Gabelungen

Gabelungen


(heute)


Alexandra streckte die Beine aus, zog tief die nächtliche Waldluft ein und warf sich dann den letzten Bissen des gebratenen Kaninchens in den Mund, dass sie geschossen hatte. Es tat so unendlich gut, vor den Toren der Stadt zu sein, mochten die meisten anderen den dunklen Wald auch fürchten, ihr gab er irgendwie eine seltsame Art von Sicherheit. Hier kannte sie sich aus, wusste welche Spur zu welchem Tier gehörte, wusste auf den Wind zu achten und die Zeichen, wo Nahrung und Wasser zu finden war. Hier fühlte sie sich wohl und hatte nicht das Gefühl, sich verstellen zu müssen. Alexandra ließ sich nach hinten in das weiche Gras der Lichtung sinken und sah zwischen den Ästen zu dem sternenbedeckten Himmel hinauf. Loken lag neben ihr und hatte den Kopf auf seine Pfoten gelegt, den Blick jedoch aufmerksam in die Umgebung gerichtet. Noch ein paar Minuten, dann würde sie sich wieder auf den Weg zurück machen müssen...


Nachdenklich spielte Alexandra mit den Grashalmen neben sich. Hatena war in Ordnung. Sie schien nicht so verkniffen und steif zu sein wie die meisten andern Adeligen die sie kannte und tatsächlich glaubte sie, in ihr vielleicht eine Freundin finden zu können. Von daher hätte sie es wesentlich schlimmer treffen können, wenn sie da an Cenestra dachte...was für ein Weib! Alex grinse kurz auf. In der Tat fingen die Dinge langsam an, wieder besser zu laufen...Hatena hatte ihr ganze drei Goldstücke, man stelle sich das vor!, gegeben und ihr tatsächlich erlaubt, einen Teil für private Zwecke auszugeben. Endlich konnte sie die Schulden bei diesem verfluchten Kerl begleichen und wäre ihn damit hoffentlich los! Sie schnaubte leise. Immerhin das war dann erledigt, wie sich alles andere entwickelte...musste sie wohl oder übel auf sich zukommen lassen. Sie hatte sich eigentlich nicht vorstellen können, je wieder in einen Adelshaushalt zu gehen und einiges fiel ihr noch schwer, diese ganzen Umgangsformen auf die man achten musste und irgendwie fühlte sie sich ständig argwönisch beobachtet. Damals, als sie von zu Hause fortgegangen war, hatte sie sich geschworen, sich nie wieder so herumschubsen zu lassen oder vor irgendjemanden zu kriechen...allerdings...wenn sie es als Mittel zum Zweck betrachtete, war es einigermaßen erträglich. Das das Haus im Rurikviertel abgebrannt war, kam ihr dabei eigentlich ganz gut gelegen. Soweit sies mitbekommen hatten, waren die Leute - auch wenn es um einige wenige wirklich schade war - in alle Richtungen versprengt und mit Glück würde man sie einfach vergessen. Die Sache mit den Münzen würde sie noch regeln und dann einfach eine Weile still vor sich in "ihrem" neuen Haushalt herarbeiten. Und dann, wenn es ihr zu unerträglich wurde oder sie keine Lust mehr hatte...oder genügend Münzen, würde sie einfach wieder weiter ziehen. So wie sie ihre Reise begonnen hatte.


Mit einem zufriedenen Lächeln richtete sich Alexandra auf, sprang auf die Füße und schnalzte. Loken erhob sich prompt und ohne zu Zögern machte sie sich auf den Rückweg in die Stadt, dass gelöschte Feuer und die kleine Lichtung hinter sich lassend. Sie musste nur ein bischen aufpassen, wenn sie das Haus verließ und vor die Stadt ging oder in eine der Tavernen. Sie dachte nicht im Traum daran, nur weil sie jetzt für hohe Herrschaften arbeitete diesen Teil ihres Lebens aufzugeben, ganz und gar nicht! Und tatsächlich war es dieser Gedanke, der sie die ganze Sache irgendwie doch eher positiv sehen ließ...


***

Mit schmerzenden Gliedern ließsich Alexandra auf das einfache Bett in ihrer Kammer fallen undstarrte an die Decke. Sie war harte Arbeit gewohnt und daran, dasssich ihr Körper nach einem langen Tag voller Schufterei wie einpochender Stein anfühlte. Eigentlich fühlte sie sich in solchen Momenten tatsächlich lebendig, daran konnte sie sehen, was sie getan, was sie mal wieder geschafft hatte. Dieses Mal jedoch riefen ihre erschöpften Gliedmaßen jedoch Ärger und Unzufriedenheit hervor. Und das lag nicht daran, dass sie mehr oder weniger erwischt worden waren oder an der Strafe, die ihr aufgebrummt worden war. Sie hatte gepokert und verloren, mit soetwas kam sie klar. Womit sie gar nicht klar kam, war dieses starre Pochen auf...ihr fiel einfach nicht die richtige Umschreibung ein. Seit sie in diesem Haus arbeitete,hatte sie eigentlich ständig etwas überrascht - zu Anfang tatsächlich nur zum Positiven, aber mittlerweile...manchmal schienes ihr, als sei sie vom Regen in die Traufe geraten.


Als sie mit Hatena über ihre Vergangenheit gesprochen hatte, war sie unendlich erleichtert und gleichzeitig froh darüber gewesen, wie sie die Geschichte aufgenommen hatte. Das hätte sie tatsächlich so nicht vermutet gehabt...das regelmäßige Training an dem sie teilnehmen konnte macht ihr große Freude und auch mit ihren Aufgaben im Haus kam sie zurecht. Sie bekam regelmäßig ihre Entlohnung und wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte es ruhig noch eine Weile so entspannt weiter gehen können...aber sie wäre ja nicht sie gewesen, hätte sie das lange "Stillsitzen" ausgehalten...ohne ihr Zutun schlich sich bei der Erinnerung ein Grinsen auf ihr Gesicht während sie sich mit einem geqälten Stöhnen auf die Seite rollte und die Decke über sich zog. Für den Ärger, den sie für ihre glorreiche Idee kassiert hatte, hatte es sich wenigstens gelohnt. Und sie würde es sicher noch einmal tun, dafür gab sie zu wenig auf Konventionen...Was ihr jedoch gar nicht gefiel war die augenscheinliche Freude am Durchführen von Bestrafungen die sie bei dieser Gelegenheit entdeckt hatte. Das verblüffte sie und machte sie tatsächlich ratlos. Genau wie der offensichtliche Zeitvertreib der Folter von Gefangenen - mochten sie es verdient haben oder nicht, aber zusammen genommen war das etwas, dass sie zutiefst erschreckte. Tatsächlich hatte sie fast angefangen zu glauben, hier vielleicht doch einen Platz finden zu können - gerade nachdem ihre Tante mit dem Brief aufgetaucht und sie sich noch einmal lange mit ihr unterhalten hatte...sie hatte angenommen, dass sich manche Dinge vielleicht ändern würden, wenn sie sich endlich ihrer Vergangenheit stellen und sie akzeptieren würde. Aber nun fühlte sie sich vor die viel drängendere Frage gestellt, ob sie immer noch Teil dessen sein wollte, was sich an dem Leid und den Verfehlungen anderer so offensichtlich weidete. Kein Akzeptieren, Vergeben oder gutmütiges Schmunzeln...


Die von Rekor versprochene andere Seite hatte sie bisher auch noch nicht finden können...sie hatte sogar erlebt, zumindest ansatzweise, was auch in der ansonsten so nett wirkenden Hatena stecken konnte...davon abgesehen schien sie dieser Klotz jetzt auch noch zu meiden...vermutlich erging es ihm wie den meisten anderen, die in ihr ein unnötiges Ärgernis sahen...ein Ärgernis, dass auch noch schamlos die eigene Meinung kundtat egal ob es angemessen war oder nicht...vielleicht sollte sie allen einen Gefallen tun und dafür sorgen, dass sie verschwand...Unzufrieden boxte Alexandra ihr Kopfkissen zurecht während sie schlecht gelaunt in den Schlaf hinüber glitt.