Kommando: Vergeltung

Eine milde Brise strich zwischen den Latten der alten Scheune hindurch und ließ das schief gezimmerte Holz sacht knarzen. Draußen wurde es langsam hell, und der warme Sonnenschein stahl sich dem Luftzug hinterher durch die Ritzen. Die Strohballen wirkten beinahe golden in dünnen Streifen aus Licht, herzliche Boten einer reichen Ernte. Es war wirklich leicht hier. Leicht, zu vergessen, wie es draußen auf den Feldern aussah. So leicht defacto, dass man sich einen Moment zurückversetzt fühlen konnte nach Tonteich, zurück in glückliche, artige Tage voller Abenteuernächte auf dem Heuboden der Familie, umgeben von all den vertrauten Pflügen, Harken und sonstigen Gerätschaften, deren Schatten in der Dämmerung zu Skalbiestern, Verschlingern und allen erdenklichen Monstern wurden. Er griff nach seinen jetzigen Gerätschaften. Ihre Schatten waren unmissverständlich.
"Hier haben wir eine mit Metallbogen." Er hob die Armbrust behutsam von dem staubigen Werktisch, drehte sie inspizierend in den Händen. "Gefalteter Stahl, fehlerverzeihend und wirklich unkaputtbar. Mittelstarkes Modell, 800 Pfund. Mit dem richtigen Bolzen knackt man einen Charrschädel auf zweihundert Fuß, kein Problem. Bei den Separatisten wird sie genau dafür benutzt. Zumindest bei den wenigen, die wirklich noch was auf Tradition halten. Sonst leider kaum noch im Umlauf. Solide Waffe. Leider Nichts für unsere Zwecke. Zu klobig, verstehst du. Schlechte Kadenz. Man braucht eine Seilwinde."
Ein leises Pochen ging durch die Tischplatte, als er die Waffe mit ihrer schweren Eichenholzsäule wieder ablegte. Er griff zu der nächsten, kompakteren Armbrust, einer von drei identischen.
"Die hier ist schon besser.", raunte er und strich über die gedrungenen Wurfarme. "Horn. Leider sehr teuer und aufwändig in der Verarbeitung, aber leistungsfähig. Diese spezifische hat nur circa 350 Pfund. Klingt vielleicht nach viel Wumms, ich weiß, aber durch den kurzen Spannweg relativiert sich das alles wieder, musst du wissen. Leichtes Gerät also, reicht leider nicht für eine vernünftige Brustplatte. Aber in den richtigen Händen trotzdem sehr tödlich. So wie jede gute Armbrust. Der Mießling könnte dir ein Lied davon singen, äh, röcheln, thehe. Mit einem Spannhebel ist sie außerdem rasch einsatzbereit. Und das zählt."
Er rüttelte kurz prüfend am Fußbügel, dann legte er auch dieses Modell beiseite, ließ eine handliche Armbrustpistole fingerklimpernd unkommentiert, klopfte auf eine markierte Kiste voller Bolzen und ging gänzlich vorüber an dem umfunktionierten Werktisch. Er stoppte neben dem ersten der beiden Pfeilwägen, und ein Schmunzeln umspielte seine Lippen, als er die gusseisernen Rohre tätschelte.
"Dieses Baby verschießt stolze neunzehn Pfeile auf einen Schlag. Die treffen natürlich selten alle, aber mit einer guten Salve richtet man eine Menge Schaden an. Mobil, gemessen an der Wirkung sehr kompakt und leicht zu bedienen. Ein Mann reicht vollkommen zu, wenn er weiß was er tut. Praktisch übrigens, weil die Munition einheitlich bleibt. Eher nichts für Belagerungen, aber gegen dichtgedrängte Körper äußerst verheerend. Unsere gemeinsamen Freunde werden sich ganz schön umgucken, würd' ich mal sagen."
Schweigend ging er an dem Waffenständer voller Speere vorüber, tätschelte wissend den einen oder andren, bevor er den schwingengezierten, messingvergoldeten Seraphen-Bogen vom zweiten Tisch hob.
"Unser Standardmodell.", erklärte er, brachte ihn kurz in den Vollauszug und ließ die Spannung dann fließend wieder ab. "Aber davon hast du wahrscheinlich schon haufenweise gesehen. Kompositbogen. Dieser hier zieht sich auf runde 100 Pfund. Ich selbst benutze ihn nur im Stadtdienst, wo er gut aussieht und wenigstens handlich ist." Zungenschnalzend bettete er den Bogen nieder und nahm den direkt daneben auf, der ohne all seine weiß-rot-goldenen Kultverzierungen vermutlich nur halb so klobig gewesen wäre. Er runzelte leicht die Stirn. "Ich schätze, die vom Weißen Mantel haben genau denselben fehlplatzierten Sinn für Kunst wie wir Seraphen, heh? Na, es hat mich so immerhin nicht viele Probeschüsse gekostet."
Begleitet von Zungenschnalzen wanderte auch die erbeutete Feindwaffe zurück an ihren Platz.
"Du fragst dich jetzt sicher, warum du keine Schießeisen siehst." Eine Weile lang lehnte er sich auf die Tischplatte, trommelte mit den Fingern darauf herum. "Ich würde dazu sagen; Warum solltest du sie sehen? Hast du da schonmal drüber nachgedacht? Heh? Ich wette nicht. Tun auch nur die wenigsten. Mir ist es jedenfalls noch nie aufgegangen." Er puhlte sich mit dem Zeigefinger etwas Schlaf aus dem Augenwinkel. Sein Blick glitt über bündelweise Graugans-befiederter Seraphenpfeile. "Warum bei Grenth sollten wir dieses präzise Handwerk eintauschen gegen stinkende qualmende Charrerfindungen? Erklär' mir das mal einer. Nein, ich fürchte du hast auch keine Antwort."
Seine Schritte führten ihn ans Ende des Tisches. Als er den linken Fuß aufsetzte, stach ihm ein unschönes Kribbeln durchs Bein. Schon wieder. Noch immer. Es wollte einfach nicht aufhören. Er biss die Zähne aufeinander und schluckte seine Wut herunter. Zwang sich ein unechtes Lächeln auf die Lippen. Darauf verstand er sich bestens.
"Ahh. Mein Prachtstück. Beste Bergeibe aus Ost-Gendarran. Eine verdammt alte Eibe war das. Sieh dir nur mal diese hauchfeinen Jahresringe an. Er hat 145 Pfund Zuggewicht, aufs Quäntchen genau ausgemessen. Stark. Tödlich. Wenn man ihn zu spannen weiß. Die Waffe eines wahren Könners. Unerreicht für deinesgleichen." Er hob den großen Langbogen zackig vom Werktisch, schloss die Linke fest und geübt um die gewachste Bogenmitte, frei von Griffleder. Straff und eisenhart lag die Sehne an seinem Unterarm an, bevor er die Finger einen Deut lockerte. Er kannte ihn gut, diesen treuen Begleiter in einer langen Linie von guten Eibenbögen, die über die Jahre durch seine Hände gewandert waren. Einzig die kleinen gehörnten Balthasar-Helme, eingebrannt als Markierung der Pfeilanlage, waren eine Neuerung gegenüber den Vorläufern. Hinterlassenschaften des ursprünglichen Besitzers. Aber sie störten nicht. Die Dwayna-gefälligen Schwingenzierden an den Wurfarmen waren dezenter als der Standard es wollte, flach genug um ein weites Sehnenöhr noch bequem darüber hinweg und in die Hornnocke schieben zu können. Selbst bespannt überragte der Bogen ihn um mehr als eine Haupteslänge. "Hach ja.", sagte er.


Der Feldwebel drehte sich um, als er seine Waffe hob. Er ließ die Sehnenhand langsam durch leere Luft gleiten bis zum Ankerpunkt hinterm Ohr. Zielte auf seinen Zuhörer, ohne den Bogen wirklich zu spannen.
"Puff!", machte er mit großen Augen und öffnete schnappartig die Finger. Zitternd schrak der Mann zusammen, und Hadrick lachte. "Du kackst dir ja fast in die Hose, Mann."


Er musste sich dabei eingestehen, dass es ihm selbst an seiner Stelle wohl nicht anders gegangen wäre. Aber welche Rolle spielte das schon? So oder so war es ein Trauerspiel, dem Sucher des Weißen Mantels dabei zuzusehen, wie er sich blutend und schwitzend an dem Stützpfeiler wand. Die Fesseln waren fest, und durch den Knebel drang nicht mehr als ein ersticktes Ächzen. Ein hübscher junger Kerl, konnte man vermutlich sagen. Alabasterfarbene Haut, konnte man sagen, glatt und ebenmäßig, mit diesem schneidigen blonden Haarschnitt dazu, wie er dieser Tage modisch war. Wie sauber und unverbraucht der Mantler noch aussah, nach all den Wochen erbitterter Kriegsführung. Das allein war schon Zeugnis seiner hohen Geburt. Und selbst jetzt noch mischte sich ein Funken von Stolz in den ängstlichen Glanz seiner Augen. Es war diese Mischung, für die er den Gefangenen ausgesucht hatte.
"Weißt du, der Mann der mir diesen Bogen gab-" Der Feldwebel legte die Waffe zurück. "-würde sicher eine Menge geben, um gerade mit mir tauschen zu können. Aber er kann jetzt leider nicht hier sein, nach gestern. Sonst hätte ich ihm den Gefallen vielleicht getan. Ganz diskret. Mit einem heißen Eisen. Das hätte ihm zugesagt, da kannst du drauf wetten."
Der Kultist stöhnte protestierend in den Knebel, als er zu ihm trat.
"Ja, ich weiß. Und nein, ich verstehe kein Wort."
"Hnnhg.", erklang die Antwort. Hadrick musste schmunzeln. Es war nicht so, als ob es ihm besonderen Spaß machte, den Mann zu piesacken. Dieser Punkt war längst überholt. Einzig; Das erstickte Gegurgel auf Höhe seiner Hüfte erinnerte ihn vage an eine spezifische Dirne.
"Schon gut, ich erbarme mich." Erbarmen war ein vielschichtiges Wort, und so zappelte der Kultist hysterisch und mit angstgeweiteten Augen, als sein Häscher sich vorbeugte. Bis er dann registrierte, dass ihm nur der Knebel aus dem Mund genommen wurde.
"Das ist ungeheuerlich!", keuchte der Blonde, doch das Beben seiner Stimme verriet, wie verzweifelt er in Wahrheit war. "Ich bin von Stand! Ich diene in Ministerialwache! Ich befolge meine Befehle! Ich- Das könnt Ihr nicht einfach so machen, ich verlange einen Prozess! Mir steht ein Prozess zu! Ich- Mir- ...bitte! Ihr wisst, dass das nicht rechtens ist!" Er hustete trocken, benetzte sich die wundgeriebenen Lippen. Die Arroganz schien er sich ganz von alleine auszureden. "Das hier könnte das Ende Eurer Karriere sein, Seraph. Bitte, habt doch Vernunft. Meine Familie hat Geld. Ihr werdet entlohnt, wenn Ihr mich wenigstens in die Stadt überführt!"
"Nur, wer würde dich jetzt noch vermissen, hm?" Der Feldwebel zog die Stirn kraus, wippte mit der Narbenbraue. Dann drehte er ab.
"Was wollt Ihr, Mann!", zeterte der defektierte Ministeriale hinter ihm her. "Ich werde über alles aussagen, aber nicht bevor ich nicht vor Gericht stehe!"
Hadrick summte leise, als er nach einer der leichten Armbrüste griff. Flüchtig fiel sein Blick dabei auf einen kaputten Lederköcher voller Pfeile, von denen die Hälfte zersplittert war. Allesamt Jagdpfeile mit schäbiger brauner Befiederung. Bis auf einen einzigen, der länger und dicker war, Graugans-befiedert mit pink getünchter Leitfeder. "Oh Lyran, Lyran.", raunte er leise für sich, während er die Stiefelspitze durch den Fußbügel der Armbrust schob und klackernd den Spannhebel aufsetzte.
"D-Das könnt ihr nicht machen!", stammelte der junge Mann, der ihm genau dabei zusehen konnte. "Das ist Lynchjustiz! Hört her, ich habe einen Fehler gemacht. Ich sehe alles ein. I-Ich kann Euch helfen, Eure Vergeltung zu bekommen, aber lasst mich leben!"


"Oh, es geht um Vergeltung. Nur nicht an denen, an die du jetzt denkst." Er gluckste nasal. Klickend rastete die Nuss ein, als er den Hebel mit kurzem Schnaufen nach hinten drückte. Er nahm die Apparatur fort und legte einen Bolzen in die geladene Armbrust. "Drum hoffe ich für dich, dass du gut informiert bist."


"Wer weder zögert noch zurückweicht, wird belohnt werden."


[color=#000000]- Schriften des Balthasar, 48 V.E.

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