Das leichte Klirren von Besteck auf Tellern war so ziemlich das einzige Geräusch in dem hohen Speisesaal des Palazzos. Graf von Grünbach und sein Cousin Areshtan von Brunnmark waren, abseits zweier Diener, die einzigen die zu dieser frühen Stunde im Saal waren und das Frühstück einnahmen. Die Gattin des Grafen hatte sich aus ungenanntem Grund entschuldigen lassen und man fragte diesbezüglich bei einer Dame auch nicht nach.
Der Baronet hingegen sah aus als hätte er sich auch gern entschuldigen lassen, war der gestrige Abend doch reichlich spät geworden und die Formulierung "noch nicht wach" eine derbe Untertreibung. Stumm kratzte er die Reste des soeben vertilgten Rühreis mit Speck zusammen und spülte die letzten Happen mit etwas klarem Wasser hinunter.
"Nun Cousin, wie war das Bankett gestern?" hob der Graf zu einer Unterhaltung an und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, da auch er gerade sein Frühstück beendet hatte.
Areshtan füllte seinen Kelch mit Wasser aus der Karaffe nach und tat es seinem Cousin gleich.
"Es war ein sehr ansprechender Abend Cousin. Danke für Deine Hartnäckigkeit. Ich hätte wohl unversehens gekniffen hättest Du mich nicht so nachhaltig gedrängt dorthin zu gehen." gab der Baronet zurück, sein Tonfall andeutend das er gerade etwas wacher wurde als man auf etwas angenehmes zu sprechen kam.
Ja das gestrige Bankett des Fürst Morrowe war eine sehr angenehme und zwanglose Veranstaltung gewesen. Der Fürst selbst ein angenehmer Gastgeber, und auch an leiblichem Wohl hatte es nicht im Mindesten gefehlt. Wenn die Veranstaltungen der Elite von Götterfels immer so zu gingen, würde Cousin Hardvaard ihn nicht mehr, schon nahezu unter Gewaltandrohung, zum Besuch nötigen müssen.
"Irgendwelche interessanten Bekanntschaften gemacht?"
Areshtan konnte sich nicht helfen, aber irgendwie klang die Frage lauernd. "Oh sicher doch. Ein Lord Lucien Lacroix samt seiner Begleitung, den Fürst Morrowe selbstverständlich und noch einige andere."
Graf von Grünbach tupfte sich mit der Serviette die Lippen ab und faltete diese dann überbordend sorgsam und legte sie auf dem Tisch ab.
"Cousin nur damit wir uns nicht mißverstehen. Ich habe Dich dort hingeschickt weil Dein Vater erwartet das auch Euer Teil der Familie hier in Götterfels Fuß faßt und präsent ist. Du bist nunmehr in einem Alter wo man Verantwortung für die Familie trägt."
Areshtan verdrehte die Augen und griff nach seinem Wasserkelch um einen guten Schluck daraus zu nehmen. Dann setzte er ihn ab und hob selbst zu sprechen an.
"Könntest Du mir verraten worauf Du hinaus willst? Ich war dort, ich habe Präsenz gezeigt, ich habe den Namen meiner Familie hochangesehenen Leuten der Götterfelser Gesellschaft zu Ohren gebracht. Aber es scheint als wäre es mal wieder nicht genug gewesen. Und wenn ich das so recht sehe war die Handelsreise mit der diesjährigen Weinkarawane die ich führen sollte eher eine Ausrede mich hierher zu schaffen damit man mich gesellschaftlich etablieren kann?!"
Der Graf erhob sich und wedelte mit einer energischen Geste den Diener fort der sich anschickte ihm den Stuhl zurückzuziehen. Irgendwie erschien er verärgert und so wie Areshtan seinen Cousin Hardvaard kannte würde es nicht lange dauern bis er den Grund dafür erfuhr.
"Sehr scharfsinnig werter Cousin und Du hast sogar Recht. Ich bin mit Deinem ehrenwerten Herrn Vater übereingekommen das es zur Stärkung der Familie von Brunnmark unerlässlich ist das sie hier in Götterfels bekannt ist. Der Adel konzentrierte sich in den letzten Jahren sehr stark auf die Hauptstadt. Wer nicht hier ist ist nicht vorhanden, wenn Du verstehst was ich meine. Dein Vater hat richtig erkannt das mein Haus für Dich das perfekte Sprungbrett in die Götterfelser Gesellschaft ist und der gestrige Abend war eigentlich der Auftakt dafür. Daher hat der Handelszug auch Götterfels bereits vorgestern ohne Dein Wissen verlassen und Du wirst bis auf weiteres hier bleiben."
Areshtans Fingerknöchel traten weiß hervor als sich seine Hand um den aufwendig geschnitzten Knauf seines Stuhls schloß als wolle sie nicht vorhandenes Wasser aus diesem herauspressen. "Und davon erfahre ich mal eben so hier beim Frühstück? Haben mein Vater und Du diesen Unsinn geplant? Oder hat da doch eher Tante Yvette ihre Finger im Spiel?!"
Ihm war gerade echt zum speien zu mute. Als sein Vater ihm die Handelskarawane anvertraut hatte, die wie jedes Jahr größere Mengen des Weines von den brunnmarkschen Gütern in die Hauptstadt bringen sollte, hatte er vor Freunde Luftsprünge gemacht. Endlich hinaus in die Welt, raus aus dem Heimatort, Verantwortung für die Sicherheit eines wertvollen Weintransports. Er hatte sich endlich wie ein Mann gefühlt dem man vertraute und den man als gleichrangig ansah. Nun das... er war wieder willkürlich "festgesetzt" worden um der Familie zu "dienen".
"Nunja, es war eher eine Entscheidung der Notwendigkeit. Die Zentaurenbedrohung hat zwar ein wenig abgenommen, aber ich bin mit Deinem Vater übereingekommen die Sicherheit der Karawane doch lieber einem erfahrenen Söldnerführer anzuvertrauen der sich mit diesem Gegner bestens auskennt. Die Verkäufe des Weines waren dieses Jahr so erfolgreich das sich der Mehraufwand rechnet. Dein Vater stimmte mir zu, daß man Dein Leben nicht unnötig gefährden sollte in diesem Falle."
Die ständige Betonung auf die Zustimmung seines Vaters erweckte nur mehr den Eindruck das sein Vater womöglich nicht in alles eingeweiht war was hier gespielt wurde und das machte Areshtan rasend. Sein Vater war ihm durchaus heilig, vielleicht auch gerade weil der alte Baron seinem Sohn und Erben weit mehr Freiheiten gelassen hatte als es einem Erstgeborenen oft zukam.
Der Stuhl polterte lautstark auf die Marmorfliesen als Areshtan ihn beim aufstehen unsanft zurückschob. "Das is doch Moa Mist Hardvaard. Es geht nich um meine Gefährdung. Ich bin ein guter Schütze und sonem blöden Pferd mit Speer allemal gewachsen. Geht es darum das Tante Yvette langsam glaubt mich unter die Haube bringen zu müssen? Ist es das? Ist das vielleicht sogar der Grund warum ich auf diesem Bankett aufschlagen sollte?" Areshtan schnappte sich seinen Wasserkelch und schritt energisch in Richtung der Balkontüre, davor stehen bleibend und hinaus auf die Stadt blickend. Das er tatsächlich so naiv war zu glauben die gnadenlose Mühle des Adelsbetriebs würde, hier in Götterfels, auch nur für einen Moment stehen bleiben um ihm ein wenig Leben in Freihheit zu gönnen. Nicht zu fassen. Er wußte nicht auf wen er sauerer war. Auf seinen Vater der das alles womöglich tatsächlich duldete, Tante Yvette die glaubte sie müßte die von Brunnmarks voran bringen was immer das hieß, oder ihren Sohn Hardvaard der sich als billiger Handlanger hergab weil sie genau wußte das Areshtan keiner ihrer gutgemeinten Argumentationen aufgeschlossen war.
"Cousin, wahre doch bitte ein wenig die Contenance. Du bist hier nicht in einer Bauernschenke in der Brunnmark, sondern in meinem Hause und ich dulde nicht das Du Dich derartig aufbrausend benimmst."
Ohne seinen Cousin Hardvaard anzublicken erwiderte Areshtan: "Dann gib mir keinen Grund aufzubrausen und mach Dich nicht zum Schergen Deiner Mutter. Seit die Ehevereinbarung mit der Gräfin Lagrisien gescheitert ist, ist sie so besessen davon sich doch noch erfolgreich bei der Vermittlung einer guten Partie zu profilieren, dass ich einfach garnicht so viel futtern kann, wie ich brechen will. Ich bin ein erwachsener Mann, bei Balthasars gespanntem Oberarm. Ich weiß um die Verantwortung für meine Familie aber ich bin kein Zuchtbulle den man meistbietend verhökert und das wird sowohl Tante Yvette als auch Du kapieren müssen. Wenn es sich ergibt heirate ich... wenn nicht... dann nicht. Auf dem Bankett war ohnehin alles in Begleitung also war es für derartige Zwecke ohnehin ein Schlag ins Wasser." Beim letzten Satz konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und ließ den Blick über die Türme der Stadt fallen, die soeben von den ersten goldenen Strahlen der Morgensonne erfaßt wurden.
"Was mir doch gerade noch ein passendes Stichwort liefert. Mir wurde zugetragen das Du den ganzen Abend mit einer Sylvari zugange warst was doch einige meiner Bekannten mit Befremden aufnahmen."
War ja klar, er hätte sich denken können das ein "Neuer" besonders genau beobachtet wurde und womöglich sogar ganz im Auftrag dessen der ihn auf diese Festitivität geschickt hatte. Er mußte zugeben er hatte nicht nachgedacht. Sie war allein gekommen, auf Einladung Fürst Morrowes sogar, und er hatte sie angesprochen. Man verstand sich und beschloß aus der Not eine Tugend zu machen und das doppelte Problem der Begleitungslosigkeit auf einen Schlag zu eliminieren.
"Ja in der Tat habe ich dieses Bankett auch aufgrund der Anwesenheit von Lady Anahid hervorragend genossen. Schande das ich nicht der nächsten alleinstehenden Contesse vor die Füße gefallen bin und brüllte Wollt ihr meine Frau werden!!! So stillos wärst nichtmal Du Cousin."
"Ich verwende meinen Einfluß, schicke Dich auf ein Bankett bei dem die angesehensten Adeligen der Stadt anwesend sind und Du verbringst den ganzen Abend mit einem wandelnden Bäumchen?" Hardvaard schien nun selbst zusehends die Fassung zu verlieren, doch Areshtan fehlte jedwedes Verständnis für das Verhalten seines Cousins. Was war dabei? Er hatte einen netten Abend verbracht, war gesehen worden, war dem einen oder anderen - und ja vielleicht auch DER einen oder anderen - im Gedächtnis geblieben und damit sollte es doch für eine erste Bekanntschaft mit dem krytarianischen Hochadel wohl genügen.
"Ein wandelndes Bäumchen, daß sehr charmant, eloquent und gebildet ist, traumhaft tanzen kann, und das darüber hinaus es absolut nicht schätzt wenn man es ein wandelndes Bäumchen nennt, Cousin. Ich verbitte mir jedwede weitere Despektierlichkeiten gegenüber dieser Dame, nur weil sie als potentielle Schwiegertochter wohl kaum eine Wunschkandidatin ist."
Das Maß war beinahe voll. Eigentlich hatte er nicht übel Lust seinem Verwandten den Zinnkelch an den Schädel zu werfen. Was immer er tat, nie war es recht, gut genug, standesgemäß. Er konnte es langsam echt nicht mehr hören. Der gestrige Abend war alles in allem eine wunderbare Erfahrung gewesen. Aber hinter jedem hohen Berggipfel lauerte bekanntlich ein tiefes Tal.
"Nun gut mag ja alles sein. Zu allem Überfluß wurdest Du dann gesehen wie Du mit dieser Dame recht vertraut das Bankett verlassen hast, zu später Stunde, obwohl ihr nicht gemeinsam eingetroffen seid. Was natürlich die Frage in einigen Köpfen aufwirft wie der Abend weiter ging."
Areshtan atmete tief durch und wandte den Kopf zu seinem Verwandten. "Vorsicht Hardvaard. Das ist jetzt sehr dünnes Eis. Ich habe, wie es sich für jeden Ehrenmann gehört, die Dame nach Hause eskortiert, um sicherzustellen, dass sie nicht allein durch die nächtlichen Straßen laufen muß und ihr womöglich Ungemach widerfährt. Und sollte die Meinung die mir hier über die Sylvari präsentiert wird, die Vorherrschende in Götterfels sein, fühl ich mich in meinem Handeln nur bestätigt. Es ist rein garnichts von dem passiert was sich manche Klatschweiber, ob nun Mann oder Frau, wohl in ihren Köpfen zurecht legen. Ich wüßte nichtmal ob dies überhaupt möglich wäre und auch hoffe ich das Dir klar ist das ich sie sicher nicht danach gefragt habe ob es möglich wäre."
Areshtan wandte sich in Richtung des Tisches, stellte den Kelch ab, ehe dieser doch noch in Richtung seines Cousins flog.
"Siehst Du Areshtan genau darum geht es. Der Eindruck, nicht das tatsächlich geschehene wird das Bild das die Leute von Dir haben bestimmen." versuchte Hardvaard die Unterhaltung wieder in eine erzieherische Maßnahme zu verwandeln.
"Cousin, die Bilder in den Köpfen der Leute kann ich nicht beeinflussen. Aber es sagt recht viel über das Naturell Deiner Spitzel aus wenn sie aus diesem harmlosen Abend derartigen Unfug konstruieren. Und solange deren Wort mehr zählt als das meine sehe ich keinen Grund diese Unterhaltung fortzusetzen."
Mit diesen Worten strebte Areshtan strammen Schrittes der Türe zu die aus dem Speisesaal hinausführte.
"Wo willst Du hin Areshtan?"
"Mir egal, irgendwo hin wo die Gesellschaft vielleicht nicht angemessen dafür aber angenehm ist. Nur wenn ich hier jetzt nicht rauskomme fliegen Dinge durch die Luft. Wenn Dir meine Wahl der Abendbegleitung nicht passt, dann sorg selbst für eine Genehme. Sollte in solch einer Stadt ja nicht das Problem sein. Solang ich das aber selbst mache, verbringe ich solche Abende in Gesellschaft die mir zusagt und nicht in Gesellschaft die anderen zusagt."
Ohne eine weitere Antwort abzuwarten riß er die Tür auf, dabei den davor postierten Diener verschreckend, und schritt hindurch wonach sie weitaus lauter als es irgendwie höflich gewesen wäre ins Schloß knallte. Zurück blieb Graf von Grünbach, mit der Gewissheit das er mit dem provinziellen Habitus seines Cousins noch einiges an Arbeit haben würde. So konnte das jedenfalls nicht weiter gehen.