Es war einer dieser seltenen Tage in Löwenstein, die selbst ein Anwohner als friedlich und idyllisch bezeichnen würde, doch noch mehr wussten es wohl besser. So auch die Künstlerin, die im Rücken die mahnende und tadelnde Präsenz ihrer Mutter spürte, während sie krampfhaft mit einer Hand versuchte ein Holzbrett am Stall zu befestigen. Ein unnützes Unterfangen, doch es erlaubte ihr den Blickkontakt zur der Frau zu vermeiden, die sie gebahr. Xenia Iorga war eine imposante Frau in jeder Form. Ihr wahres Alter trug sie mit Würde und war dennoch erschreckend jung geblieben, während im hellen Blick soviel Wissen und stille Geheimnisse warteten. Sie war adrett, streng- aber auch eine Person, die ihre Liebsten mit Wärme überschütten konnte, wann immer sie nötig war, oder sie es für angemessen hielt. Hier und jetzt, war es ihr kleiner Enkel auf dem Arm, dem die Ehre großelterlicher Liebe zuteil wurde. "Kannst du bitte mal einen Moment von diesem Schutthaufen den du Hühnerstall nennst ablassen und mich ansehen?" Was wie eine Bitte klang, war nicht mehr als die subtile Aufforderung einer Mutter die wusste, dass ihr Kind über kurz oder lang verlieren würde und obwohl Nicolaes Frau für erschreckend ausdauernde Geduld bekannt war, sah sie im Falle ihrer Kinder doch gerne darüber hinweg. Veruca dankte die 'Bitte' in keiner Form und entlud ihren Frust am Holzbrett, wogegen der Hammerkopf tockte und eines der Hühner verschreckte. Noch ein weiterer Schlag folgte dem ersten und wo sie im ersten Moment ihren Erfolg sah, verzog sie durch die Bewegung doch das Brett und schlug neben dem Nagel aufs Holz. Der erste Blick voller stummer Vorwürfe galt dem eingegipsten, linken Unterarm, der zweite dem Holzbrett und der letzte dem Hammer, den sie mit Schwung zu ihren Füßen im Boden versenkte- kritisch nahe der eigenen Zehen. "Das ist Männerarbeit die du da verrichtest Vera. Warum lässt du das nicht deinen Mann machen?" Schon jetzt kribbelte es unangenehm im Nacken, denn die Tochter wusste in welche Richtung dieses Gespräch laufen würde- imnerhin war es nicht das erste das sie mit ihrer Mutter führte. Mit einem Seufzen stemmte Vera sich höher und griff nach dem hölzernen Maßband, um es als Kratzhilfe zu nutzen und vorsichtig unter den Gips zu schieben. Der nächste Laut aus ihrer Kehle klang deutlich zufriedener als alles hiervor. Endlich wagte sie es auch den Blick zur Mutter zu drehen und ihre Gestalt in den Geist zu brennen. Sie liebte sie unendlich, aber dennoch war sie heute nicht bereit, diese Art von Gespräch zu führen. Am schlimmsten war das kleine Gefühl von Schuld, weil sie jetzt lieber nicht ihre Mutter gesehen hätte, wo andere aus ihrer Familie nicht mal mehr das Glück beider Elternteile besaßen. "Weil er nicht da ist Mama. Möchtest du noch was trinken?" "Lenke nicht ab Veruca. Warum ist er nicht da, während mein Kind mit gebrochener Hand versucht einen Stall zu reparieren?" Das Kribbeln im Nacken, dieses unwohle Gefühl von Vorwurf und Anklage, nahm merklich zu und verlieh selbst den bis eben noch angenehm warmen Sonnenstrahlen eine zwickende Note. "Weil ich den Mist hier selbst verbockt habe und ich wäre nicht das Kind meiner Eltern, würde ich die Dinge nicht ab und auch selbst in die Hand nehmen." Diesem Argument konnte sich selbst Xenia nicht entziehen, doch wirklich zufrieden war sie damit natürlich nicht. Und natürlich hielt es sie auch nicht davon ab, weiter in diese Richtung zu gehen, während sie ihren glucksenden Enkel auf dem Arm wog und auch einen prüfenden Blick zu Tommy warf, der mit Ainfean und dem jungen Rüden Paco auf einer Decke saß und der Geschichte lauschte, die die Sylvari erzählte. "Ich mache mir Sorgen Veruca. Dein Vater bringt nur selten gute Kunde mit, wenn ich ihn nach dir Frage." Nur minimal schmälerte Veruca die Augen, doch es reichte aus, um nun die Mutter mit stummen Tadel zu überschütten. "Achso? Und woher will Papa wissen was ich hier treibe?" Natürlich wusste sie längst um ihre Beobachter, denn nicht einmal die Tochter von Nicolae Iorga durfte in seinem Gebiet frei walten und schalten wie es ihr beliebte. Nicht einmal atmen, ginge es nach ihrem Vater, der redlich drum bemüht war einen jeden Schritt seiner Sprösslinge zu sehen. Und seine Leute waren nicht die einzigen die regelmäßig ihre Runden dort zogen, wo Vera sich zeigte. "Dein Vater möchte euch versorgt und wohlauf wissen Vera. Und im Moment scheint bei dir keins von beidem der Fall zu sein. Brauchst du Hilfe?" 'Nicht von euch.' Aber die Antwort kam nicht über die Lippen. Matt schüttelte sie den Kopf, dann reckte sie das schmale Kinn ein wenig mehr. "Adya hilft mir, wenn ich welche brauche. Und Papa braucht sich keine Sorgen wegen seiner Geschäfte machen, ich bin keine Konkurenz für ihn. Das wissen wir doch beide Mama." Erst hier wagte sie sich näher und streckte die heile Hand aus, um dem eigenen Sohn auf Xenias Armen behutsam über den Kopf zu streicheln. "Und meine Probleme mit Männern lass meine sein, in Ordnung?" Und als hätte sie ea geahnt, war es natürlich _nicht_ in Ordnung. "Ich lasse sie dann deine Sorgen sein, wenn endlich einer dabei ist der sich um dich kümmert. Warum gehst du nicht mal mit Johann aus? Der Sohn von den Gerberichs." "Ich weiss wer das ist Mama..." versuchte sie die Mutter noch beim Versuch zu unterbrechen, doch vergebens."er schwärmt doch schon so lange für dich. Gut erzogen, gutes aussehen...er würde dich auf Händen tragen." "Danke Mama, aber so besoffen kann ich nicht sein, den Heimweg nicht auf eigenen Füßen zu schaffen." Die sachte Bestürzung über die Abfuhr eines Kandidaten, der den mütterlichen Segen längst hatte, zeigte sich nur minimal in Xenias Miene und einem seufzen. "Wann stellst du uns deinen jetzigen Mann vor? Dein Vater wird langsam ungeduldig." Was Vera durchaus verstehen konnte, auch wenn ihr das große Interesse an ihrem Liebesleben widerstrebte und noch mehr, wie ihre Mutter ihre letzten Worte betonte. 'Dein jetziger' Mann. Als hätte sie jedes Jahr einen neuen. "Wenn es sich ergibt Mama. Bitte, können wir jetzt einfach das Thema wechseln?" "Du bist unzufrieden." Sprach Xenia das Offensichtliche aus und Schnitt ihrer Tochter noch jeden Versuch zur verbalen Ausflucht mit dem heben der Hand ab. "Keine Ausflüchte. Ich bin nicht auf den Kopf gefallen Veruca und ich habe dich nicht zu einer jungen Frau erzogen, die ihren Unmut in dieser Form jeden präsentiert. Dieser Frust steht dir nicht. Kläre es also, bevor dein Vater sich dazu berufen fühlt." Und wie das enden konnte, wussten beide Frauen- immerhin hatte der liebe Vater sich schon einmal eines Männerproblems angenommen, dessen Verursacher seit dem nie wieder gesehen wurde. Bei der Erinnerung schürzte Veruca die Lippen und schüttelte abwehrend den Kopf. "Das wird nicht nötig sein Ma. Wirklich nicht. Mach Papa das auch klar...bitte." erweicht durch den bittenden Klang der Worte, nickte Xenia zustimmend. Doch beide wussten das es nur ein kleiner Aufschub des unvermeidbaren war, würden sich ein paar Dinge nicht ausreichend ändern. In diesem Augenblick wurde ihr wieder so schmerzhaft vor Augen geführt, warum sie jeder ernsten Bindung ihr halbes Leben aus dem Weg gegangen war und warum es sich damit deutlich leichter gelebt hatte, als mit dem jetzigen Nervenkrieg. Während das kleine Stimmchen im Geist schon wieder zur Flucht gemahnte, strich ihr Blick über die winzige Gestalt ihres Sohnes und ersetzte den verräterischen Teufel im Kopf durch einen Moment der Zufriedenheit. Sie hatte alles was sie brauchte. Alles andere waren Kleinigkeiten im Angesicht ihres eigenen Sprosses im Arm der Mutter, deren Sorgen sie letztendlich zu verstehen begann. "Ich hab dich lieb Mama und ich kläre alles, also mach dir keine Sorgen, ja? Schauen wir mal ob Fio und Tommy was vom Kuchen übrig gelassen haben."
Ein Stück war tatsächlich übrig geblieben und wurde für alle geteilt bei Alltagsanekdoten, Frauengesprächen und dem Versuch, dem jungen Tommy einen angenehmen Nachmittag in der löwensteiner Sonne zu bereiten.
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