Der Flug zur Sonne - Eintrag 7

[Sonne-Playlist]


Eintrag 7, Tag 3


Es hat sich etwas getan, im Verhältnis der Durmand-Kru zu den Wachsamen. Und beim Schutz vor Wolkenkraken.


Dr. Pynzos, Magisterin Nizps Stellvertreter, hat recht gute Verbindungen zu den Wachsamen. In Rata Sum II hatte er lange Zeit mit ihnen zusammengearbeitet, er hat nun Kontakt zu einem der zwölf Wachsamen, Recken Zukkis, aufgenommen. Zukkis stammt ebenfalls aus Rata Sum II und konnte die Magisterin wohl einigermaßen davon überzeugen, dass der Trupp auch eine Hilfe sein konnte. Er versuchte immer wieder hervorzuheben, dass sie nicht nur reine Kämpfer waren, sondern auch Ingenieure, Planer und Pioniere. Sie willigte irgendwann ein.
Diese Zusammenarbeit hat heute dazu geführt, dass wir das 'Nest' errichtet haben. Wir rechneten nämlich mit weiteren Wolkenkraken, die den Qualm für leckere Wolken halten und dann den Schornstein des Schiffes verstopfen würden.
Das 'Nest' erinnert an einen großen runden Käfig, aus dem lange, spitze Metallstreben ragen. Die sollen den Wolkenkraken den Appetit an unserem Schornsteinqualm verderben.
Da diese Konstruktion aus gewöhnlichen Metallen und nicht aus Aanicarium hergestellt war, würde das 'Nest' wohl in der Nähe der Sonne schmelzen. Wir würden es im besten Fall vorher abmontieren.


Ich selber war auch am Bau beteiligt. Neben Jinhai, Zina und mir waren gleich drei Wachsame an der Außenhülle tätig: Die Recken Yrlan und Erunaf, zwei Sylvari, sowie Recke Dakin von Nebeltal. Dakin war ein Mensch und hielt, ähnlich wie von Sternling, seinen Nachnamen noch für etwas besonderes.
Wir arbeiteten also mit Seilen gesichert mehrere Stunden lang an der windigen Außenhülle, mit Schutzbrillen, Masken und warmer Kleidung. Unsere Aufgabe war es, die Teile des Gerüstes zusammenzusetzen, die Skruu und Rollo in der Werkstatt für uns geschaffen hatten.
Die Einzelteile mussten die Leiter hoch bis zur Luke getragen werden, die zu dem nicht sehr breit war. Sollte es einen zweiten Flug zur Sonne geben, so hatten wir also etwas neues, wichtiges darüber gelernt. Krakenschutz für den Schornstein und breitere Luken nach draußen.


Yrlan, ein blassblauer, kahler Sylvari, hatte ein gutes Verständnis für mechanisches, war also eine große Hilfe bei der Montage. Mit ihm konnte man sich sogar unterhalten, mit Zina und mir verstand er sich gut, auch wenn er oft recht distanziert wirkte. Der andere Sylvari, graurindig und mit einem lilafarbenen Blätterzopf, sprach hingegen kein Wort. Da war er nicht der einzige. Dakin mochte die ihm zugewiesene Aufgabe augenscheinlich nicht, nur ab und an bestätigte er knurrend einen Befehl. Und Jinhai...er hatte gestern wohl schon alles gesagt, was es zur Reise zu sagen gab, also schwieg er ebenfalls.
Sicher, es gab es noch Misstrauen zwischen manchen Sonnenreisenden, aber ich denke sie werden schon auftauen, wenn wir in die Nähe der Sonne kommen. Auftauen, hehe.


Bis jetzt ist unser Ziele noch ein ferner, aber strahlender Fleck. Doch auch die Welt unter uns wird kleiner. Die Wolkendecke ist nun viel ferner als gestern, zwischen den aufgerissenen Wolken sieht man einen enfernten Ozean durchblitzen, aber ich kann nicht erkennen um welchen es sich handelt.
Von hier oben kann man auch weitere Wolkenrochen, oder Fluufladen erspähen, die diese Risse in den Wolken tunlichst umschiffen. Sie begleiten unser Luftschiff wie ein Schwarm Gänse, nur sind sie dabei beruhigend still, die Schläge ihrer großen, dünnen Schwingen sind gemächlich.
Doch zugleich wecken diese fremdartigen Wesen die Neugier auf das, was uns noch auf unserer Reise zur Sonne begegnen mag.


Zinas Befehle rissen mich aus meinen Träumereien. Ja, unsere Köchin hatte wieder das Kommando übernommen. Zwar brüllte Skruu ab und an Befehle den Schacht hinauf, doch Zina war darin auch sehr gut. Sie passte sich sehr schnell an neue Situationen an, wohl ein Grund, weshalb die Magisterin sie mitgenommen hat. Sie war nur 'offiziell' Köchin, aber ihre anderen Talente waren bei der Wahl sicher auch berücksichtigt worden. Wir waren so gut wie fertig mit dem 'Nest', die letzte Metallstrebe wurde gerade befestigt. Die meisten hielten schon nach Wolkenkraken am Himmel Ausschau, die unser Gebilde testen konnten.
Doch in der Ferne, weit vor dem Bug der Durmand, blitzte es nur.
Aber Blitze, über den Wolken? Immer wieder leuchteten in der Ferne Lichter auf, die auf die Wolkendecke schossen. Oder durch die Wolken selbst, vielleicht sogar bis auf den Erdboden.
Man informierte die Besatzung darüber. Der Befehl der Magisterin lautete, sich dem Phänomen der Gewitterfront zu nähern. Wir sollten draußen bleiben, uns aber abstiegbereit halten.


Wir wären vielleicht stolz auf unser nun fertiges 'Nest' gewesen, aber die Wolkenkraken ließen auf sich warten, die Blitze hingegen näherten sich. Wir hingen am Geländer, mit Blick zum Bug, in Erwartung einer neuen, interessanten Entdeckung. Zunächst bemerkten wird, wie sich die inzwischen vier Fluufladen, die uns begleitet hatten, abwandten und in verschiedenen Richtungen davonschwebten. Die wussten wohl mehr als wir, was sich da vorne abspielte, aber zu erkennen war noch nicht viel. Dakin hatte ein Fernrohr dabei, welches er deshalb widerwillig herumgehen ließ, wobei sein Blick dauernd zwischen den Blitzen, dem Fernrohr und den tausenden Metern Tiefe unter uns wechselte. Wir erkannten, dass die Blitze in Kugeln enstanden, die bei jedem Schlag aufleuchteten. Was das wieder sein mochte? Es wurden Vorschläge gemacht, den Kurs lieber zu ändern, aber die Magisterin verwies darauf, dass unsere Blitzmasten jeden Schaden abhalten würden. Zwei ragten vor uns in den Himmel, einer hinter uns. Natürlich wollte keiner von uns an der Außenhülle sein, wenn es so weit war.


Yrlan, der Sylvari mit der blassblauen Rinde, klärte uns schließlich über unsere neuen Freunde auf.
„Quallen.“, sagte er schlicht. Schnell wanderte das Fernrohr herum – er hatte recht. Wieder erkannte man die Beschaffenheit der Fluufladen und Wolkenkraken, diesmal in der sanften, schwebenden Form eines ganzen Quallenschwarmes.
Ob jedes Meerestier einen Vertreter hier oben hatte?
Ich erinnerte mich in diesem Moment an einen Tag in der Löwensteiner Bucht, als um mich herum Massen an Quallen erschienen. Ich schwamm mit mehreren Verbrennungen zurück an den Strand, die zwar ungefährlich, aber doch sehr schmerzhaft waren.
Ab jetzt sah ich Blitze in einem ganz anderen Licht. Blitze waren wohl ganz einfach die Quallenstiche des Himmels.


Die Einschläge kamen näher, wir hatten uns um die Einstiegsluke versammelt. Dakin war bereits heruntergestiegen, Erunaf wartete auf der Leiter. Die Wesen waren nun mit bloßen Auge erkennbar. Ich schätzte ihre Zahl auf dreißig, eines von ihnen beobachtete ich genauer: Der durchscheinende Glockenkörper blähte sich im Wind, als würde er durch eine Meeresströmung treiben. An den Rändern konnte man Dutzende Fühler wabern sehen, die sich nun leicht vom blauen Himmel dahinter abhoben.
Zwar blitzte es im Schwarm sehr oft, doch eine einzelne Qualle schien nur etwa alle zwei Minuten fähig zu sein, einen Blitz abzufeuern. Was sie damit bezweckten? Jagten sie am Ende Wolkenkraken oder andere Wesen, die in den Wolken lebten? Das war möglich, schließlich schienen die Wesen so leicht zu sein, dass sie nach dem Tod nicht zu Boden fielen. Außerdem zweifelte ich nicht an der Klugheit der Fluufladen.
Wir bemerkten außerdem, wie die Wolkendecke unter dem Schwarm sich langsam dunkel färbte.


Als die Quallen sich fast dem Bug angenähert hatten, beschlossen wir unsere Forscherdrang lieber im Innern des Schiffes auszuleben. Zina, Yrlan und ich gingen zu Rylas Garten im Heck, das Fenster würde einen guten Blick auf den vorbeiziehenden Schwarm ermöglichen. Wir hörten bald die dumpfen Blitze, die von der Aanicariummästen der Durmand abgeleitet wurden. Während des Überfluges sagte niemand etwas. 46 Einschläge zählten wir im Stillen, mehr als erwartet. Die Quallen begleiteten uns nämlich eine kurze Weile, vielleicht wollten sie den riesigen goldbraunen Fisch, der wir ja waren, töten und verspeisen.
Doch irgendwann ließen sie ab und zogen weiter, sie konnten wohl unser Tempo nicht mehr halten oder erkannten die Aussichtslosigkeit ihres Treibens. Womöglich verfolgten sie auch ein völlig anderes Ziel, das wir nicht verstanden. Manooma war dieser Meinung. Sie hatte sich zu uns gesellt, um die Quallen auf ihrem weiteren Weg zu beobachten und zu skizzieren. Auch Boolwi, ihr ärgster Widersacher, war hier, nach uns nach trafen weitere Zuschauer ein. Die Sylvari und ich hatten uns schon den Platz auf der Pilzdiwan gesichert, mit direktem Blick auf das Schauspiel. Die Quallen wirkten jetzt viel größer als aus der Ferne, sie zogen bald nahe am Heckfenster vorbei, eine nach der anderen - ihre Ausmaße reichten von der eines Viertel Fluufladen bis zu einem halben. An die sporadischen Blitze hatten wir uns schon gewöhnt, wir hatten unsere Sonnengläser aufgesetzt und fühlten uns hinter der starken Hülle sicher.


Als die Quallen fast nicht mehr zu sehen waren, fiel mein Blick durch ein Loch in den Wolken. Und ich sah, dass wir weiter von unserer Welt entfernt waren als je zuvor. Bald also würden wir die Energiewurzel befeuern, um mit erhöhter Geschwindigkeit durch die Leere zwischen den Welten segeln.