Der Plan
Arvel - wenn das wirklich sein Name war - schnarchte neben ihr. Er hatte sich mal wieder so richtig die Kante gegeben.
Seit Langfinger ihn angeschleppt hatte, tat er exakt drei Dinge: hervorragende Pläne schmieden, mit Elyzabet flirten und sich volllaufen lassen.
Wenn seine eindeutigen Anspielungen ihren abendlichen Höhepunkt erreicht hatten, schlug der Alkohol zu und knockte den durchaus gut aussehenden Schurken aus.
Schon das fünfte Mal in Folge hatte die junge Frau ihn, unter den spöttischen und anzüglichen Rufen der anderen Tavernengäste, hoch auf ihr Zimmer geschleppt.
Arvels Saufgelage und Elyzabets anschließende Anstrengungen erfreuten sich einer seltsamen Beliebtheit bei den zwielichtigen Mittrinkern.
Sie betrachtete ihn still im trüben Licht der Vordämmerung.
Die Rothaarige traute ihm nicht. Aber sie begann ihn zu mögen.
Vorsichtig richtete sie sich auf. Als sie aufstehen wollte, griff seine große Hand nach ihrem schmalen Handgelenk. „War es für dich auch so gut, wie für mich?”, murmelte er noch halb im Schlaf.
Sie konnte sich problemlos von ihm lösen und schnaubte nur kurz: „Klar. Du warst umwerfend. Ganz genau wie in den vier Nächten davor...”
„Warum lügst du, Ely?”
Der junge Rotschopf schnaubte verächtlich und ging in Richtung des schmucklosen Paravent in der Ecke neben der Tür. Dahinter befand sich der schlichte Waschtisch, bestehend aus einem einfachen Holzgestell und einer darin eingelassenen Emailleschüssel.
„Warum sollte ich dich anlügen?”
„Man sieht es an deinem Gang!”
„Was?”, sie war sich nicht sicher, was an seiner Aussage sie mehr irritierte: seine Annahme, dass zwischen ihnen irgendwas gelaufen war oder die Selbstsicherheit, mit der er diese vortrug.
„Man kann es Frauen ansehen, ob sie Spaß hatten.”
„Ah, ja...”
„Ich habe da eine gewisse Expertise”, seine Stimme nahm wieder diesen tiefen, sanften Klang an, von dem er glaubte, dass es ihn besonders anziehend erscheinen ließ.
„Klar”, sie zog sich hinter dem Sichtschutz aus, tauchte den Schwamm, der auf dem Rand der Waschschüssel lag, in das kalte Wasser und begann mit ihrer Morgentoilette.
Arvel erhob sich leise vom Bett und folgte ihr durch den Raum. Er war groß genug, um ohne weitere Anstrengungen über die kleine Trennwand spähen und sie beobachten zu können. „Ich finde es sehr bedauerlich, dass du dir so viel Mühe gibst, so zu tun, als hättest du kein Interesse daran, es selbst herauszufinden...”
Er konnte der vollen Wasserschüssel, die sie nach ihm schleuderte nur knapp ausweichen.
„Ich muss sagen, ich finde durchaus Gefallen an dieser Vorstellung”, lachte er.
Elyzabet griff sich wütend ihr Handtuch und wickelte sich darin ein.
„Ich verstehe gar nicht, warum du jetzt so sauer bist.”
Sie ging zu dem Stuhl, auf dem sie ihre Kleidung fein säuberlich zusammengefaltet abgelegt hatte und griff nach ihrem Dolch.
„Es gibt keinen Grund, sich zu schämen”
Langsam ging sie mit gezückter Waffe auf ihn zu: „VERLASS. DIESES. ZIMMER!”
„Du kannst dich wirklich sehen lassen, Ely”, er grinste noch immer breit, wich aber in Richtung Tür zurück.
„NENN. MICH. NICHT. ELY!”
„Ich sehe schon, du brauchst noch ein bisschen Zeit, um aufzutauen”
„VERLASS. SOFORT. DIESES. ZIMMER!”
Als die Rothaarige in den Schankraum des Flaschenhalses kam, steckten Langfinger und Arvel bereits ihre Köpfe über einem kleinen Stapel Dokumente zusammen.
„Ah, die Dame gibt uns die Ehre”, begrüßte Langfinger sie mit unverhohlenem Sarkasmus.
Sie erwiderte seinen Kommentar mit einer schiefen Grimasse, setzte sich den beiden gegenüber und gab der Schankmaid ein Zeichen, dass sie Frühstück bringen sollte. Die kurvige Angestellte des Gasthauses war Arvel bereits auf den Leim gegangen, so viel konnte der Rotshopf aus den Blicken herleiten, die die junge Frau der Gruppe immer wieder zuwarf.
Elyzabet beugte sich in Richtung der beiden Herren über den Tisch und betrachtete das ausgerollte Pergament in ihrer Mitte: „Also?”
Langfinger schob den Plan zu ihr hinüber. „Es ist ziemlich simpel. Im Keller des Waisenhauses ist der Zugang. Unterhalb der Stadt gibt es ein Tunnelsystem.”
„Auch Kanalisation genannt”, fiel Elyzabet ihm ins Wort.
„Kein offizieller Teil, aber ja, so könnte man es nennen”, erwiderte Arvel und musterte sie mit einem viel sagenden Grinsen.
Der alte Schurke räusperte sich ungeduldig. Es missfiel ihm sichtlich, wie die beiden jüngeren sich ansahen und miteinander sprachen. Vor allem Elyzabet warf er einen strafenden Blick zu, bevor er zu dozieren fort fuhr. „Diese Gänge sind weitestgehend unbekannt. Sie verbinden alle wichtigen Häuser in Götterfels miteinander. Ursprünglich waren sie als geheime Fluchtwege für die Adligen und die Elite angelegt, sind aber mit der Zeit in Vergessenheit geraten. Ich hatte schon Gerüchte darüber gehört. Unserem geschätzten Freund hier ist es gelungen Pläne dieser alten Tunnel aufzutreiben.”
Arvel nickte zufrieden.
Die Schankmaid kam mit einem großen Holzbrett und tischte ein herzhaftes Frühstück auf, bestehend aus reichlich Brot, gebratenem Ei und Speck sowie einer Wurst- und Käseplatte. Dazu gab es für jeden der drei einen Becher mit einem herrlich duftenden dunkelbraunen Heißgetränk.
Elyzabet liebte dieses teeähnliche Gemisch. Für sie war es an diesem Morgen der einzige Trost, wenn sie schon hier mit diesem Aufreißer sitzen musste.
Während die Schankmaid die Teller und Becher von ihrem Tablett auf den Tisch lud, herrschte Schweigen. Die junge Frau warf Arvel immer wieder verstohlene Blicke zu, die dieser mit einem vieldeutigen Grinsen erwiderte.
„Nehmt euch ein Zimmer...”, murmelte Elyzabet, als die junge Bardame außer Hörweite war und sah ihn grimmig an.
„Vielleicht machen wir das auch - später”, antwortete Arvel und unternahm keinerlei Anstrengungen, seine Genugtuung zu verbergen.
„Dann bleib am besten dort, damit ich dein Geschnarche nicht mehr ertragen muss...”
Langfinger räusperte sich erneut und musterte Elyzabet streng. „Wir betreten das Grundstück des Waisenhauses über die Nordseite. Es gibt nur drei Wachleute. Sie machen stündlich ihre Runde. Das Grundstück ist so groß, dass zwischen dem Passieren des ersten und des zweiten Wachmanns genug Zeit bleibt, um die Mauer zu überwinden und zur Hauswand zu gelangen. An der Giebelwand nach Norden gibt es einen kleinen Anbau. Dort können uns die Seraphen nicht sehen. Wenn der Zweite an uns vorbei ist, bewegen wir uns weiter zu einem der Kellerfenster hier”, er tippte mit einem seiner dicken kleinen Finger auf den Plan, „Ely, du wirst es öffnen. Durch den Keller gelangen wir zu dem Tunnelsystem, bevor der dritte Posten auch nur ahnt, dass wir dort sind.”
„Und dann?”, es fiel Elyzabet schwer, Interesse oder Begeisterung vorzutäuschen, also gab sie sich auch keine besondere Mühe.
„Dann”, Arvel beugte sich leicht über den Tisch, seine Augen blitzten belustigt auf, „gelangen wir über diese Gänge in ein Haus.”
„Klingt aufregend”, sie schob sie unbeeindruckt eine Gabel mit Rührei und Speck in den Mund.
„Nicht irgendein Haus. Das Haus eines bedeutenden Kunstsammlers”, ergänzte Langfinger.
„Toll... Und wie gedenkt ihr die Kunstwerke zu Goldmünzen zu machen, wenn er so berühmt ist, ihr Genies?”
„Müssen wir gar nicht”, fuhr Arvel fort, „Wir nehmen exakt ein Gemälde mit!”
„Für das es schon einen Interessenten gibt, der bereit ist, einen unverschämt überhöhten Preis zu zahlen?”
„Auch nicht...”, er grinste triumphierend.
„Es handelt sich bei besagtem Gemälde um einen Akt. Und wir sind uns ziemlich sicher, dass die betreffende Persönlichkeit ein überaus großes Interesse daran hat, dass diese Jugendsünde nicht in die falschen Hände gerät...”
„Und welchen hochwohlgeborenen Kerl kann man da so bewundern, wie die Götter ihn schufen?”, Elyzabet aß unbeirrt weiter.
„Kein Mann... sondern eine Frau und zwar keine andere, als die Königin”, erwiderte Arvel nun selbstzufrieden.
Die Rothaarige ließ ihre Gabel sinken. „Gut, ich gebe zu, das beeindruckt mich jetzt doch”, entgegenete sie halb ernst, halb spöttisch, „Wenn es denn stimmt - Gibt es Beweise dafür, oder ist es wiedermal nur ein Gerücht?”
Langfinger beugte sich nun ebenfalls vor und verzog die Mundwinkel verschwörerisch: „Es heißt, die Königin hatte eine geheime Liaison mit besagtem Kunstsammler. Und als sie dieses Verhältnis beenden musste, ließ sie diesen delikaten Akt für ihren Liebsten anfertigen.”
Elyzabet rollte mit den Augen. „War ja klar, dass euch so eine Geschichte als Beleg reicht - je schlüpfriger, desto wahrer muss sie sein.”
„Keine Sorge”, Arvels Ton war nun ungewohnt scharf, „ich weiß, dass es dieses Gemälde gibt.”
„Du weißt es also? Und das reicht uns?”, sie sah Langfinger fragend an.
Der alte Schurke nickte nur.
„Na gut. Hoffen wir, dass dein Plan”, sie warf dem jungen Schurken einen ernsten Blick zu, „aufgeht und wir nicht alle im Kerker landen” Sie seufzte und sagte mehr zu sich selbst: „Die Königin erpressen, tolle Idee. Öfter mal was Neues...”
„Dann ist der Plan klar. Übermorgen Abend legen wir los. Arvel wird herausfinden, wo genau im Zielgebäude sich das Bild befindet und du kümmerst dich darum, dass du die Schlösser an den Türen und Fenstern aufkriegst!”, sagte der Älteste in der Runde und sein Unterton gab Elyzabet zu verstehen, dass er keinerlei Widerrede von ihr duldete.
Intro
Es gibt zwei Sorten von Ratten
Die gemeinsame Kindheit mit Mirage
Ein Tag wie jeder andere
Geburtstag
Seraphen und andere Probleme
Der neue Klingenmeister
Weil sie uns niemals kleinkriegen werden
Henry von Greifenstein
Das Ende der Freundschaft zu Mirage
Blut
Wir. Töten. Diese. Ratte.
Kein Feuer so heiß *Spoilerwarnung*
Das Feuer
Erinnerungen