Der Flug zur Sonne - Eintrag 17-20

[Sonne-Playlist]


Eintrag 17, Tag 14


In der 'Nacht' weckte mich ein Geräusch, das anders war als gewöhnliche Geräusche. Zwar kam es mir bekannt vor, doch war es -in- meinem Kopf. Einen Moment hatte ich die Befürchtung, mein Verstand hätte in der Leere hier draußen Schaden genommen. Der Ton klang wie ein Quietschen, allerdings ein angenehmes Quietschen. Als würde es jemand singen. Und dumpf war es. Einen Brummschädel hatte ich nicht, davon wüsste ich. Ich zündete mein Lämpchen an und sah über den Rand meiner Koje nach unten, wo Rollo begonnen hatte zu murmeln. Der Charr blickte mit müden Augen zu mir auf. Zunächst wagte keiner zu sprechen, wegen dem Fiepen im Kopf. Nicht, dass der eine den anderen für verrückt hielt!
Denn jeder hörte es.
Rikken, zwei Kojen weiter, richtete sich kerzengrade auf und griff nach seiner Eisharpune. „Hört ihr das auch? Dieses Heulen? Dieses langezogene, dumpfe Zwitschern?“ Ich sah seine Augen im Halbdunkel glänzen. Sie waren weit aufgerissen und wach wie immer. Wir bejahten, Rollo, ich und die anderen in unserem Zimmer, die nach und nach aufwachten.
Ratlos schwiegen wir, jeder horchte in sich hinein.
Das Knarren uralter, riesiger Bäume in unseren Köpfen. Oder einer alten Pforte, die daraus gefertigt war.
„Ach, das ist nur mein Magen!“, rief Heggar Eiksson in die 'Stille'. Verhaltenes Lachen. Heggar, falls ihn jemand nicht kennen sollte, ist ein bekannter Bildhauer und seit einiger Zeit dabei, die Himmelgeschöpfe nachzubilden, denen wir begegnet sind. Außerdem dichtet er Lieder über die Reise, was ihn zu einer Art Kollegen für mich macht. Doch nun war er selbst nicht von seinem Witz überzeugt.
Wir horchten. Es klang wie im Meer. Ich wusste nun, an was es mich erinnerte.
„Das klingt wie Wale.“, warf ich schließlich ein. Rikken, der schon mehrere Wale getötet hatte, sprang von seiner Koje und suchte sich seine Sachen zusammen. „Was immer es ist, es wird den Namen Rikken Kaltatem mit Furcht aussprechen!“, verkündete er uns, todernst wie immer.


Benommen schälten wir uns aus unseren Laken. Rikken wollte gerade nach der Klinke greifen, als die Tür aufsprang. Sofort richtete er seine Harpune auf das leuchtende Geschöpf, dass eingedrungen war.
Es war Ryla, die nun gluckste und die Hände hob. Weder Norn noch Waffe schienen sie einzuschüchtern, „Rikken, ich will dir nichts tun! Ihr braucht mich ja noch!“ Dann huschte die Sylvari unbeirrt an ihm vorbei, winkte in die Runde der Erwachten. „Los, kommt alle mit, zur Steuerkanzel! Guckt aus dem Fenster! Es ist toll! Und leuchtet! Toll!“ Sie klatschte in die Hände, strahlend eilte sie wieder los, dabei das Geräusch nachsummend, das wir im Kopf hatte.


Erneut bot sich uns ein überwältigender Anblick, als wir durch die Streben der Steuerkanzel in die Schwärze zwischen den Sternen blickten. Ich werde versuchen, das gesehene so gut wie mir möglich ist in Worte zu fassen.
Zuerst war da ein einzelnes Wesen, oder zumindest ein Gebilde. Manooma war sich nicht sicher, ob es wirklich ein Lebewesen war. Es leuchtete in einem schwachen, orangeroten Ton. Wie bei den Himmelsschwimmern konnte man hindurchsehen, hinter dem Wesen funkelten verschwommen die Sterne.
Ich hatte mit einem Wal gerechnet, aber es erinnerte nur entfernt daran. Eher vergleichbar mit einer riesigen, längliche Seifenblase, die jeden Moment zu platzen droht. Zumindest waberte die Haut stark, wie man das etwa von Seifenblasen kennt. Es trug so etwas wie Flossen, an vier Seiten gleichmäßig verteilt. Sie formten sich aus der Luftblase, alles war ein einziges, zusammenhängendes Gebilde. Und es sang für uns. Womöglich tat es aber auch etwas ganz anderes.


Rugo Von Sternling stand am Steuer, und sah zu dem Wesen auf. Er hatte sich Watte in die Ohren gesteckt, aber die schien ihn vor den Gesängen des Gebildes nicht schützen zu können.
Magisterin Nizpi stand am Frontfenster. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, gab sie den nächsten Befehl.
„Nähern wir uns seiner Backbordseite an.“
Da von Sternling Watte in den Ohren hatte und den Befehl nicht mitbekam, schob Garzza ihn sachte zur Seite und begann mit dem Manöver. Stimmen wurden laut, die das Risiko zu groß fanden, aber Nizpi war lauter, wohl noch lauter als die Walblase.
Als die Spitze der Durmand auf das Gebilde zuglitt, teilte es sich in zwei Teile, ohne dass wir nahe genug heran gekommen wären um es zu berühren. Die vier Flossen zogen sich in die orange Haut zurück, nur um in jedem der beiden Teile erneut zu entstehen. Die Klänge in unseren Köpfen wurden heller, überlagerten sich.
Manooma skizzierte und notierte eifrig – ihr kamen einmal mehr Vergleiche in den Sinn. Belebter Schleim, vor allem, oder eine Art von Feuerelementar, oder beidem. Bei diesem Anblick ging ihr die Fantasie durch: Wenn dieses Wesen hier leuchtend durch die Leere schwebte, was mochte dann die Sonne sein?
Boolwi saß in leichtem Respektabstand neben ihr und glotzte aus dem Fenster, hin und wieder sah er zu seiner Artgenossin auf. Kein Kommentar, wie man das Gebilde nennen sollte, er redete gar nicht. Sie hatte ihm wohl wirklich Respekt eingeflößt.


Als wir beim dritten Manöver waren, das Wesen war nun zu fünfen geworden, kam auch Inke hinzu. Die müde Norn war spärlich in einen Eisbärenpelz gekleidet und hielt unter jedem Arm ein Huhn.
„Sagt mal was habt ihr denn mit mei'n Hühnern hier gemacht?“ Die Hühner waren in sich zusammengesunken, als würden sie schlafen, aber sie gaben einen leisen Ton von sich, etwas wie ein Summen, ähnlich dem, was wir in unseren Köpfen hörten. Die Tiere waren davor nicht verschont geblieben. Ob sie sich fürchteten? Oder genossen sie es?
Als Inke schließlich die Wesen vor den Scheiben erblickte, nickte sie anerkennend.
„Ah ja.“, bemerkte sie stirnrunzelnd. „Schon klar.“


Eintrag 18, Tag 14


Wir haben versucht, Proben von dem Gebilde zu nehmen, aber wie es aussieht gibt es keine Möglichkeit, es auf irgendeine Weise zu berühren. Es ist flinker als ein Fischschwarm, es scheint jede unserer Bewegung vorhersehen zu können. Rikken hatte vorgeschlagen, das Wesen zu vereisen und festzufrieren, doch Nizpi hatte nicht zugestimmt.
Manooma hat eine Bezeichnung für das Geschöpf durchgesetzt: Ätherisches Kollektivgewebe. Dennoch nennen es die meisten einfach die 'Walblase'. Die Gesänge sind beim Schreiben weniger störend, als ich erwartet habe. Dennoch, Nizpi hat nun beschlossen, dass die Reise weitergehen muss, bevor noch jemand durch die Töne in seinem Kopf verrückt wird. Außerdem sei unser Ziel die Sonne, alle anderen Entdeckungen nur 'nettes Beiwerk'. Oder viel mehr ein Vorgeschmack auf das, was wir noch vorfinden sollten.


Eintrag 19, Tag 15


Als wir uns vom Gebilde entfernen, beobachteten wir durch das Heckfenster, wie es sich wieder zusammensetzte. Die Klänge in unseren Köpfen wurden wieder tiefer und je weiter wir uns entfernten, auch leiser.


Eintrag 20, Tag 17


Heute haben wir etwas seltsames entdeckt. Also etwas alltäglich seltsams: Uns fiel eine lockere Fliese im Maschinenraum auf. Sie war nicht befestigt und scheinbar ist sie verrutscht, als jemand darüber gelaufen ist. Als Rollo das in Ordnung bringen wollte und die Fließe anhob, bemerkte er das seltsame. Es befand sich ein kleiner Schacht darunter, mit einem menschenhohen, abgeschalteten Golem darin.
Niemand wusste, wie er dort hin gekommen war, nicht einmal die Golemarbeiter. Wir informierte Magisterin Nizpi - sie vermutete, der Golem habe sich wohl selbst dort eingebaut, bei der Montur des Luftschiffes. Wir beachteten den kuriosen Vorfall nicht weiter.