Aus den Aufzeichnungen des Rabenschamanen Thure Garulfson, Ältester des Hochgipfel-Things, Bewahrer der Legenden und Meister der Runen über die Nacht der Nebel und die Überlieferung, was geschehen muss, damit die Schrecken fern bleiben.
Die Zittergipfel sind wild und voller Gefahren. Ihre Wurzeln reichen tief in das Herz der Welt und ihre Gipfel berühren die Sterne, denn sie sind so alt wie die Zeit. Und alt waren sie schon, noch bevor der erste unserer Ahnen durch die Täler streifte und wild waren sie immer noch, als das erste Feuer brannte. Aber es gibt Orte, die sind gefährlicher als andere. Dort, wo die Grenzen zwischen den Welten verschwimmen; dort, wo die Wirklichkeit dünn ist, in den Schatten, in den Nebeln, in der Dunkelheit.
Jedes Jahr, wenn sich der Sommer neigt und der lange Winter kommt, wenn die Schatten länger werden, dann kommt die Nacht, an denen die Nordlichter verstummen und der Mond voll und kalt über den Gipfeln steht. Die Nacht, in welcher das Licht der Sterne matt ist und nicht durch die Wolken dringt. In dieser Nacht sind die Grenzen zwischen den Welten dünner als sonst und die Nebel sind nah. Und die Nebel sind es, die aufsteigen aus den dunklen Orten dieser Welt, die schon unsere Ahnen mieden. Im Tal von Keryast kommt der Nebel aus den Wassern des Cathair na Ceo und legt sich über die Landschaft. In Vadrefjort kommen die Nebel aus der Frostklamm. Um Halvars Gehöft steigen die Nebel von der toten Quelle her auf. Denn überall in den Zittergipfeln finden sich alte Orte der Macht, an denen die Schleier dünn sind und die Welt umher gefährlich. Mit den Nebeln kommen die Schrecken, verborgen, flüsternd und lockend - älter als die Berge selbst.
Vor der Nacht der Nebel zündet Feuer an, so viele, wie ihr könnt. Hängt Laternen auf, an den Türen, an den Fenstern, an den Simsen. Hängt sie so, dass kein Schatten bleibt, keine dunkle Stelle geworfen wird. Zieht das Jahr über Kerzen und verteilt sie. Feuert den Kamin an, wie die Esse des Schmieds, wie das brennende Herz der Berge.
Ein jeder Norn, ob Kind, ob Weib, ob Schmied, ob Krieger soll in den Hütten bleiben, denn die Nebel kommen. Selbst der Jäger, der Bergschürfer, die Kriegerin, die ihrer Legende folgt, die Hirtin und der Köhler, sie alle kommen und versammeln sich. Denn wer draußen bleibt, im Tal, der verschwindet im Nebel und wart nie mehr gesehen. Wer alleine bleibt, der hört den Ruf und und wandert in die Nebel.
Ihr aber, die ihr euch versammelt habt, schürt die Feuer überall, kein Schatten darf bleiben, kein Nebel ins Dorf kommen. Folgt den Schamanen und stimmt die alten Weisen an. Musik muss aus einer jeden Halle strömen, auf dass die flüsternden Lügen aus den Nebeln nicht zu hören sind.
Im Kreise um die Feuer sollt ihr euch versammeln und den Raben preisen. Denn er geleitet euch sicher durch die Nebel. Und ihr ehrt den Raben, indem ihr beweist, dass euer Geist schnell und scharf ist wie ein gutes Schwert. Beweist dies und löst zu seinem Ruhm Aufgaben mit dem Verstand, die ihr euch aufsagt. Dann wird der Rabe Weitsicht schenken und euch sicher durch die Nacht geleiten. Und wenn der Zenit der Nacht übersprungen wurde, wenn ihr genug gesungen und euren Verstand genutzt habt, wenn die Feuer die Finsternis vertrieben, dann zieht sich der Nebel zurück und die Schrecken gehen ohne Beute.
Und wenn die Sonne die Berge und Täler wärmt, verlasst die Hütten und preist die Geister erneut, denn die Nacht der Nebel ist vorüber.
(by Ronja)
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Die Nacht der Nebel: ein bedeutsames, mystisches Ereignis und einer der der großen vier Festtage im Nornjahr, mitunter der düsterste seiner Art. Die Tage werden kürzer, die Nächte länger und dunkler. Die Natur bereitet sich auf den Prozess des Sterbens vor. Die Zeit um Nacht der Nebel herum,(-) ist das Ende aller warmen Tage. Dies ist die Zeit, in der die Kälte tief in die Knochen zieht, Ernte und Fülle vorübergeht, der Winter kalten Mantel über die Zittergipfel legt. Dem Vergänglichen wird gedacht, die Ahnen geehrt.
Aus den tiefsten Schluchten, aus den höchsten Wipfeln, aus den hintersten Winkeln der Berge dringen Nebelschwaden hervor und überziehen das Land, als wollten sie es in ihrem dichtem Dunstgewebe ersticken. Aus vieler Munde kann man Warnungen vernehmen, die einen davon abhalten sollen, sich in dieser Nacht hinaus zu wagen. Man sagt, die Grenze zwischen dem Hier und dem Dort, der jenseitigen Sphäre in den Nebeln, sei in dieser Nacht besonders dünn. In den dunstigen Schwaden könne einem großes Unheil begegnen - manche sprechen von gespenstischen Trugbildern, grausigen Spiegelungen der eigenen Ängste, andere wiederum glauben, man begegne dort den verzerrtenAbbildern Verstorbener, Vorfahren, die von uns gegangen sind, oder aber niedergeschlagenen Feinden, deren rachsüchtigeGeister nach Vergeltung suchend, zurückkehren.
Brauchtümer
Rabenmesse
Dieser Festtag und die anbrechende Zeit steht ganz unter dem Zeichen Rabes, dem Künder des Morgens, dem Herrn des Wissens. Ist jener große Tiergeist doch der, welcher den Norn in dieser finsteren Zeit zur notwendigen Klarsicht und Stärke in Gedanken und Geist verhilft und sie auf die richtigen Wege leitet. Um ihn zu ehren, versammeln sich die Norn, unabhängig davon, welchem Tiergeist sie persönlich auch folgen mögen, zur Abendstunde, bevor die Nebel das Land überziehen. Rabes Schamanen sind es, welche des Vaters Segen für das Volk der Norn in einer Messe erbitten.
Eine Frage der Schläue
Ein weiterer Brauch ist Vater Rabe gewidmet. Dieser besagt, dass Rabe es besonders schätze, wenn man in der Nacht der Nebel eine Aufgabe des Wissens besteht. In den Wochen vor diesem Festtag wird einer jeder Sippe oder jeder Versammlung, jedes Rudels oder jeder Gemeinschaft von der Mehrheit herausgedeutet. Es ist an jenem Norn, sich ein Rätsel auszudenken, welches er den anderen in der Nacht der Nebel stellt. Bis der nächste Tag anbricht, soll das Rätsel gelöst, Verstand und Geistesschärfe geschult werden, um den Trugbildern der Nebel stärkeren Einhalt zu gebieten.
Klarer Geist ruht nicht im Schnaps
Sich den Verstand mit verschiedenen Mitteln zu benebeln, steht in hartem Kontrast zu dem, was in dieser Nacht besondere Wichtigkeit verlangt. Ein Alkohol- oder Rauschkraut geschwemmter Geist ist weitaus anfälliger für die Tücken, die in den Nebeln lauern. Man meidet dergleichen Zustände an diesem Tag und der Nacht selbst.
Das Licht weist uns den Weg
In dieser Nacht werden zahlreiche Lichter auf den Wegen zu den Häusern, an den Hütten und in ihrem Inneren aufgestellt, um den Einsamen, im Nebel irrenden Norn den Weg in die Gemeinschaft zu weisen. Es ist an jedem Haus, den Schutzsuchenden, seien sie fremd oder bekannt, in dieser Nacht Einlass zu gewähren. Kinder bemalen und basteln Papierlampions oder höhlen Rüben aus, um den Körper dieses Gemüses als Laternenschirm zu entfremden. Es werden Kerzen gezogen und zu künstlerischen Kleinkunstwerken verarbeitet. Die Feuer an den Gehöften werden ordentlich geschürt und für ausreichend Brennholznachschub wird im Vorhinein gesorgt. Auf vielen Märkten werden aufwändigere gusseiserne oder schmuckvolle hölzerne Laternen feil geboten.
Musik soll erklingen
Es ist Brauch, dass sich Skalden und Musiker in den Gemeinschaften einfinden um ihr Liedgut zum besten zu geben. Mit den Klängen halte man die schleichenden Schatten aus den Nebeln fern, so sagt man. So sich kein Spielmann finden lässt, singt man gemeinschaftlich in der Gruppe, egal wie hoch, schräg, dumpf oder klar es klingen mag.
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Der Ritus der Rabendiener in Hoelbrak
Kurz vor der achten Abendstunde sollen sich Norn, die dem Ritus beiwohnen wollen, vor der Halle des Raben versammelt haben. Dort werden Schalen mit reinem Gletscherwasser bereit stehen. Die Hände sollen darin gereinigt, und einhergehend vierfach mit dem klaren Nass die Stirn benetzt und gekühlt werden.
Ein langer, schmaler Weg führt zum Abbild des Vaters. An beiden Seiten sollen sie sich aufstellen, in der Mitte freien Gang für die Diener Rabes lassen. Sobald das Geisterhorn die
heiligen Hallen erschüttert, beginnt die Prozession. Ein jeder Norn bringt vier verschiedene Kräutergaben zur der heiligen Stätte mit:
rote Chilischoten vom Strauch, frische Minze im Bündel, Blätter vom Thymiankraut und die zarten Spitzen eines Salbeitriebs.
Im Laufe der Prozession wird jeder die Gelegenheit finden, diese zu spenden.
Sobald der zweite Hall des Horns verklingt, endet der Ritus. Die Gemeinschaften sollen rasch in ihre Hütten und Häuser zurückkehren und nicht länger draußen verweilen.