Degradiert

Geduckt lag sie im hohen Gras unter einem Busch, der sie - dank dem braunen Fell und der Erdverklebten Kleidung - gut vor Blicken verbarg. Es war unglaublich warm an diesem Tag und die Sonne brannte sich auf das teils ausgedorrte Gras. Strahlend blau war der Himmel, nur hier und da von kleinen, nebligen Wolken durchzogen. Ein wunderschöner Tag für ein Schläfchen hier im Schatten, wenn da nicht das Gewehr gewesen wäre, welches sie vor sich aufgestellt und geladen hatte. Stechend lag ihr Blick, der dem Himmel in seiner Farbe glich, unten am Hang, dort wo die Felsen einen unscheinbaren, doch vorhandenen Durchgang boten. Anrak...wo bleibt ihr...seid schon viel zu lange da unten. Wartest du, dass ich einen von Blut vor Augen und Lauf bekomme? Flamme...halt, das wäre erst einmal gut. Oder besser noch einen Tribun...nein, da sitz ich gleich in der Palisade. Vermutlich bin ich schneller tot.
Einen kurzen Moment gönnte sie sich und schloss die Augen. Tief atmete sie durch, ehe sie blinzelnd zurück hinunter starrte, wo ihr Legionär mit dem kleinen Trupp verschwunden war. 'Trupp' und 'Legionär' waren Bezeichnungen, die nur in ihrem Kopf herrschten. Sie waren ein Haufen zusammen gewürfelter Charr, die das taten, was sie gut konnten: Mit Sprengstoffen und Zündern experimentieren und diese an den verschiedensten Orten ausprobieren. Doch eigentlich waren Anrak und sie für die Feinarbeiten zuständig. Die beiden Anderen - Kralle Warum auch immer der sich so nennt mit diesen ausgerissenen Stummeln. und Braakz - die besorgten das Zeug für die ganzen Versuche. Es war immer wieder erstaunlich, wo sie die Sachen herbekamen. Bisher waren die Meisten ihrer Versuche mehr als schief gegangen. Aber die neuen Minen mit Zeitverzögerer, einer ordentlichen Portion Schwarzpulver und ein paar Dingen, die nur Anrak kannte, die waren schon bei den ersten Tests mehr als vielversprechend gewesen.
Verflammt! Jedes Mal! Nur dass ich sonst mehr weiß als jetzt. Ich hasse es, wenn du mich im Dunkeln tappen lässt! Hier oben liegen und...warten.
Mit einem leisen Brummen verlangerte sie ihr Gewicht auf die hinteren Läufe und hielt ruckartig inne. Die Augen engten sich und keine Regung tat ihr Körper mehr. Anspannung war darin, während die Pupillen sich nach rechts bewegten und der Kopf in seiner Position verblieb. Leise brummte ein Käfer an ihrem Ohrenpaar vorbei, nur um sich auf einem entfernten Grashalm nieder zu lassen. Langsam atmete sie aus und zuckte mit den Ohren. Verzieh' dich, Käfer. Sonst bekommst du den ersten Schuss.
Die Zeit verging und es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Könnte es sein, dass ihr Trupp einfach durch die Felsen hindurch gegangen war, um sie zurück zu lassen?! Nein. Das würde Anrak niemals tun, da war sie sich sicher. Zu viel hatten sie gemeinsam durchgestanden. Von wütenden Geistern, bis hin zur Flammen-Legion, der sie nur knapp entgingen...Er würde sie niemals zurück lassen. Doch warten wollte sie auch nicht weiter. Und so entsicherte sie das Gewehr, um es zurück auf ihren Rücken zu schnallen, neben die Flinte. Abermals wanderte der genaue Blick den Hang hinunter und einen weiteren Moment gönnte sie sich kaum einen tiefen Atemzug. Jedes Geräusch, jeder Eindruck, alles wurde aufgesogen und gedeutet. Das Plätschern des entfernten Wasserfalls, wie auch das Brummen der Käfer durch die Nachmittagssonne. Kaum ein Geräusch entging ihr. Und wie sie sich sicher war, dass zumindest vor den Felsen niemand auf sie wartete, sprintete sie durch das Gras und verschwand zwischen den Steinen.


Nur einen Sprung weiter, da hatte die Dunkelheit sie schon vollends verschluckt und die Kühle der Höhle war wie ein Schlag ins Gesicht. Blinzelnd drückte sie sich seitlich an den Fels und spähte nach vorn. Doch außer kleinen Lichtpunkten, die vor ihren Augen tanzten, konnte sie in der Dunkelheit nichts ausmachen. Hinter ihr war der fast verborgene Eingang zwischen den Felsen von hellem Sonnenlicht getränkt, das vermutlich noch mehr in den Augen stechen würde, je länger sie hier drin bliebe. Aber das waren Dinge, über die sie sich später Gedanken machen würde. Da ihr die Augen noch immer nicht den Einblick geben konnten, den sie haben wollte, schloss sie diese und lauschte angestrengt in die Dunkelheit hinein. Nichts.
Sie spielte auch mit dem Gedanken, das Glöckchen aus seinem Polster zu befreien, damit ihr Trupp sie hören konnte, doch wusste sie selbst nicht, was sie in der kleinen Höhle erwartete. Also blieb sie stehen, lauschte weiter und öffnete nur langsam wieder die Augen, die ihr nun nach und nach keine Lichtpunkte mehr vorspielten.
Wo seid ihr...lasst mich einfach unter dem Busch warten und verzieht euch...Männchen. Ich würde euch etwas erzählen, wenn ich könnte. Aufschreiben ist einfach nicht das Selbe.
Langsam hatte sie sich weiter bewegt und streckte nun sacht den Kopf nach oben. Ein Lichtschein drang vor ihr ganz leicht nur durch die Weite der Höhle. Doch sonderbar flackernd und die Lichtquelle nicht auszumachend. Wieder hielt sie die Luft einen Augenblick lang inne und lauschte. Ein Klicken. Leises Brummen. Keine Stimmen. Doch entfernte Schritte. Tief atmete sie aus und schob sich auf leisen Sohlen weiter, dem Licht entgegen. Klicken ist gut...Zünder läuft. Warum also kommt ihr nicht raus? Brummen...könnte Braakz' sein. Nur dann hat er wieder einen Käfer im Hals, so wie sich das anhört. Und dieses Licht..Ein Feuer ohne Explosion? Kein Knall? Ihr enttäuscht mich.


"Raus hier!" Der Ruf der bekannten Stimme ließ sie mehr routiniert und ohne nachzudenken handeln. Gleichzeitig passierten mehrere Dinge, als sie das gepolsterte Säckchen von ihrem Glöckchen riss, Braakz und Kralle um eine Biegung stürmten und in sie hinein rannten. Sie sah fast sofort, dass etwas gewaltig schief gegangen war. Allein schon, wie sie sich aufrichteten und sie nach oben auf die Beine rissen. Kralle keifte ihr etwas mit der bassigen Stimme entgegen, worauf sie das tat, was sie bisher bei den meisten Versuchen getan hatte: Rennen.


Das Brummen schwoll rasch zu einem Grollen an, als die Flammen sich den einzigen Weg suchten, den sie gehen konnten. Den drei Charr hinterher, die den Ausgang aus der kleinen Höhle schon direkt vor sich hatten. Hitze brannte auf dem Fell, in den Augen und machte jeden Atemzug schwer. Reiga spürte noch einen Schlag von hinten auf ihren schmerzenden Rücken, ehe sie in das gleißende Sonnenlicht fiel.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora