Zwei goldene Harztropfen landen leise platschend auf dem mitternachtsblauen Blatt, welches wie ein Anhänger um ihren Hals hängt und in einem schwachen Blau glimmt. Langsam rinnen weitere Tropfen aus ihrer Nase und benetzen ihre Brust. Ayu scheint es nicht mitzubekommen. Völlig versunken in ihren Traum, scheint sie keinerlei äußere Einflüsse mehr wahrzunehmen. Ihr Körper hat aufgehört in sanftem Licht zu glimmen, ihr Atem geht flach und langsam. Viele sind bereits zu Bett gegangen und der Mond hüllt die Zittergipfel in ein schummriges, weißes Licht.
Ruhig und ohne mit der Wimper zu zucken, blickt sie den spitzen Eiskristallen entgegen. Ihr Atem geht schwer, hier und da trägt sie bereits etliche Kratzer, welche ihre blaue Haut golden schimmern lassen. Sie weiß ganz genau, was passiert, wenn sie einfach stehen bleibt. Sie wird auf qualvolle Weise hundertfach durchbohrt.
Doch erstaunlicherweise bereitet ihr dieser Gedanke keine Angst. Sie fürchtet ihren eigenen Tod nicht. Sie findet ihn faszinierend. Es bedeutet für sie lediglich eine neue Reise zu einem anderen Ort. Ihre einzige Sorge gilt denen, die sie zurück lässt.
Sie weiß nicht, ob sie in ihrem eigenen Traum wirklich sterben kann. Aber sie ist nicht bereit es herauszufinden. Entschlossen blickt sie Nherihs an, der sie mittlerweile völlig frustriert anstarrt. Sie spürt seine Angst. Er versteht nicht, warum sie so ruhig bleibt.
Sie hat da zumindest eine Ahnung. Und sie findet, dass es an der Zeit ist, die Theorie zu überprüfen.
Sie dreht ihren Kopf und erfasst mit ihren Augen das ganze Ausmaß der Eiskristalle, die auf sie zurasen, während sie sich zeitgleich wie ein Panther anspannt.
Es ist eine perfekte Formation, sie findet nicht die erhoffte Lücke. Doch das ist nun auch egal. Sie geht leicht in die Hocke und schnellt mit beiden Armen vor, als die ersten Eissplitter bei ihr ankommen. Blitzschnell zerschlägt sie diese und fixiert den größeren, gefährlichsten Brocken, der geradewegs auf ihren Bauch zurast. Sie stößt sich mit den Füßen vom Boden ab, geradewegs auf Nherihs und den Eiszapfen zu. Ihre Arme weit nach vorne ausgestreckt, gelingt es ihr im letzten Moment mit der rechten Hand die Flugbahn des Brockens soweit abzulenken, dass er durch ihr Blatthaar schießt und etwas heraus reißt. Sie zieht dabei den Kopf ein, als ein beißender Schmerz durch ihre Kopfhaut jagt. Doch die gerade entstandene Lücke ist nun groß genug, um mit ihrem zierlichen Körper aus dem Aufprallpunkt zu hechten. Sie nimmt es nur zu gern in Kauf, das immer noch etliche Eissplitter durch ihre Haut an verschiedenen Körperstellen durchstoßen. Die größte Gefahr ist abgewendet und Nherihs blickt sie nun vollends panisch an. Er selber ist total erschöpft von der stundenlangen Auseinandersetzung mit ihr und sie beide wissen, dass das Ende des Kampfes naht.
Ayu sprintet frontal auf Nherihs zu, schlägt plötzlich einen Hacken nach dem anderen. Ihr Traumebenbild dreht ständig den Kopf, versucht sie im Auge zu behalten. Doch Ayu ist zu schnell. Mit seinem letzten Zauber hat er sich völlig verausgabt.
Der blaue Sylvari spürt einen kräftigen Stoß im Rücken, als Ayu ihn unsanft zu Boden schubst. Verängstigt blickt er zu ihr hoch, während sie ihn voller Ernst und kühler Gelassenheit auf ihn herabblickt - mit dem Dolch direkt auf seinen Bauch zielend.
Sie sind beide völlig erschöpft und beide wissen, dass der Kampf zu Ende ist.
Plötzlich beginnt Nherihs laut und schrill zu lachen.
„Und was jetzt? Tötest du mich?“ kreischt er ihr entgegen.
„Du hast diesen Kampf vielleicht gewonnen. Aber du hast gleichzeitig auf ganzer Linie versagt. Du bist voller Wut. Und Hass. Sieh dir die Finsternis an, die dich umarmt. Du lässt es zu, hmmm? Du magst vielleicht meine Erinnerung aus deinem Traum löschen, aber ich werde IMMER in dir weiterbestehen!“
„Das stimmt.“ Entgegnet Ayu leise. Ihre Stimme klingt ruhig und friedlich. Wie das sanfte Flüstern des Windes. „Du wirst immer ein Teil von mir sein. Ich habe nicht vor, mich von dir zu ‚befreien‘.“
Sie steckt bei ihren Worten ihre Dolche weg. Gleichzeitig löst sich der Nebel um sie beide vollständig auf und gibt den Blick auf ihre Traumlandschaft frei. Es erinnert an den Caledonwald. Ein friedliches, sonniges Plätzchen.
„Du bist ich. Und ich bin du. Wir sind eins. Du bist mein Schatten.“
Entschlossen blickt sie ihn an und reicht ihm ihre Hand.
„Es gibt Dinge, gegen die müssen wir gemeinsam vorgehen. Ich brauche deine Hilfe. Andernfalls werde ich sterben und dann ist es auch aus mit dir.“
Verwirrt schaut er zu ihr auf, starrt ihre Hand angeekelt an. Doch dann grinst er grimmig und schlägt ein.
Kommentare 1