Zuvor
Nachdenklich blickte Szarah nach draußen. Die Nacht hatte sich über Götterfels gesenkt und die kleine Gasse hinter Kyles Haus lag in völliger Dunkelheit da. Ein paar einzelne Regentropfen klatschten gegen das Fenster und hätten Szarahs trostlose Stimmung kaum passender untermalen können. Mit einem Seufzen wandte sie sich um und musterte den bewusstlosen Krieger, der so friedlich wirkend auf seinem Bett ruhte. Das Gift, welches sie ihm in den Wein gemischt hatte, ließ ihn tief und fest schlafen und würde ihn vermutlich erst nach dem Morgengrauen wieder aus seinen Fängen entlassen.
Sie hatten sich gestritten. Langsam aber sicher wusste sie einfach nicht mehr, was sie ihm auf seine ganzen Fragen antworten sollte und das hatte er gemerkt. Er wusste inzwischen, dass sie keine Seiltänzerin war und nicht zum fahrenden Volk gehörte, was genau sie war lag allerdings weiter im Dunkeln. Da sie nicht bereit gewesen war, sich ihm zu öffnen, waren sie im Streit auseinander gegangen und die Assassine hatte sich einzureden versucht, dass es so das Beste sei. Mit Kyle verschwand eine Risikokomponente aus ihrem Leben und sie konnte sich wieder voll und ganz auf den Auftrag konzentrieren.
Doch dann war sie über etwas gestolpert. Informationen, nicht für sie bestimmt und doch waren sie an ihr Ohr gelangt. Etwas wichtiges sollte von A nach B transportiert werden, wobei A der Hof der Königin war. Die Sache sollte heimlich von Statten gehen, inoffiziell, weshalb es keine offizielle Eskorte geben würde. Nur drei Krieger würden die Ware transportieren, keiner davon in einer offiziellen Rüstung. Doch so geheim man die Angelegenheit auch halten wollte, irgendwo gab es ein Leck und so existierte nun ein Plan, die kleine Gruppe zu überfallen. Ein Hinterhalt, Armbrustschützen, eine kurze, saubere Sache. Weder Ennorath noch Androsch waren beteiligt, wohl aber schnappte Szarah auf, dass einer der drei Krieger ein Mitglied der glänzenden Klinge sein würde.
Mit einem äußerst flauen Gefühl im Magen forschte sie weiter nach und ihre Befürchtung wurde wahr. Kyle sollte den kleinen Tross begleiten und damit unwiederbringlich in den Tod reiten. Kurz hatte sie sich einzureden versucht, dass es so sogar noch besser sei. Endgültiger konnte sich ein potenzielles Risiko kaum in Luft auflösen.
Eine Stunde später hatte sie, bewaffnet mit einer Flasche Wein, an seine Türe geklopft. Und nun stand sie hier und sinnierte darüber nach, warum sie sich eingemischt hatte.
Liebte sie ihn? Nein. Dafür kannte sie ihn erst seit viel zu kurzer Zeit und abgesehen davon war Liebe von je her ein äußerst abstrakter Begriff für sie gewesen. Lag es dann vielleicht daran, dass sie das Lager geteilt hatten und das nicht gerade wenig? Auch das konnte sie ohne zu zögern verneinen. Den genauen Grund vermochte sie einfach nicht zu greifen. Aber Kyle war nun einmal kein gesichtsloses Ziel mehr. Sie hatten geredet, gelacht...
Mit leisen Schritten näherte sie sich dem Bett und setzte sich auf die Kante. Auch wenn sie es nicht rational begründen konnte, war sie einfach nicht bereit, ihn einen vollkommen sinnlosen Tod sterben zu lassen.