Taubenschiss im Tiefflug

"Verdammt Pichel, hast du schon wieder einen fahren lassen?" Sie lagen auf Beobachtungsposten vor den Mauern Fort Evennias, als der Kaplan den Pfad hinauf kam. Es stank erbärmlich, aber den Priester ließ das offenbar kalt, genauso kalt wie vieles andere über das der gemeine Mann sich gern beschwerte. Gefreiter Pichel schob seinen Helm ein Stück hoch und kratzte sich am Hinterkopf.
"Feldwebel, auf ein Wort unter vier Augen.", sagte Dronon. Die langen Tage gemeinsam im Feld trieben selbst den Frommen ihre immer gleichen Grußformeln aus.
"Das kommt mir jetzt sehr gelegen. Pichel hat sich mal wieder nicht im Griff." Hadrick entschied sich, das Fort für eine Weile aus den Augen zu lassen. Die Befestigungen erstreckten sich nordwestlich von ihnen, und der zähe Schleier aus aufsteigenden Blutsteinschwaden ließ kaum einen Blick auf den Innenhof zu. Es hatte sich seit Tagen Nichts getan an dieser Flanke. Nichts außer Warterei und dem gelegentlichen Taubenschiss im Tiefflug. Er trug mittlerweile ständig seinen Helm. Man konnte ja viel sagen über Schützennester an Bergflanken, aber nach oben hin waren sie meistens ziemlich entblößt. Selbst die Taubenscheiße auf der Rüstung verblasste allerdings gegenüber Pichels Ausdünstungen. "Jedes Mal wenn er furzt-", erklärte Hadrick, "-ist das wie wenn irgendetwas stirbt. Langsam und qualvoll."
"..hrrn."
"Vielleicht sollten wir ihn als Gasbombe über die Mauern katapultieren."
"Das machen die verdammten Bohnen.", beschwerte sich Pichel, während er aufstand und den Bogen um seine Schulter schlang. "Immer nur Bohnen, Tag ein Tag aus, und dann kommen die Blähungen. Was kann ich denn da dafür, frag' ich Euch, Herr Priester?"
Hadrick gluckste ein wenig, aber Dronon starrte den Soldaten nur an, und schließlich beeilte er sich, den älteren Männern hangabwärts zu entkommen.
"Der nächste Brief ist heute Morgen raus.", erklärte der Feldwebel und legte die schwere Armbrust behutsam auf den Felsen ab, schob und wackelte, bis sie nicht mehr verrutschte und passgenau auf die Zinnen Fort Evennias gerichtet war. Er grinste. "Das Dreckstück kann nicht mehr lange durchhalten."
"Ihr kennt meine Meinung dazu."
"Wir haben bereits gewonnen, da muss der Stolz dem Leben der Kameraden nicht im Wege stehen. Was sind schon ein paar Tage mehr oder weniger?"
"Wir geben den Ketzern was sie wollen.", knurrte der Priester, und seine Augen schwelten mit unterdrücktem Zorn. Hadrick wusste genau, dass das nicht nur an den Geiseln lag, aber er wollte dem Roten trotzdem auf den Zahn fühlen. Lyran hatte ihn gewarnt. Nur nicht besonders ausführlich.
"Mag sein.", gab er zu und trat von den Felsen fort. "Aber die kommen da nicht mehr raus, keine Chance. Sollen sie glauben, sie könnten noch Bedingungen stellen. Sobald wir unsere Jungs da raus haben, kann man die Feste immer noch stürmen."
"Ihr haltet Euch zum Narren, wenn Ihr denkt, dass die Justiziarin unsere Männer lebendig herausrückt. Seht Euch nur an was hier geschieht." Dronon blickte nach Norden. Das rote Licht in der Distanz erhellte sein Gesicht und die Felsen hinter ihm, schimmerte sacht auf dem ramponierten Harnisch. Das stand ihm ironischerweise ziemlich gut, aber über manche Dinge schwieg man besser. Der Priester schnaubte. "Diese Warterei ist Frevel an den Göttern selbst."
"Da kann ich Euch nur zustimmen."
Dronon fixierte ihn stechend, und der Moment war offenbar gekommen. "Würdet Ihr mir auch zustimmen..", knurrte der Kleriker, "...dass es abscheulich ist, wenn Altgediente ihre niederen Gelüste an jungen Soldatinnen ausleben?"
"Bitte um Verzeihung?", schnarrte Hadrick in skeptischem Ton, aber schon als es ihm über die Lippen kam wusste er, dass er zu dick aufgetragen hatte.
"Spart Euch das, Hadrick." Der Kiefer des Priesters mahlte wie ein Mühlstein. "Schlimm genug, dass ich all die Jahre so blind sein konnte. Dachtet Ihr wirklich, ich würde es nie mitbekommen?"
Der Feldwebel atmete durch, begradigte seine Haltung und runzelte die Stirn. "Ich weiß nicht was das soll, Hochwürden."
"HALTET MICH NICHT ZUM NARREN!"
"Das tut dann wohl eher der Mantel, wenn wir noch lauter werden müssen. Also bitte, Priester, ich-" Dronon ließ ihn nicht aussprechen.
"Treibt Ihr Unzucht in der Kompanie?", grollte er zähnefletschend, die Rage nur mühsam in Schach gehalten. "Sprecht wahr, Hadrick."
"So weit waren wir vor Jahren schonmal. Ihr erinnert Euch? Blamabler Zwischenfall mit Isa, zugegeben unsere Schuld. Alle haben ein Auge zugedrückt, obwohl die Hand ab war. Ich dachte Ihr hättet Euch inzwischen arrangiert damit, dass unter Soldaten machmal gefickt wird. Ihr seid ein verheirateter Mann."
In hirnloser Wut packte der Priester ihn bei der linken Achsel am Harnisch. Der Feldwebel stolperte und ruderte mit den Armen, als er näher gezogen wurde. Das ging nun wahrlich einen Schritt zu weit. Er hatte im Stillen immer geschmunzelt über die Grobheiten des Balthasarpriesters. Hier und da kamen sie durchaus günstig. Aber er war ein dekorierter Veteran der Seraphwache. Was zu weit ging, ging zu weit.
"Lasst mich los, Dronon.", zischte er scharf.
"Ihr belästigt Eure Kameradinnen."
Hadrick ließ den Kopf nach hinten sacken und konnte nicht an sich halten zu lachen. "Deswegen verhaltet Ihr Euch jetzt seit Wochen so stoffelig? Irgendein Kompaniebückstück kam an und hat geheult? Weil es keine Gefühle gab, garantiert. Ich nutze sie aus, buhu. Glaubt Ihr das wirklich? Habt Ihr mir in den letzten paar Jahren mal ins Gesicht gesehen?" Er bleckte selbst die Zähne. "Sie ficken für Beförderungen, biedern sich an, und dann ist irgendwann Schluss wenn es nicht nach oben geht. Ich hätt' allerdings nicht gedacht, dass sie so weit sinken würden, damit bei Euch aufzulaufen."
Dronon presste knirschend die Zähne aufeinander und schnaufte aggressiv zwischen ihnen hindurch. Sein Atem roch genauso übel wie der aller anderen Männer hier draußen. In seinen Augen kochte die Wut, und Hadrick wusste genau, dass er das zynische Maul hätte halten sollen. Er konnte nicht sagen, was ihn bewegt hatte ehrlich zu sein. Zumindest halbwegs ehrlich. Nun war es ohnehin zu spät. "Ihr seid ekelhaft.", spie der Priester aus.
"Bedaure Euch zu desillusionieren.", zischte er zurück. Geduld und Respekt waren aufgebraucht. "Nehmt sofort Eure Griffel weg, oder ich rufe die Männer."
"Eure Frau wäre angewidert."
Er schlug dem Priester ins Gesicht. Der Feldwebel hatte selbst nicht bemerkt wie wütend er war, als der Hieb ihm einfach herausrutschte. Ein Fehler. Seine Faust knallte Dronon auf die Wange, doch es war als würde man eine Backsteinwand verprügeln. Der bullige Riese ruckte nichtmal mit dem Kopf zurück, als er endlich losließ und ihm schnaubend den Handrücken verpasste. Plötzlich drehte sich alles. Hadrick prallte keuchend gegen die Felswand und torkelte zu Boden. Seine Visage war ein einziger pochender Schmerz, wo der Priester ihm mit dem Panzerhandschuh eine gelangt hatte. Stöhnend fasste er hin und hielt sich die Finger vor Augen. Wenigstens war kein Blut dran.
"Immer auf die Narbe.", gluckste er bissig, während er sich auf die Handballen hochstützte. "Was habt ihr nur alle gegen die Narbe. Sagt mir, Priester, welche dumme Schlampe hat sich ausgekotzt? Torres? Falen? Vielleicht die Fffpfh-!" Dronon ohrfeigte ihn so hart, dass er auf den Rücken flog und sich den Kopf stieß.
"Ihr seid eine Schande.", grollte der Priester. Hadrick kroch nach rechts und versuchte sich aufzurappeln. Der Priester lehnte seinen Hammer zwischen die Felsen und ohrfeigte ihn mit der Linken zurück auf den Boden. "Eine Schande für die Seraph-Wache." Der Feldwebel sah Sterne und konnte nur husten, aber für den nächsten Versuch aufzustehen kassierte er nur wieder die Rechte. "Eine Schande für Eure Schutzbefohlenen." Wieder klatschte es derb, wieder prallte er hart auf den Grund. Der Priester ließ ihn kriechen, und er gab es auf, sich hochstemmen zu wollen. "Eine Schande für den Soldaten, der Ihr einmal wart.", knurrte Dronon.
Dem Feldwebel dröhnte der Schädel. Es schmerzte nichtmal mehr richtig, er blutete nichtmal, geohrfeigt und beschimpft wie ein kleines Mädchen. Als er in sich horchte, war da Nichts. Nur kalter Hass. Wofür, konnte er nicht sagen. Abermals musste er husten. Er tastete schwach nach einem Felsen, zog sich ein Stück nach oben. Es knallte, als Dronons flache Hand seinen Kopf herumwarf, doch diesmal in die falsche Richtung. Er lehnte ächzend und wund an den Steinen, sackte mit dem Hinterkopf nach unten. Sein Blick schob sich himmelwärts, verschwommen, blinzelnd. Eine Taube flatterte durchs Bild, und Jemand fluchte leise.
Er griff sich die geladene Armbrust und legte an.

"Was-", schnaubte Dronon, der lediglich dastand. "Wollt Ihr mich erschießen?"
Klank, tat der schwere Metallbogen, und der Bolzen sauste aus der Rinne. Der Sucher des Weißen Mantels brach getroffen zusammen, den Bolzen in der Brust, den grün-weißen Scheißfleck auf dem Kopf. Sein gezückter Dolch klapperte neben ihm auf die Steine.
Der Priester drehte sich um und glotzte so blöd wie man nur glotzen konnte. Und danach gab es Nichts mehr zu sagen zwischen ihnen. Der Feldwebel warf glucksend die Armbrust hin.
"Eine Schande.", stimmte er zu, und lachte. Sein Gesicht tat ihm weh, aber er lachte.
Er lachte und lachte und lachte.