Eisig und an den Kräften zehrend pfiff der Nordwind um ihren Kopf. Doch es störte sie nicht. War es doch eben dieser Wind, den sie um sich spüren wollte.
Frei wie ein Vogel, kam es ihr erneut in den Sinn und sie reckte den Hals ein wenig. Reckte sich dem Wind für einen Moment entgegen, als wolle sie, dass er sie mit sich trug.
Er tat es nicht... Und so schlich sie weiter durch das Dickicht. Das Ziel stets vor Augen.
Wie lange sie schon hinter der Hirschkuh her war, wusste sie nicht mehr. Zu viele Gedanken im Kopf.
Fehler eines Welpen... Drang es unter der roten Haarpracht in ihren Geist. Doch sie wollte die Fehler nicht ein weiteres Mal begehen. Musste endlich auf eigenen Beinen stehen und wissen, welcher Pfad der Richtige... Welcher IHR Pfad war.
Geduckt huschte sie hinter einen Busch, der wohl einst Blaubeeren trug. Doch die meisten waren abgefressen und auch sonst sah das Geäst nicht sonderlich gesund aus. Das leise Knurren, welches aus ihrer Kehle dringen wollte, schluckte sie hinunter.
Die Klinge des Beils glitt sacht in den Schnee, Köcher und Bogen, die in der anderen Hand ihren Platz hatten, taten es dem Beil gleich. Abermals ein Blick auf die Beute...
Noch da... Nichts bemerkt... Die Haare an den Armen stellten sich leicht auf, Aufregung und die blanke Gier auf das Geschehen ließen ihren Körper so reagieren.
Flink glitt die Rechte hinunter zum Bogen, hielt ihn vor die Brust. Ein kurzer Schauer überkam sie aus dem Nichts, als sie begann die Sehne zu spannen. Und dann glitten ihre Gedanken endgültig ab, wie auch schon in den letzten Tagen immer und immer wieder.
Große Bärin... Leih mir deine Stärke. Rabe... Schenk mir deine Weisheit. Schneeleopardin... Lass mich flink Handeln. Und Wolf mein Vater... Lass mich den Weg finden, den ich suche...
Die Schamanen hatten wohl recht mit dem was sie sagten... Sprunghafter Wolf. Zu Jung für irgendetwas... Trug Worte auf den Lippen und fühlte sich verpflichtet sie zu sagen.
Ich hab den Blick in den Augen der Schamanin gesehen.. Abscheu... oder war es Enttäuschung? Verdammt... Keine Ahnung. Vielleicht hab ich mich dabei auch geirrt...
Die Gedanken rasten geradezu in ihrem Kopf. Durchdrangen ihren Geist, ihren Körper und blieben schließlich in ihrem Herz haften. Ließen sie in ihrem Tun inne halten. Zu viele waren Enttäuscht oder verärgert worden. Ein kurzes Kopfschütteln. Doch der Kopf wurde nicht klarer. Die Rechte griff nach dem Köcher und zog behutsam einen Pfeil heraus. Zwei Anläufe brauchte sie diesmal, um den Pfeil anzulegen und die Sehne zu spannen.
Wenigstens wird das besser...
Das Ziel vor Augen, den Pfeil bereit. Sie wusste, wenn sie nicht treffen würde, wäre die Hirschkuh gewarnt. Würde davon laufen. Und sie wäre bereit zu folgen. Tief und langsam atmete die Norn ein und aus.
Ein Griff, der sie fest am Kragen packte, riss sie aus den Gedanken. Ließ ihr Pfeil und Bogen aus der Hand gleiten. Die Luft blieb ihr weg, als der feste Mantel auf ihren Hals drückte. Der Boden unter ihren Füßen entfernte sich. Sie wurde in die Luft gehoben, mit einer spielenden Leichtigkeit. Ihre Schultern fanden sich in starken Händen, die so fest drückten, als wolle man ihr die Arme ausreißen. Und dann vernahm sie die Stimme – zwei Stimmen. So eisig und durchdringend klangen sie in ihr eigenes Ohr. Ließen sie laut aufkeuchen. Und als der eine vor sie trat, wusste sie, was den plötzlichen Schauer in ihr hervorgerufen hatte...
„Was hat uns der Drache denn hier präsentiert? Frischfleisch und das noch im guten Alter.“ sprach der Norn. Seine Haut, die an vielen Stellen unter der Rüstung hervorschaute, war bläulich. Von einem fast magischen Schimmer umgeben... Sein Grinsen ließ ihr schier das Blut in den Adern gefrieren. Skrupellos, verdorben und kalt prangerte es auf seinen eisigen Lippen.
„Was willst du verdammtes Weibsbild hier! Dringst in unser Gebiet ein und nun wirst du den Preis dafür bezahlen müssen.“ laut hallte die Stimme des Ersten durch Wind und Schnee.
Er trug keinen Helm, so dass sie sein Gesicht genau betrachten konnte. Einst war er wohl ein großer Krieger... Narben zogen sich über seine Wangen, verliefen den Hals hinunter. Doch von dem Krieger war nichts mehr übrig. Verdorben, ein Mann aus Eis, die Haut glänzend wie ein Gletscher in der Morgensonne.
Sie wusste, dass die Beiden ihrem Leben ein Ende setzen würden. Wusste, dass niemals jemand erfahren würde, wie sie ihr Ende fand. Die unerzählte Geschichte ihres Ablebens. Und doch wusste sie Eines auch ganz genau: Leicht würde sie es den Drachenanhängern nicht machen!
Laut und bedrohlich drang ein Knurren tief aus ihrer Kehle. Einen kurzen Augenblick war sie selbst davon überrascht. Doch dieser verebbte rasch und mit finsterem Blick funkelte sie den Sohn Svanirs vor sich an.
„Verdorbene Bastarde!“ brüllte sie in den Wind und spuckte ihrem Gegenüber ins Gesicht.
Abermals verzerrten sich die Lippen des Norn zu einem Grinsen. Seine kalten Augen fixierten die ihren, zeigten kein Gefühl und keine Regung. Mit einer knappen Handbewegung wischte er sich über die Wange und holte schließlich aus.
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Der Geschmack von Blut machte sich in ihrem Mund breit. Verteilte sich widerlich, sodass sie ausspucken musste. Laut drang das Lachen der beiden Verdorbenen durch die Luft. Dann folgte ein kurzer Wink des Helmlosen und die Rothaarige wurde unsanft in den Schnee geworfen. Ihr Gesicht grub sich in diesen ein, färbte ihn rot vom Blut, welches aus ihrem Mund sickerte. Abermals wurde sie gepackt und herum gerissen. Und sie wusste, was ihr blühen sollte.
Der Tod war die bessere Alternative...
Doch sie wollte den Svanir den Triumph nicht gönnen, wollte sich nicht die Schmach geben, ein verdorbenes Kind auszutragen, wollte Leben und Frei sein!
Er beugte sich über den so zierlichen Körper, packte an ihren rechten Schenkel, drückte diesen zur Seite... Laut schrie sie auf. Zorn und Wildheit flammten in ihren Augen, in ihrem Herzen und in dem Körper der jungen Norn. Sie vergrub die Hand im Schnee und warf ihm diesen mitten ins Gesicht. Er stutzte und wischte sich über die Augen. Dann zog sie ihr Knie nach oben. Traf ihn, wo es wohl am Meisten schmerzte. Denn er keuchte laut auf und ließ von ihr ab. Der Andere zog sein Schwert, bereit ihrem Leben ein Ende zu bereiten.
Flink rappelte sie sich auf und trat dem Helmlosen abermals fest in den Schritt. Er sackte nun endgültig unter lautem Ächzen zur Seite.
Ihre Hand glitt an den eigenen Stiefel. Der Dolch ihres Vaters. Er hatte ihm schon gute Dienste geleistet und würde es bei ihr ebenfalls tun. Laut knurrte sie den Schwertträger an. Die Zeit schien still zu stehen, während sich die Beiden anstarrten und auf die Regung des Anderen warteten.
Weit holte er mit dem Schwert aus, schlug mit schnellen Hieben nach ihr. Sie stieß ihre Beine im Schnee ab und sprang nach hinten weg. Knapp war es gewesen und doch hatte er ihrem Mantel einen deutlichen Schnitt am Bauch verpasst. Eilig huschte sie um einen Baum herum, er folgte mit erhobenem Schwert. Immer bereit zum Schlag.
Muss an ihn heran kommen... rauschte es durch ihre Gedanken.
Die blauen Augen glitten über den Verdorbenen, suchten eine Schwachstelle. Im Augenwinkel sah sie den Anderen aufstehen. Noch immer hielt er sich den Schritt. Doch sein Blick erfasste sie, musterte sie. Zornig spuckte er aus und sein Brüllen erfüllte den Himmel, bis weit hinauf.
Wieder drang ein Knurren über ihre Lippen. So sollte es nicht enden. So würde es nicht enden. Ihr Knurren wurde lauter und bedrohlicher... War es nur ihr Eigenes?
Suchend schweiften ihre Augen kurz durch den Schnee. Erspähten etwas. Flinken Schrittes kam es näher... Setzte zum Sprung an... Packte das Horn am Helm des Svanir und riss ihn mit in den Schnee.
„Helví!“ keuchte sie auf und sprang fast gleichzeitig an die Seite des Wolfes. Den Dolch hoch erhoben, rammte sie ihn in die nackte Brust des Norn. Es war, als durchdringe sie eine dicke Eisschicht, als sie den Dolch durch Haut, Muskeln und Rippen drückte. Und als sie ihn wieder herauszog, begleitete die Klinge ein Schwall von Blut. Und instinktiv wusste die Rothaarige, dass der Erste sein Ende gefunden hatte. Wusste instinktiv, dass sie gerade ein Leben beendet hatte...
Der graue stattliche Wolf setzte sich einen Moment lang an ihre Seite. Er reckte den Kopf in den Himmel und begann zu heulen. Schließlich funkelte er die Rothaarige mit treuem Blick an und verschwand wieder im Flockenwirbel.
Ihr Herz pochte bis zum Hals hinauf, schien aus der Brust springen zu wollen, als sie ihren Blick umher schweifen ließ, um den anderen Norn auszumachen.
Er hatte ebenfalls einen Dolch gezückt. Die Klinge war von Eis überzogen und beinahe so lang wie ihr eigener Unterarm. Doch die Rothaarige wich keinen Deut zurück, als er auf sie zu hielt. Sie erhob sich eilig und griff fester mit ihrer Hand um die eigene Waffe. Gleich sein erster Hieb galt ihrem Hals. Sie duckte sich darunter weg und hörte ihn fluchen. Abermals holte er aus, eine zu große Bewegung für eine solche Waffe. Denn die Norn trat ihm in den Bauch, so fest, dass sie sich selbst in den Schnee katapultierte. Rasch waren die Kämpfer wieder auf den Beinen. Sprangen sich brüllend und knurrend entgegen, hieben mit der Waffe auf einander ein...
Sie spürte einen tiefen Schmerz an ihrer Wange, als der Verdorbene auf ihren Kopf zielte und sie sich wegdrehen wollte. Ein Schnitt zog sich über ihre rechte Wange. Das Blut tropfte aus ihm, rann über ihr Gesicht und den Hals hinab. Laut schrie sie auf. All der Zorn, all die Wut und die Trauer, die sich in ihr gesammelt hatten brachen aus. Sie duckte sich unter seinem nächsten Hieb hindurch, machte eine halbe Drehung und schlug ihm den Dolch in die Seite. Dann sackte sie auf die Knie, sank im Schnee ein. Abermals ein stechender Schmerz, der sie keuchen ließ. Laut heulte die Norn auf, als er seine Klinge aus ihrem linken Schulterblatt zog.
Und dennoch war sie im selben Moment froh, in die Knie gegangen zu sein... Sie sammelte all ihre Kraft, stieß sich vom Boden ab und rammte ihren Kopf in den Bauch des Svanir. Beide kippten um. Schnee wirbelte auf und vermischte sich mit einem lauten Aufschrei, als die Rothaarige ihren Dolch abermals in einem Herzen versenkte.
Wolf, mein Vater... Schütze meine Liebsten... Schütze meine Heimat... Valí... Ihre letzten Gedanken verloren sich, als sie auf dem Norn zusammenbrach und die Dunkelheit ihre Sinne einhüllte.
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