Der Flug zur Sonne - Eintrag 16

[Sonne-Playlist]


Eintrag 16, Tag 13


Wenn ich mir Tee machte, dann für gewöhnlich nur um ihn zu trinken, ohne viel darüber nachzudenken. Ich vernichtete eine Kanne fast so schnell, wie ich sie bereitet hatte. Aber Bei Lady Xiaoqing war das alles von einem ganz anderen Wert... Es war alles so perfekt und elegant, dieses eigentlich einfache Bereiten von drei Teetässchen. Es war ein schönes Ritual.
Sie hatte Jinhai losgeschickt, um eines der Instrumente zu besetzen, während sie den Tee bereitete. Ihre Arme machten immer langsame, große Schlenker, statt die Tassen oder Kannen direkt zu ergreifen. Jinhais Instrument war ganz grob gesagt eine Art großer Holzkasten, der mit Saiten überspannt war. Er entlockte ihm sanfte, klimpernde Töne, manchmal erinnerte es an eine Harfe, dann an das Zupfen einer Laute. Die Götterpriesterin hatte dieses Exemplar selbst hergestellt. Und ja, hier mein erster guter Satz über Jinhai seit unserem Streitgespräch: In das Erlernen des Isnturmentes hat er scheinbar viel Zeit investiert. Ich hatte mich am Tisch vor der Priesterin niedergelassen, die in eleganten Bewegungen weiterhin den Tee bereitete, mit sanftem Geklimper im Hintergrund. Es duftete.


Meine Gastgeber verstanden es, Eindruck zu schinden, die Selbstverständlichkeit dieses Rituals sprach für ihre exzellente Bildung und Erziehung. Und überhaupt, gute Kulturlichkeit, oder wie man es nennt.
Als der Tee angerichtet war und Jinhai zu uns trat, war ich mir nicht sicher, ob ich applaudieren sollte. Es hätte sicher albern gewirkt. Die Götterpriesterin studierte während der Zeremonie mein Gesicht, ich hatte das Gefühl, sie konnte jede meiner Gefühlsregungen ablesen und deuten. „Es hat dir gefallen, Vylo Musyca, ja?“, fragte sie dann sogleich. Da konntei ch natürlich nicht verneinen, ich führte es dann noch ein wenig aus, so ähnlich wie ich es eben schon ausgeführt habe. Ich merkte außerdem an, dass ich nicht gewusst hatte, dass Jinhai so gut musizieren konnte.
Da lächelte er wieder überlegen. „Jeder Mönch kann das – Kannst du denn kein Instrument spielen?“
Nein, ich konnte keines spielen. Als ich das sagte, merkte ich aus den Augenwinkeln wie Jinhai zur Priesterin sah, als wollte er eine Reaktion erhaschen. Vielleicht wollte er, dass sie mich tadelt, schließlich beherrscht sie ein Dutzend Instrumente, eine Banausin wie ich aber keines? Ich entschuldigte mich sogar dafür, dass ich es nicht konnte. Ihre Nähe machte bescheiden. Sie lächelte aber. „Das ist doch nichts schlimmes.“ Ich kostete den Tee, nach dem beide das getan hatten. Das war eine ganz andere, viel höhere Klasse von Tee, als ich gewohnt war. „Vylo Musyca, du hast viele andere Talente, wie ich gehört habe. Du schreibst beliebte Bücher, außerdem hast du vor einem Jahr die Löwensteiner Wasserspiele gewonnen. Du stählst deinen Geist sowie deinen Körper. Wir respektieren das sehr.“
Sie nickte langsam und lächelte, im Kerzenschein sah sie wieder eine Sekunde lang unheimlich aus. Wie eine Marmorstatue bei Vollmond.
Ich war von der Freundlichkeit, die mir die mysteriöse Frau zeigte, noch ein wenig überwältigt. Kurz erzählte ich von den drei Büchern, die ich geschrieben habe. Keines war außerordentlich erfolgreich gewesen, aber Magisterin Nizpi hatte sie alle gelesen, sie wollte den Bericht über diese Reise in genau diesem Stil geschrieben sehen. Das war meine Fahrkarte zur Sonne gewesen.
Es war auch das Stichwort für Jinhai, einen Fakt einzuwerfen: „Die ehrwürdige Lady hat übrigens bereits elf Werke in den Bereichen Theologie, Geschichte, Kampfdisziplin, Kultur, Mesmertum, Ritualismus, Geistertum, Kunst, Musik, Recht und Architektur veröffentlicht.“
Er schenkte mir einen halb spöttischen Blick. Sie hingegen lächelte bescheiden, schlug kurz die Augen nieder, fast schon verlegen. Es wirkte nicht gekünstelt, aber auch irgendwie nicht natürlich. Irgendwie...besser als echt. Erhaben?



Lady Xiaoqing


Jedenfalls waren wir nun bei dem Thema angelangt, das für einen kleinen Streit zwischen der Abtei und dem Götterklerus gesorgt hatte. Wobei Lady Xiaoqing nie ein böses Wort verloren hatte und bei der Sache stets um Schlichtung bemüht war.
Sie ist eine Frau, die in ihren knappen fünfzig Jahren viele Disziplinen gemeistert hat, vom höchsten geistlichen Amt Canthas über musikalische und künstleriche Meisterleistungen, bis zu den elf Büchern, gefüllt mit Wissen über so viele verschiedene Themen. Es gab Gerüchte, dass sie niemals schlief, aber das würde ich wohl selbst erfahren, wenn wir mal auf der Sonne gemeinsam unseren Würfel beziehen sollten.Und bei all dem sah sie nicht mal aus wie vierzig.
Für den Klerus war die Sache klar: Diese Ikone schreibt den Bericht über den großartigen, ersten Flug zur Sonne. Nizpi hatte sich auch mit den Werken der Priesterin beschäftigt. Sie schätzte diese sehr, doch wollte sie mich als Schreiberin dabei haben. Mein Schreibstil würde wichtige Details aufgreifen, ehrlich sein und die größte Masse ansprechen, ohne sie zu sehr zu langweilen. Das war es was sie in etwa wollte. Von den Wachsamen mal abgesehen, durften dennoch nur drei Menschen mit auf die Durmand kommen.
Dass Von Sternling mitkam war klar, zusammen mit der Priesterin hatte der Klerus Jinhai allerdings schon fest eingeplant. Drei Menschen, und dann wollte Nizpi mich doch kurzfristig mitnehmen. Ich glaube meine Mentorin, Magisterin Amikys, hatte da ihre Finger im Spiel, aber sie schweigt sich lächelnd darüber aus.
Was genau sich abgespielt hat weiss ich nicht und ich wage noch nicht, die Priesterin danach zu fragen. Aber irgendwie hatte sie alle Seiten davon überzeugt, sowohl mich als auch Jinhai mitzunehmen.


Sie brachte mich dann auch direkt wieder in Verlegenheit, als sie ihr Lebenswerk herunterspielte.
„Ich kann bei weitem nicht so unterhaltend schreiben wie du, Vylo Musyca. Ich bin eigentlich ein sehr langweiliger Mensch.“ Sie lächelte und schloss einen Moment die Augen. Sie, wir alle, wussten, dass das nicht stimmte. Jinhai und ich schienen uns dann eine Minute lang darin überbieten zu wollen, ihre Behauptung zu verneinen und die Lady mit Komplimenten einzudecken. Sie lachte schließlich leise auf – da trauten wir uns mit einem Mal nicht mehr, weiter zu reden.


Sie nahm einen Schluck Tee, das Thema schien vergessen. „Sollten wir wirklich auf der Sonne landen können, werden wir uns ja unser 'Haus' teilen.“, begann sie. Das gehörte zu einem der Gründe, wieso ich hergekommen war. Wenn die Menschen schon gemeinsam mit mir in einem Wohnwürfel leben sollten, dann wollte ich sie kennen. Jinhai kannte ich inzwischen besser als mir lieb war, mit Rugo von Sternling konnte ich nicht viel anfangen.
Ich hatte die Hoffnung, dass ich mich mit der Lady anfreunden konnte. Und ja, sie war freundlich und gütig, aber auch so anders. Ihre offene Freundlichkeit schuf mehr Distanz als ein Streit.
Wir fantasierten also über die Sonne, wie es dort sein mochte. Feld, Wald, Wiese, Meer, Berge...gab es sie dort? Und was war mit Bewohnern, Tieren, Städten?
Ich fragte mich, wie die Nacht auf der Sonne aussehen mochte, es gab wohl keine. Jinhai meinte, dann könnte ich ja den ganzen Tag und die ganze Nacht faul in der Sonne herumliegen. Dass ich mindestens so gut in Form bin wie er, behauptete ich.
Ach ja?
Herausfoderung angenommen.


Die Lady lenkte unser Gespräch wieder auf die Sonne und unsere bisherigen Entdeckungen. Vielleicht sollte man die sternenerfüllte Schwärze um uns als einen Ozean begreifen, wenn durch den Himmel Rochen, Kraken und Quallen ruderten? Ich glaube sie stellte diese Behauptung nur auf um zu sehen, was wir zwei dazu zu sagen hatten.
Ich meinte, wir wären dann wohl eine Art Goldfisch in einem Brunnen, vielleicht schwimmen wir dem runden, dunklen Schacht nach oben und durchstoßen die Wasseroberfläche, wenn wir die Sonnenscheibe berühren. Und dort, auf der anderen Seite, erwartet uns etwas, dass wir uns nicht vorstellen können. Was uns so fremd ist wie einem Fisch das Trockene.
Der Lady gefiel diese Idee.
Und Jinhais Kommentar? Er erzählte uns von einer Art von Tiefseefischen, die in der Schwärze lauert und eine kleine Laterne auf dem Kopf trägt, um Beute anzulocken. Die Sonne ist in Wirklichkeit nur die Laterne eines gigantischen, gefräßigen Fisches, der im Dunkeln darauf wartet, uns zu verschlingen


Die Lady Xiaoqing lachte leise. Sie sagte, beide Ideen würden wohl Wahrheiten in sich tragen. Bald darauf war unser Tee beendet und ich stand wieder draußen. Vor lauter Freundlichkeit hatte ich gar nicht bemerkt, wie ich freundlich aus dem Zimmer manövriert worden war.