Skeptisch sieht sie auf den kleinen Safe in ihrer Wand. Viel ist nicht darin, nur ein kleines in Leder gebundenes Buch und ein wenig Gold. Ironischer Weise ist es das abgegriffene kleine Büchlein das mehr wert ist und so wiegt sie es mit entsprechender Vorsicht in ihrer Hand. Alt, schwer. Sie kann das Wissen fast fühlen das darin ruht, wie eine Aura die das kleine Werk umgibt. Der Einband aus geprägtem Leder liegt warm in ihrer Hand, die stilisierte Figur darauf mit Kapuze und Hörnern, umgeben von Intarsien wirkt abgegriffen und hebt sich kaum mehr von der glatten Oberfläche ab die Zeit und viel Benutzung immer glänzender hat werden lassen. Der alte Leim knistert leise wenn sie das Buch aufschlägt, vermutlich wird sie es bald wieder neu binden lassen müssen, doch sie kann sich nicht davon trennen. Selbst nach all diesen Jahren nicht.
Die Schrift ist klein und präzise zugleich, die Seiten aus feinem Pergament jedoch eng beschrieben, kaum hat man Ränder gelassen. Dafür das es schon so alt ist, hat das Buch sich erstaunlich gut erhalten. Mag daran liegen dass sie es immer in dem kleinen Metallkasten einschließt der mit einer leichten Verzauberung versehen ist die es vor Nässe, Feuer und anderen Schäden bewahren soll. Langsam blättert sie die dünnen Seiten durch bis sie den Eintrag findet den sie sucht. Sie kennt die Zeilen auswendig obwohl sie die Frau nie getroffen hat die sie schrieb.
Mein Kind kam heute auf die Welt. Es scheint gesund zu sein und keine offensichtlichen Fehlbildungen zu haben. Ein klein wenig Flaum hat es schon auf dem Kopf, fast weiß. Sicherlich färben die Haare sich noch nach. Mein Körper wirkt müde und schlaff, ich habe es allerdings geschafft dank der Heiler etwas zu essen. Das Kind schreit nicht viel, nur ganz zu Anfang als die Hebamme es auf den Hintern klappste damit es Luft holt. Die Geburt war sehr leicht, damit hatte ich allerdings schon gerechnet, immerhin ist es mein viertes Kind. Es trinkt an meiner Brust und wirkt lebendig, schläft jedoch gerade während ich diese Zeilen schreibe. Die Hebamme hat mir versichert, dass es gesund ist und keine Fehlbildungen gefunden wurden, sobald ich wieder bei Kräften bin kann ich weiter reisen. Die Schmerzen waren dank der Kräuter erträglich, vermutlich werde ich in 8 oder 10 Tagen weiter gehen können. Die Ruinen liegen nicht allzu weit von hier, die kleine Siedlung nördlich von Löwenstein hat mich zwar freundlich aufgenommen, doch es juckt mich in den Fingern das Artefakt von dort nach all den Wochen der Suche endlich in Händen zu halten. Die Schwangerschaft hätte zu keinem unpassenderem Zeitpunkt beginnen können, aber nun ist es vorbei und ich fühle mich endlich nicht mehr wie ein wandelnder Quaggan. Kaum zu glauben das dieses kleine Ding mir so viel Unbehagen bereitet hat. Wenn ich zurück denke, bin ich mir nicht mehr sicher wer der Vater ist. Vermutlich der hübsche Gelehrte aus der Universität der mir geholfen hat. Demnach wäre es wohl reinblütig ascalonisch. Bleibt abzuwarten ob es auch kämpferische Fähigkeiten an den Tag legt, doch damit will ich mich nicht näher beschäftigen.
Die Schrift verschwimmt kurz vor ihren Augen ehe sie weiter auf die nächste Seite blättert.
Morgen ist es so weit, ich kann endlich wieder normal gehen und bin zu Kräften gekommen. Mein Gepäck ist verstaut und ich bin froh endlich von hier fort zu können. Es zieht mich nach Norden, zu meinen Ruinen. Eine Frau im Dorf nimmt das Kind mit nach Löwenstein, dort kann es in einem Waisenhaus leben. Ich habe die seltsamen Blicke wohl bemerkt die sie mir zuwerfen, einfach das Kind alleine zu lassen. Dazu hat es noch weiße Haare, sicher denken sie ich wäre eine Hexe auch wenn nichts der Realität ferner wäre. Das kleine Ding ist nur den Aufwand nicht wert der damit einher geht und ich will mich nicht um solche belanglosen Dinge kümmern. Der Weg den ich auf der Karte markiert habe wird mich etwa 3 Tage kosten, führt mich aber um die von Zentauren bekriegten Gebiete herum. Alles andere wäre zu gefährlich, ich will nicht in ihre Hände gelangen und eine gemeine Sklavin werden. Meine Zeit ist zwar kostbar, doch ein solches Risiko kann ich nicht eingehen. Das Artefakt und meine Forschung ist zu wichtig um jetzt auf den letzten Metern zu versagen. Gleichwohl habe ich meine Waffen alle geölt und noch einmal geschärft, ich habe von den Bewohnern hier einige Geschichten von Überfällen und sogar herumstreunenden Piratenbanden erzählt bekommen und werde entsprechend vorsichtig sein. Abseits der Wege wird es beschwerlicher, doch jetzt wo ich das Kind los bin, kann ich dort auch wieder normal gehen und muss mich nicht auf etwaige Karawanen verlassen die meine Reise in den letzten Wochen so verlangsamt haben. Bei der Hebamme habe ich mir ein Kraut gekauft das solche Missgeschickte in Zukunft verhindern wird, den Göttern sei Dank. Sie hat mich nach einem Namen gefragt für das Kind, es ist wohl ein Mädchen. Es nach mir zu benennen wäre wohl vermessen und unnütz, immerhin werde ich meinen Abdruck auf dieser Welt anders hinterlassen als durch ein sabberndes ekelhaftes Ding das ständig schreit und meine Brüste leer saugt bis sie mir zu den Knien hängen. Aber eine andere Frau aus dem Dorf freut sich darüber, sie hat sogar davon gefaselt es adoptieren zu wollen. Meinentwegen, mir ist es einerlei. Den Namen den ich ausgesucht habe finde ich recht hübsch, schade das meine Mutter nicht so rücksichtsvoll war wie ich. Sie heißt Rachel Joanna Dane. Mein Notizbuch werde ich hier lassen und bei meiner Rückreise wieder mitnehmen, es sind ohnehin nur noch zwei Seiten frei und die Ruine wird sicherlich mehr Platz brauchen weshalb ich ein neues Journal mitnehme.
Auf der letzten Seite steht der Name der Besitzerin:
A. T. Dane
Das Buch schlägt sie zu und lehnt die Stirn an die Wand neben dem Safe. Die vierte Schwangerschaft... Sie hat Geschwister deren Geschlecht sie nicht einmal kennt, geschweige denn ihren Namen. Sie stehen nicht in dem Tagebuch ihrer Mutter deren letzter Eintrag das Buch beendet. Nur zwei Seiten sind noch leer geblieben und die Eintragungen beginnen mit der Beschreibung eines kleinen Artefakts das angeblich einiges wert sein soll. Für sie jedoch klingt es eher wie aus einer Sage. Etwas ungreifbares. Aber das sie ungewollt war, das erkennt sie an dem Text klar und deutlich.
Früher hatte sie sich immer gewünscht, vorgestellt dass ihre Mutter bei einem schrecklichen Unglück starb und sie deshalb alleine lassen musste. Deswegen war sie im Waisenhaus aufgewachsen. Aber ihre Mutter liebte sie, ganz sicher. Sie war immer so ein braves Mädchen gewesen hatten die Nonnen im Waisenhaus gesagt, welche Mutter würde so ein liebes hübsches Mädchen denn nicht lieben? Dabei hatten sie ihr immer über den hellblonden Schopf gestreichelt. Wie Sonnenstrahlen, sagte Schwester Sully immer. Das Schwester Sully sie lieber mochte als ihre Mutter, war ein harter Schlag für sie gewesen. Abwesend streicht sie mit dem Daumen über den Rücken des Ledereinbandes den sie schon so oft aufgeschlagen und gelesen hat. Klappe zu Klappe kennt sie den Inhalt dieses Buches, aber mehr als zwei kurze Einträge war sie ihrer Mutter nie wert gewesen. Egal wie brav sie war.
Nachdem sie das Buch zum ersten Mal ganz gelesen hatte, hatte sie geweint. War sie denn so wertlos? Worin lag der Sinn der jahrelangen Suche, jeden Brotkrumen zu verfolgen und jedem Hinweis nachzugehen. So lange hatte sie gehofft ihre Mutter zu finden, irgendjemanden zu finden der zu ihrer Familie gehören würde. Heute erfüllten sie die Einträge nur mit einer kalten, hohlen Leere in ihrer Brust die man schon fast Apatie nennen konnte. Wieder blickt sie auf den Einband und seufzt leise bevor sie das Buch zurück in die kleine, schlichte Metallschatulle legt die leise mit Magie summt. als sie sie wieder verschließt. Vielleicht finde ich doch irgendwann einen Hinweis. Ein anderes Buch. Das ist zumindest die Rechtfertigung um die Kiste zu den Dingen zu legen die sie nicht wegwerfen wird. Umziehen ist nervig, aber zumindest wird sie so in den nächsten Wochen die ganzen Sachen los die sie nicht mehr wirklich braucht. Das Gold verbleibt in dem kleinen Safe bis sie es brauchen wird. Auf dem Weg nach unten sinniert sie noch ein wenig. Wollte Arian mir nicht helfen meine Eltern zu suchen? Wenn er das Buch findet, versteht er sicher warum ich nicht mehr weiter forschen wollte. Aber will ich ihm das zeigen? Er macht mich so... DINGS! Und dann plärrt er einfach so raus dass er mich liebt. Dieser Kerl.
Dennoch fühlt sie ein kleines Flattern in ihrer Magengegend, auch wenn ihre Mutter sie nie wollte, zumindest Arian will sie. Das kleine Lächeln das dabei über ihre Lippen wandert wird nur breiter als sie daran denkt, dass sie sich heute Abend sehen und sie bei ihm übernachten kann. Fast schon beschwingt springt sie die Stufen hinab und geht aus der Tür, das leere, kalte Gefühl in der Brust ganz vergessen.
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