Jetzt
Begleitet von einem ekelerregenden Geräusch zog Ennorath seinen Dolch aus der Wunde. Es tat weh, aber nicht so sehr, wie Szarah befürchtet hatte, was vermutlich bedeutete, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag: das Gift lähmte nicht nur ihre Glieder, es betäubte auch den Schmerz.
"Ich rechne dir hoch an, dass Du zu mir gekommen bist", erklärte Ennorath in der gleichen ruhigen Tonlage, wie zuvor. Behutsam legte er ihren rechten Arm um seine Schulter und hob sie hoch. Seine Statur war eher drahtig als muskulös, doch hatte er mit ihrem Gewicht keine Probleme. Langsam trug er sie weiter in die Höhle hinein und seine Nähe gepaart mit dem vertrauten Ledergeruch seiner Kleidung, lullten Szarah zusehends ein. Ihre Sinne schwanden und als sie wieder zu sich kam, hätte sie unmöglich sagen können, ob sie nur wenige Minuten oder über Stunden das Bewusstsein verloren hatte.
Als erstes drang das monotone Geräusch von Pferdehufen an ihr Ohr, die sich im Trab vorwärts bewegten. Es dauerte einen Moment, bis Szarah begriff, dass sie selbst sich auf dem Rücken des Pferdes befand, sicher gehalten von Ennoraths Armen. Auch ohne die Augen zu öffnen wusste sie, dass er es war und sie genoss den kurzen trügerischen Frieden, von dem sie wusste, dass er viel zu schnell vorüber sein würde.
Und in der Tat wurde das Pferd schon bald langsamer. Dem Laut der Hufe nach zu urteilen befanden sie sich auf steinigem Grund, als Ennorath sein Ross zügelte und zum Stehen brachte. Szarah stützend glitt er aus dem Sattel und zog sie erneut in seine Arme.
"Was hast Du vor...?" Es ernüchterte sie, wie leise und rau ihre Stimme klang, doch er schien sie trotzdem verstanden zu haben.
"Ich bringe es zu Ende."
Mühsam öffnete sie ihre Augen und versuchte sich umzusehen. Es war dunkel und sie konnte kaum etwas erkennen, doch roch es frisch, nach Wald und Erde, aber auch nach Fels. Nassem Fels, um genau zu sein und nun konnte sie das leise, monotone Rauschen zuordnen, das sie schon eine Weile im Ohr hatte. Ein Fluss.
"Du tötest mich...?" Es war eine schlichte Frage, keine Bitte um Gnade.
Er seufzte, tief und schwer. "Du bist die beste Schülerin, die ich jemals hatte, Szar. Ich werde dein Leben nicht beenden. Aber ich kann auch nicht über das hinweg sehen, was Du getan hast." Inzwischen war das Rauschen lauter geworden und er blieb stehen.
"Was hast Du vor...?", wollte sie noch einmal leise wissen.
"Ich lasse jemand anderen richten." Äußerst sanft küßte er ihre Stirn. Drückte sie für einen flüchtigen Augenblick fest an sich. "Grenth." Dann ließ er sie los.
Erschrocken schrie Szarah auf, damit rechnend, jeden Moment auf den Boden zu treffen. Doch stattdessen fiel sie. Fiel. Und fiel. Der Grund erschloss sich ihr erst, als sie mit einem Mal zu Ennorath hinauf sehen konnte. Er stand auf einer über dem Fluss aufragenden Klippe und er hatte sie nicht einfach fallen gelassen, er hatte sie regelrecht geworfen.
Dann schlug das eiskalte Wasser über ihr zusammen.