Bequem saß sie auf dem Sessel und nippte, wie schon die gesamte Stunde zuvor, lustlos vom Tee in jener von dezenten Goldlettern geschmückten Tasse. Die orangenen Strahlen der untergehenden Sonne wurden von dem Getränk und auch dem weichen Edelmetall reflektiert. Er schmeckte ihr nicht und dennoch konnte sie nicht aufhören sich damit die Zeit zu vertreiben. Knapp sah sie zum Bücherregal zwischen zweier Kommoden, das zwar von einer kleinen Masse an Schmökern ausgefüllt war, allerdings auch nicht die Ablenkung versprach, die sie sich erhoffte. Leider hatte sie schon alle durch. Mit einem recht genervten Seufzen sah sie dann wieder auf die Tasse runter und verengte die Augen stark. Die Sonne wurde nicht mehr reflektiert. Auch konnte sie nicht mehr das emsige Treiben der Straße aus ihrem Augenwinkel ausmachen, ohne sich dem Fenster zuzuwenden, das direkt neben ihr war. Nur Schwärze. Sie merkte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte und sie schloss ihre Lider kurz stärker, nur um sich mitmal aufzurichten, die Tasse achtlos fallen zu lassen und mit sich öffnenden Augen dem Fenster entgegen zu starren. Man sah zurück. Nicht ihre eigene Reflexion sah sie da, sondern die eines kräftigen Mannes. Gekleidet in verhüllendes Leder, starrte ihr nur ein eisiges Augenpaar entgegen. „Wer bist du?“, rief sie dem Fremden entgegen, der hinter dem Fenster stand und mitmal auf genau jenes zustürmte. Er sprang und ließ das Glas laut klirrend zerspringen, als er es einfach zerschlug. Gehetzt trat Chester zurück und blickte kurz hilfesuchend hinter sich, nur um zu erstarren, als sie die Schwärze auch hinter den anderen Fenstern realisierte. Sogleich sah sie wieder vor sich und krampfte. Der Mann war nicht mehr dort, sondern nur noch Schwärze. Weder der Sessel, noch die Wand oder aber die fallen gelassene Tasse fand sie vor und so starrte sie an sich herab, nur um noch mehr von der eintretenden Dunkelheit zu erkennen, ehe sie weder sah noch spürte. Alles an ihr wurde taub.
„Wo ist es?“ Die männliche Stimme hämmerte in ihrem benebelten Verstand und egal wie sehr sie sich windete und drehte, sie konnte nichts ausmachen. Sie fühlte sich, als würde sie in einen ewig tiefen Brunnen hinab fallen. „Ich weiß nicht wovon du redest!“, brüllte sie aus vollster Lunge hinaus und dennoch drangen ihre Worte nicht an ihre eigenen Ohren. „Wo ist es?“, wiederholte sich die Stimme aggressiver. „Sag mir wovon du sprichst und ich antworte!“ Erneut hörte sie sich nicht, aber offenbar die fremde Stimme. „Wo ist das Relikt?“ „Ich kenne kein Relikt!“ „Wo hat er es versteckt?“ Sie zuckte in ihrem Freifall stark zusammen und riss die Augen auf, die noch immer nicht sehen konnten. „Wer.. wer ist 'er'?“ „Wo hat der Zaishen das Relikt versteckt?“ Energisch biss sie ihre Zähne derartig zusammen, dass sie trotz ihrer Hilflosigkeit und ohne Kontrolle über ihr Empfinden den Schmerz in ihren Kiefern spüren konnte. „Ich weiß nichts von diesem verdammten Relikt!“ Die Stimme schwieg nun. „Um welchen Scheißdreck geht es hier überhaupt?!“, brüllte sie aus Leibeskräften. Keine Antwort wurde ihr gegeben. „SPRICH MIT MIR!“
Chester lag ohnmächtig mit geschlossenen Augen auf dem Boden und konnte so die leicht zitternde Klinge nicht sehen, die kurz davor war ihr durch die Kehle zu stechen. Dogrem starrte aus seinen blauen Augen auf sie hinab und grollte tief, während er sich kein Stück näher bewegen konnte. Tief über sie gebeugt harrte er aus im Griff von Stych, der ihn gepackt hielt und, die Arme unter dessen Schultern geschlungen, den Angriff mit dem Kurzschwert und auch dem Dolch aufhielt, bevor er die Ohnmächtige hätte ermorden können. „Du glaubst doch nicht..“, schnaufte der junge Blondschopf aus, der obenrum komplett frei war, aber mal wieder nicht auf seine unbeschreiblich hässliche Brille verzichten könnte. „.. dass das so einfach wird, oder?“ Der Aufseher grollte, sah aus den Augenwinkeln vage in dessen Richtung und an der ziemlich verwüsteten Inneneinrichtung vorbei. „Und du glaubst doch nicht, dass wir uns so einfach geschlagen geben, oder? Lass gefälligst los.. mir schlafen die Beine ein.“ „Pah, die nächste Stunde schaffst du auch noch.“ Just in dem Moment knirschte es laut, bevor Cornerstone unsanft auf dem Boden einige Meter vor ihnen schlug und sich langsam auf die Seite drehte, während ihm Jacob nachfolgte, wenn auch weitaus eleganter. Der Bursche rollte sich geschmeidig ab und fand sich somit auf den Beinen wieder, folgte dem Mesmer sogleich nach. „Jacob!“, brüllte Dogrem, woraufhin der Angesprochene aufsah. „Bring den Auftrag zu Ende, der Depp ist egal!“ Ein Nicken wurde dem Aufseher geschenkt, ehe sich der zweite Attentäter der liegenden Frau annäherte und bereits selbst sein Kurzschwert aus der Gürtelschlaufe zog. „Du verdammter..!“, fauchte Stych und begann mit Dogrem zu rangeln, der nun alles daran setzte erst recht im Griff des Zaishen zu bleiben, damit dieser nicht einschreiten konnte. Jacob holte mit der Klinge aus und schlug zu. Unter einem dumpfen Knall wurde ihm das Schwert allerdings plötzlich von einem schwarzen Schatten aus der Hand gerissen und fiel klirrend zu Boden, weshalb er sich sofort umwandte und dem Silhouette nachsah, die sich als Falke herausstellte. Stych nutzte den Moment der Unachtsamkeit beider Attentäter sofort aus und warf Dogrem mit einem tiefen Murren einfach über sich. „Weg hier!“, brüllte der Aufseher und löste sich in schwarze Schlieren auf, genauso wie Jacob, nachdem er sein Schwert wieder in seinen Besitz bringen konnte.
Cornerstone sowie auch Stych schwiegen sich die halbe Stunde lang an, die es benötigte das geschaffene Chaos im Raum aufzuräumen, den Falken zu beruhigen und Chester wieder auf den Sessel zu setzen, während die Sonne immer mehr unterging. Nebenbei versorgte der Blondschopf eine tiefe, geschlagene Wunde, die sich quer über seinen Rumpf zog und eindeutig am verheilen war, durch das Gerangel allerdings wieder aufplatzte. „Verdammt, diese Idioten kommen wirklich immer zu den unpassendsten Momenten.“, grummelte der Mesmer, der sich durchs Gesicht rieb. „Du kommst mit ihnen allerdings unerwartet gut klar.“, murmelte Stych daraufhin, ohne aufzusehen. Fast schon nebenbei führte er das Gespräch, während er ein paar rötliche Stellen vorsichtig mit einer gelblichen Paste einrieb. Der Ältere hielt inne und wandte sich ihm zu. „Wie meinst du das?“ „Ihr Erscheinen überrascht dich nicht.“ „Weshalb auch? Jacob war mein Schüler, ich kenne seine Bewegungsmuster.“ „Und die von Dogrem offenbar auch.“ Der Mesmer zog sich einen Stuhl ran und setzte sich auf diesen. Das aufkommende Schmunzeln konnte er sich nicht so wirklich verkneifen. „Ist das so verwerflich? Schließlich ist er unser Feind und sich die Gewohnheiten von diesen zu merken ist wichtig.“ „Ich spreche nicht von den Gewohnheiten.“, entgegnete der Blondschopf, der nun endlich zu ihm rüber sah. Zumindest wandte er sich um, denn die Augen waren immer noch von den Gläsern verdeckt. „Sondern der Tatsache, dass du ihnen hilfst.“
Lange, sehr lange schmunzelte Cornerstone Stych entgegen, ehe er die Arme vor der Brust verschränkte und sich weitaus bequemer auf dem Stuhl hinsetzte. „Erläutere das..“ „Allein gerade eben.“, begann der Zaishen und verstaute die Paste wieder in einer Vitrine. Aufmerksam lauschte der Mesmer und beobachtete den Jüngling, wie er dabei durch den Raum ging. „Ich hatte ihn in der Mangel und du hättest ihn mühelos köpfen können.. danach wäre nur noch Jacob geblieben, der entweder geflüchtet oder ebenso gestorben wäre. Auch weiß ich nicht, warum er überhaupt in meinem Griff blieb.. hätte er sich nicht einfach auflösen und mich erdolchen können?“ Abermals wandte er sich dem Sitzenden zu. „Ihr arbeitet irgendwie zusammen.. ich weiß nicht wie, ich weiß nicht wieso und ich weiß auch nicht auf welcher Seite wer steht, Cornerstone, aber da ist irgendetwas.“ Der Ältere brummte amüsiert und schloss für einen Moment die Augen, erneut schmunzelnd. „Du stellst die richtigen Fragen und bist ebenso an den richtigen Stellen skeptisch, ohne aggressiv zu werden.. ein guter Schachzug.“ Seine Lider öffneten sich wieder und der Blick aus fahlen, türkisen Iriden fand zum Blondschopf hoch. „Wie viele Fragen in diese Richtung hast du noch?“ „Etliche.“ Mit einem bestätigenden Nicken richtete er sich auf und schob den Stuhl zurück. „Ich werde es dir eines Tages erklären und dich vielleicht sogar zu einem Gespräch in größerer Runde bringen.“ Überrascht furchte der Zaishen seine Stirn. „Wenn du meinst.. hast du ihr eigentlich schon gesagt was los ist?“ Er nickte anbei zu Chester, was Cornerstone dazu brachte den Kopf kurz zu schütteln. „Nein.. ich wollte es zwar, aber ich war tatsächlich vom Angriff der beiden überrascht.“ „Warum sagst du es ihr nicht jetzt?“ Damit kassierte sich der Jüngling ein verzerrtes Grinsen vom Älteren. „Weil ich gerade zu geschlaucht bin auch noch vor einer wütenden Witwe zu flüchten.“ Eine geschlagene Minute sahen sie sich nur schweigend entgegen. „Es ist also sicher?“, murmelte Stych schließlich gedämpfter, woraufhin der Mesmer die Schultern ein Stück anhob. „Wäre es nur Kassis, ich würde Hoffnung hegen.. aber so nicht mehr.“ „Hm..“, entkam es dem Blondschopf matt, der vor sich auf den Boden sah, dann allerdings wieder aufblickte, als der Ältere sich ihm annäherte. „Pass gut auf sie auf, ja?“ Etwas verzogen schmunzelte der Zaishen und nickte. „Werde ich.“ „Danke dir.“ Mit diesen Worten zersprang Cornerstone in feine Kristalle und löste sich auf.