'Unterschätze niemals ruhige Menschen.
Sie bemerken mehr als du glaubst,
denken sich mehr als sie sagen
und wissen mehr als sie preisgeben.'
"Nein! Im Ernst?!"
Das schnatternde Gelächter der drei Frauen hallte glockenhell und einem Glasschneider garnicht so unähnlich über die Terrasse des kleinen Cafés unweit des Palastgartens, und gleich oberhalb der Lyssa-Hochstraße. Es war einer der vielen kleinen Treffpunkte, an denen die ministeriellen Angestellten sich zum Mittag trafen, oder sich in kleinen Pausen ein Stück köstliches Gebäck oder ein heißes Getränk besorgten, und somit unweigerlich einer der Orte, an denen Klatsch und Tratsch der verschiedenen ministeriellen Abteilungen ausgetaucht wurde. Für Damen wie diese war es zudem das beste Jagdgebiet - einerseits, um sich auf die Lauer nach hochgestellten und vorallem ledigen Beamten und Amtsträgern zu legen, andererseits um gnadenlos jeden modischen Fauxpas bis aufs kleinste Detail zu sezieren, machte er den Fehler und kreuzte ihren Blick.
Die erlesene Gesellschaftsschicht der Sekretärinnen war eine eigene Welt für sich, die keinen Aussenstehenden in ihrer Mitte duldete, und die hart und endgültig über jeden Urteilte, der in ihren Augen unwürdig war.
Also jeder, der keine Sekretärin war.
Innerhalb dieser erlesenen Runde allerdings, machten die spannendsten Gerüchte, der brandheißeste Klatsch und die aufregendsten Skandale schneller die Runde als der alte Rutherman, einer der höheren Beamten in den bürokratischen Eingeweiden des Inneren, die Röcke seiner Sekretärinnen lupfen konnte.
Hatte man das Glück dazuzugehören, oder einfach das Pech zufälliger Ohrenzeuge zu werden, so konnte man erfahren wer mit wem auf wessen Schreibtisch in welcher Pose ein aufregendes Stelldichein gehabt hatte, wer nun wieder Schwanger, verlobt oder verstorben, oder schlicht, wer einfach fett, hässlich oder unfassbar unpassend gekleidet war.
Ein beliebtes Objekt dieser Lästerattacken saß unweit des Damentisches, im Schatten der Markise nahe der Fensterfront des Cafés an einem Tischchen, und versenkte gerade die kleine Kuchengabel in einem saftigen Stück Apfel-Mandel-Kuchen mit Schlagsahne, welcher, zusammen mit einer großen Tasse Kakao mit Schlagsahne und Schokoladenstreuseln, als Nachtisch herhalten musste. Elizabeth suchte ganz bewusst die Nester der Lästerschlangen auf und setzte sich mit Vorliebe mitten hinein, manchmal mit Richard, selten auch einmal mit Adrian, wo sie mit himmlischem Genuss ein ausgiebiges Mittagessen samt Nachtisch verputzte, während die Damen Wasser tranken und auf Selleriestangen herumkauten. Nach zehn bis fünfzehn Minuten verlor man üblicherweise das Interesse an ihr, und nachdem man sich ausgiebig über ihre Kleidung, ihre Frisur und ihre Körpermaße ausgelassen hatte, gelang es ihr nicht selten das eine oder andere nützlich-pikante Detail aus dem Ministeriumsleben aus dem Geschnatter zu filtern, welchem sie unbemerkt mit nur allzugroßen Öhrchen zu folgen pflegte.
Gerade eben erst hatte sie erfahren, dass einer der Ratsherren eines eher kleinen, kaum bekannten Ressorts eine offenbar schlecht verborgene Intrige gegen einen seiner Konkurrenten ausheckte, und auf der Suche nach Verbündeten offenbar an den falschen Sekretär geraten war.
Um eine wertvolle Information reicher, legte sie die Kuchengabel zur Seite und tupfte sich mit der Serviette die Lippen ab, als ein jugendliches Mädchen mit zwei strohblonden Zöpfen rechts und links am Kopf zu ihr trat und ihren Teller aufräumte. "Darf es noch etwas sein, euer Ehren?" fragte das quirlinge Ding, das ihr schon immer furchtbar sympathisch gewesen war - vielleicht wegen der rosigen Pausbäckchen die verrieten, dass auch sie eine gute Mahlzeit zu genießen wusste.
"Irgendwann muss ich wegen deinem Apfelkuchen noch Überstunden machen, Liebes. Bring' mir bitte noch ein Stück, und wenn du schon dabei bist, nehme ich auch noch einen Kakao. Beides zum mitnehmen, bitte."
"Mit Sahne und Schokostreuseln?"
"Das fragst du noch?"
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