Zuvor
Mit einem Schwall ergoss sich das Blut aus dem sauberen Kehlenschnitt und durchtränkte das schwarze, lederne Oberteil der Frau. Mitleidlos wartete Szarah, bis der Funke in den Augen der anderen Assassine erlosch, um sie anschließend zu schließen. Eine Geste des Respekts, den sie ihresgleichen entgegen brachte, auch wenn man auf verschiedenen Seiten kämpfte. Oder in diesem Fall gekämpft hatte.
Ihr war die dunkel gekleidete Gestalt bereits während des Abendessens aufgefallen, das sie mit Kyle in der Taverne im Salma-Viertel genossen hatte. Aus Gewohnheit hatte sie mit dem Blick zur Eingangstüre gesessen und jeden Neuankömmling wenigstens flüchtig gemustert. Die nun Tote hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil sie während ihres kurzen Besuchs - sie hatte einfach nur eine Weile an der Theke gestanden - ihre Kapuze aufbehalten hatte. Natürlich gab es vermutlich diverse nachvollziehbare und vollkommen harmlose Gründe, warum jemand sein Gesicht verbergen wollte, doch war Szarahs Misstrauen geweckt.
Nach dem Essen waren sie zu Kyles Haus zurück geschlendert und die Gestalt war ihnen gefolgt. Sie stellte sich dabei gar nicht allzu dumm an, doch Szarah wusste, worauf sie achten musste. Und so lotste sie den Krieger an seinem Haus vorbei in eine der schmaleren, dunkleren Gassen. Für einen zufälligen Beobachter mochte es so ausgesehen haben, als sei das Paar auf der Suche nach einem geeigneten Ort für ein Schäferstündchen, doch Szarah hatte andere Pläne. Sobald die Gelegenheit günstig war, verschwand sie in einem schmalen Weg zwischen zwei Häusern, hastete um den Block herum und befand sich nun im Rücken ihrer Verfolgerin.
Die andere Frau bemerkte ihren Fehler erst, als es bereits zu spät war. Ohne Vorwarnung griff sie an und es begann ein kurzer, heftiger Kampf. Die Vermummte setzte alles auf eine Karte, wusste sie vermutlich, dass sie nur eine Chance hatte, so lange sich der Krieger, von dem in diesem Moment nichts zu sehen war, nicht einmischte. Doch der Vorstoß ging ins Leere und anstatt einen Vorteil zu erlangen, drehte sie sich genau in Szarahs Klinge. Bis zum Heft versenkte die blonde Assassine ihren Dolch im Bauch ihrer Gegnerin, eine tödliche Wunde, wenn auch nicht sofort.
Das wenige, was sie noch aus der Sterbenden heraus bekam, ehe deren Sinne schwanden, besiegelte ihr Schicksal. Natürlich würde man die Leiche spätestens am nächsten Morgen finden - Kyle wartete auf sie und sie wollte ihn ungerne Fragen, ob er ihr bei der Beseitigung helfen könnte - doch was war schon eine weitere ausgeraubte Tote? Derjenige, der sie geschickt hatte, würde die Botschaft erkennen, für alle anderen würde es sich nur um ein unglückseliges Opfer irgendeines Strauchdiebs handeln.
Nein, wegen der Toten machte Szarah sich keine Gedanken. Ihr Problem war vielmehr, dass sie langsam nicht mehr wusste, was sie Kyle sagen sollte. Der Krieger war nun einmal nicht völlig auf den Kopf gefallen und so langsam schien er ihr die Lügen, von denen sie ihm zwangsläufig immer mehr auftischte, nicht mehr zu glauben...