Abendlicht (III) (Ayu)

Ihr Kinn neigt sich ihrer Brust zu und man könnte vermuten, sie wäre einfach eingeschlafen. Regungslos sitzt sie auf ihrem Moosteppich in völliger Dunkelheit. Ihr eigenes Glimmen wird schwächer, während die Finsternis Ayu immer mehr einhüllt. Die Zeit scheint für die zierliche Sylvari völlig stillzustehen, während das Leben um sie herum weiter pulsiert. Die Sonne schiebt sich zu den Gipfeln der Berge und färbt die Unterseite der Wolken in ein wunderschönes rosa. Manch ein Gelehrter steht auf der Terrasse der Abtei und genießt diesen Anblick.



Roter Nebel umgibt sie und wabert unruhig umher, als würden sie in Mitten eines Orkans stehen. Tänzelnd sprintet sie auf Nherihs zu, der vor ihr zurückweicht und in den Nebel eintaucht. Doch dieser vermag den Sylvari nicht länger zu verbergen. Wie dünner Rauch zieht er sich zurück, kaum dass er ihm nahe kommt. Kurz färben sich die Ausläufer der Nebelschwaden zu einem Violett, doch lange kann Nherihs seinen Nebel nicht mehr zu kontrollieren.


Seit Ayu erkannt hat, das der Nebel um sie herum nichts weiter als eine Darstellung ihrer Gefühle und Empfindungen ist, fällt es ihr viel leichter auf diesen ebenfalls Einfluss zu nehmen.


Sie setzt ihm nach, doch er ist verdammt flink und wendig. Sie zielt auf seinen rechten Oberschenkel, doch trifft sie nur die Nebelschicht hinter ihm. Er flitzt an ihr vorbei und starrt sie knurrend an.


Zum ersten Mal, seit ihrem Erwachen, fühlt sie Angst von ihm ausgehen. Und zum ersten Mal fühlt sie sich von diesem Gefühl vollkommen befreit.


Es ist ihr Traum. Ihr Körper. Ihre Entscheidung. Ihre Entschlossenheit.


Atemlos blickt sie ihn an. In brodelt es. Er spürt es und mit einer perversen Freude scheint es ihm immer noch zu gefallen. Selbst seine eigene Angst scheint ihn nicht zu lähmen. Sie hasste und bewunderte ihn zugleich dafür.


„Glaubst du wirklich, du kannst mich besiegen? Mich auf deine Seite ziehen?“ kreischt er ihr entgegen.


Fasziniert stellt Ayu fest, dass sie immer ruhiger wird, je mehr er sich aufregt. Sie fühlt eine eiskalte Überlegenheit in sich aufsteigen, die alles in ihr zu zerreißen droht, als sie mit ihrem inneren Feuer zusammenprallt.

„Ich war immer hier und werde immer hier sein!“


Nherihs hebt seine Arme und wirbelt mit den Händen ausschweifend umher. Leise knisternd zieht sich die Luft um seine Hände zusammen und bildet erste Eiskristalle. Diese wachsen immer weiter, verbinden sich zu größeren scharfkantigen Eisklumpen und bilden eine wunderschöne, tödliche Eisblume mit spitz zulaufenden Blütenblättern direkt über seinem Kopf. Sie glitzert in einem surrealen Licht und für einen kurzen Moment starrt Ayu das Gebilde beeindruckt an.


Mit einer fließenden Bewegung seiner Hände lässt Nherihs das Eisgebilde klirrend auseinander brechen. Die einzelnen Blätter fächern immer weiter auseinander bis die äußeren Blätter einen weiten Bogen schlagen und auf Ayu aus allen Richtungen zurasen.