Abzeichen an ihrer Brust, und er wusste bescheid. Sie sah auf, als sie seinen rasselnden Atem hörte. Hasserfüllte grüne Augen schimmerten, und im nächsten Moment hatte sie ihm den Dolch aufwärts in den Unterleib gerammt, bevor er auch nur einen weiteren Schritt hätte tun können. Ein mattes Knirschen erklang, und für die Dauer eines Momentes erstarrten sie beide. Die Spitze der Dolchklinge hatte sich an seinem Harnisch verbogen, ohne mehr zu hinterlassen als einen Kratzer im Stahl.
"...hrrn.", grollte der Priester. Dann packte er zu. Sie zappelte und wand sich, als seine gepanzerte Linke ihren schlanken Hals umschloss, riss den Dolch diesmal viel zu spät hoch. Er verspürte eine befreiende Hitze im Schädel, als er die Sucherin heiser anbrüllte und ihr mit einem scharfen Ruck das Genick brach. Die Wirbel gaben zwischen seiner Faust nach, als er ihren schlaffen Kadaver neben den toten Seraphen schleuderte. Noch immer brüllend, hob er den Streithammer mit beiden Händen und brachte ihn geräuschvoll auf den Schädel der toten Kultistin nieder. Als er weiter stapfte, brannte seine Lunge von dem langen Sprint, aber sein Durst brannte doppelt so heiß. Niemand stand ihm mehr im Weg. Aber es kamen auch keine weiteren Angreifer mehr. Er war an der wabernden Barriere angelangt. Sie sperrte ihn aus, keine zweihundert Meter entfernt von seinem Ziel. Er konnte den Säulengang des Sechsgötterschreins bereits ausmachen, aber es ging keinen Schritt weiter. Links und rechts von ihm versuchten einzelne Soldaten der Seraph-Wache, die aufgescheuchten Bürger zu beruhigen. Nur eine Hand voll weiterer Toter war hier auszumachen.
Denn der wahre Kampf fand unter der Kuppel statt.
Hinter dem violetten Schleier kämpften Agenten der Klinge gegen Kultisten in strahlendem Weiß. Ministerialwächter stachen sich gegenseitig nieder, schreiende Edelleute rannten tiefer in den brennenden Park. Und über sie alle erhob sich ein Duell der Giganten, während die riesige Hellebarde eines Uhrwerk-Ritters der Krone funkensprühend auf die dunkle Hülle einer leibhaftigen Jaderüstung prallte. Der Priester weitete rasend die Augen.
Es hatte begonnen.
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