Huhn in der Mitternachtssuppe

Huhn in der Mitternachtssuppe


„Ein Huhn, das gackert, aber keine Eier legt, kommt in die Suppe, Sienna.“ Ein Satz, der mich traf, als er am Abend ausgesprochen wurde und ein Satz, der mich auch jetzt aus dem Schlaf schrecken ließ. Schnell sah ich mich in der Baracke um, in der wir lagerten und zog die Felldecke enger um mich, merkte aber, dass niemand wach war, oder es sehr gut versteckte. Es war eiskalt...eigentlich mochte ich die Kälte, doch heute schien sie in mir selbst zu entstehen, als die Worte erneut in meine Gedanken kamen. Ich hatte solche Sätze schon gehört, doch meistens wurden sie mit einem Lachen hervor gebracht, da ich viele Fragen stellte und gerne diskutierte, oder eben auch gackerte. Nur bekamen die Wörter jetzt eine andere Bedeutung, wiegten schwerer und verletzten. Eilig wischte ich über meine Wangen, als die verräterische Nässe der Tränen sich dort breit machte... ich durfte nicht schwach wirken. Nicht jetzt und nicht hier, also beschloss ich mich anzuziehen und mich nützlich zu machen, jetzt da ich wach war. An Schlaf war nicht mehr zu denken, meine Gedanken würden mich jetzt nicht mehr ruhen lassen.
Ich zog die Kleidung vom Vortag aus dem Rucksack, aber stockte, als mir das Problem von gestern einfiel...Ich hasste es, mich vor den Anderen umzuziehen, auch wenn scheinbar niemand sonst ein Problem damit hatte. Ich nahm also die Sachen, schlüpfte nur in meine Stiefel und eilte aus den Baracken zu den Lagerräumen, die mir auch gestern schon als Umkleidezimmer gedient hatten. Dort versteckte ich mich hinter den Kisten, zog die dicken Ledersachen über, ließ die Kapuze aber unten und flocht meine Haare. Die leichteren Sachen versteckte ich hinter der letzten Kiste, die ich fand, damit ich sie später holen konnte, doch jetzt wollte ich nicht zurück in den Schlafsaal. Zu groß war die Gefahr, von einem der Mitreisenden gesehen zu werden und in ein Gespräch verwickelt zu werden. Das konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Als ich den Gürtel enger zog und den Sitz meines Dolches in meinem Stiefel prüfte, musste ich lächeln.
Ein Huhn hätte sicher keinen Dolch in den Stiefeln versteckt, oder würde sich gegen den Kochtopf wehren. Denn das würde ich machen. Niemand sollte auf die Idee kommen, dass ich mich unterkriegen lassen würde, oder leicht zu zerstören wäre. Nicht noch einmal. Die Kiste die mir am nächsten stand, bekam einen Fußtritt und ich schnaufte genervt aus, weil ich wusste, dass ich zuallererst anfangen müsste, mich von solchen Worten nicht aus der Bahn werfen zu lassen.
Worte waren es auch schon früher, die mich zu dem machten, was ich heute war. Unsicher, zaghaft und voller Selbstzweifel. Auch, wenn das schon besser wurde. In meinen Gedanken ohrfeigte ich mich selbst, als das Selbstmitleid begann und ich einer Vergangenheit hinterher weinte, an der man nichts ändern konnte.
Leise seufzte ich, schüttelte den Kopf und setzte, die sorgsam erlernte Maske der Gleichgültigkeit auf. Wenigstens für einige Stunden...bis sie jemand zum bröckeln brachte. Doch nur so lernte ich, sie zu einem Teil von mir zu machen. Meine Gegenwart, denn alles andere lag in der Vergangenheit.
Es wurde Zeit, das Gedicht meiner Persönlichkeit umzuschreiben, damit man das vorherige Chaos nicht mehr erkennen konnte, die mich bisher ausmachten. Ob dieses Gedicht allerdings düster und blutig wurde, oder hell und farbenfroh, konnte ich selbst noch nicht sagen und diese Frage machte mir Angst...

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