Sie Sonne stand hoch. Insekten surrten. Der Gestank von altem Fleisch kam ihr entgegen. Ihre Schritte knirschten leise und sie zog die Brauen immer mehr zusammen, als sie die Szenerie zu realisieren begann, welche da vor ihr lag. Ein ehemaliges Banditenlager – zerstört und von längst vergangenen Flammen verschlungen. Verkohlte Leichen lagen oder aber knieten im grauen Gras, gefesselt und zugerichtet. Waffen wie Radschlosspistolen und Säbel lagen zerstört am Boden, zerbrochen und geschmolzen durch Hitze. Sie schenkte keinem von den Verstorbenen einen Blick und trat so durch die Zerstörung, zielsicher einen nahen Hang hinab der zum nahen Meer ausgerichtet war. Ihr Blick hob sich bereits zu einer weinroten Decke, die erfolglos den Eingang in eine Höhle verdeckte, ehe sie doch abrupt inne hielt und den Blick auf einen kleinen Jungen senkte. Im Gegensatz zu allen anderen war er nicht verbrannt, doch klaffte ein Einschussloch in seiner Stirn. Längst war er von Verwesung und Sonne erfasst, die Haut verschrumpelt und eingefallen, das ausgetretene Blut auf und unter ihm dunkel. Der Anblick berührte sie nicht, weder der jetzige noch die zuvor. Tonlos seufzte sie aus und trat dann in die Höhle hinein, den Stoff barsch von sich schiebend.
Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten und Chester begann traurig zu schmunzeln, als sie den Unterschlupf vor sich sah. Viele Apparaturen medizinischer Herkunft standen auf einigen Tischen, größtenteils zerstört, wenige einfach nur von Staub bedeckt. Waffengürtel hingen zahlreich an Haken an den erdigen Wänden, auch, wenn ein einzelner nicht mehr besetzt war. Jener Anblick ließ ihre schmalen Brauen anheben und die grünen Augen mehrmals verblüfft blinzeln. „Warst du etwa..“, murmelte sie leise und sah vor sich auf einen größeren Arbeitstisch, vor welchem ein schlichter Holzstuhl stand. Ein ganzes Besteck lag dort, angefangen bei Klammern über Stichlern bishin zu Skalpellen, egal ob fest oder mit austauschbarer Klinge. Sie besah sich jene Auslage eine Weile, ehe ein Lächeln über ihre Gesichtszüge wanderte, als sie bemerkte, dass die feststehende Klinge des äußersten Skalpells nach außen, weg von den anderen zeigte. Die Finger ihrer rechten, verhüllten Hand streckten sich vor und drehten das Instrument zurück. „Ja, du warst hier..“, sinnierte sie und sah eine Weile verträumt vor sich auf den Tisch. Sehr spät wurde sie sich eines Schattens zu ihrer Rechten bewusst. Schnell wandte sie sich zum Ausgang herum und zur Wand neben diesem. Ein kalter Schauer ging ihr über den Rücken, als das Adrenalin auch schon wieder schwand und sie fast schon gequält aufzulachen begann. Mit einem verbissenen Grinsen ließ sie sich auf dem Stuhl nieder und bedeckte ihren Mund mit der rechten Hand, während sie den eingebrannten Umrissen einer fremden rechten Hand im Gestein entgegen sah. Es klopfte.
Sie schrak auf und öffnete die Augen. Chester musste sich erst einen Moment lang sammeln, ehe sie sich in der Realität wiederfand. Noch immer saß sie auf einem bequemen Sessel, der einzeln vor einem etwas niedrigeren runden Tisch stand. Ihr Blick wanderte durch den weiten Raum mit höherer Decke, der an den Wänden ab und zu mit schmalen Schränken, Kommoden oder aber einer fast leeren Vitrine ausgestellt war. Besucher hätten sie allein bei dem Anblick für eine vermögende Frau halten können. Sie sah rechts neben sich aus dem Fenster in die Abendsonne hinaus, fand, als sie auf ihren Schoß sah, ein aufgeklapptes Buch und als sie über die linke Schulter blicken wollte, ragte ihr ein Schnabel entgegen. Sogleich hob Chester die Schultern an und lehnte sich etwas weg, nur um doch zufrieden zu lächeln, als sie merkte was das war. Ein Falke mit dunklem, gräulichen Gefieder am Rücken saß hinter ihr auf der gepolsterten Lehne und reckte sich neugierig nach vorne zu ihr runter. „Na, wartest du immer noch auf ihn, hm?“, murmelte sie leise und streifte dem Tier sacht über den Schnabel, bevor der Vogel noch den Kopf wieder zurück ziehen konnte. Das Raubtier plusterte die Federn an der Brust und am Hals auf, fast schon protestierend anmutend. Chester schnaubte amüsiert, klappte das Buch leise zu und schob es blind auf den niedrigen Tisch, den Falken immer noch im Blick behaltend. „Da sind wir schon zwei.“ Nochmal zog sie die Brauen hoch, als das Tier mitmal die Schwingen spreizte und über sie hinweg flog, um auf einem Schrank am anderen Ende des Raumes zu landen. Das Holz knirschte leise, als sich die Krallen darin einschlugen und sich der Raubvogel ihr wieder zuwandte.
Beide sahen sich eine Weile nur schweigend an. „Du hasst das Warten auch, hm?“ Etwas schief grinste sie, als man den Kopf zur Seite neigte, statt eine verbale Antwort zu geben. „Mit den Jahren beginnt man sich daran zu gewöhnen.“ Mit einem leisen Seufzen streckte die ältere Frau die Beine langsam aus und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als sie merkte, dass ihr die unteren Gliedmaßen eindeutig eingeschlafen waren ob des Sitzens. „Verflucht..“ Eifriges Flügelschlagen ließ sie dann abrupt zum Schrank hinüber sehen. Statt einem Falken saßen nun dort zwei. Ein etwas größeres Tier gleicher Fiederung war gelandet und legte einen reglosen Marder auf dem Holz ab, den sie nun zu zweit zu zerpflücken begannen. Lange beobachtete Chester die beiden nur und vergaß dabei gänzlich das widerliche Gefühl in ihren Beinen. Mit einem tonlosen Schnauben schloss sie dann allerdings die Lider und lehnte sich lungernd in den Sessel ein, auf welchem sie schon die gesamte Zeit saß. Minuten zogen dahin und sie regte sich nicht, bevor sie doch noch einmal die Augen öffnete und auf die andere Seite des Tisches sah, als hätte sie darauf gehofft, dass die dortige Leere nun von einem zweiten Sessel besetzt gewesen sei. Ein weiteres, tonlosen Seufzen und abermals schloss sie die Augen. „Und damit bist du mir eins voraus, du kleines Tier.“