Es klopfte sachte drei mal an der Tür die zu Areshtans Gemach im Palazzo des Grafen von Grünbachs führte. Ein lautes, deutliches "HEREIN!" deutete dem grauhaarigen älteren Herren vor der Türe an das es wohl genehm war das Gemach seines Herrn zu betreten. Langsam öffnete er die Tür und trat dann in das Zimmer ein daß sich im Gegensatz zu manch anderen Räumlichkeiten des Palazzos recht sparsam ausnahm. Dominiert von einem Bett und einem wuchtigen Schreibtisch sowie einem derzeit nicht geheizten Kamin auf einer Wandseite vor dem zwei Sessel standen.
Der Baronet befand sich derzeit hinter dem Schreibtisch auf dessen dunkler polierter Holzplatte sich derzeit großformatige Papiere ausbreiteten. Mit Zeichengerät und Tusche war der junge Adelige dabei Linien, Kreise, Bögen und verschiedene andere Figuren auf das Papier zu bringen. Einige weitere der Bögen hatte er auf einem extra aufgerichteten Gestell nahe dem Fenster zum Trocknen aufgehängt. Es waren auch für den ungeübten Betrachter technische Apparate erkennbar, oder vielmehr deren mechanisches Innenleben. Eine Windmühle, eine Zisternenpumpe die mittels einer Schnecke Wasser aus einem Tiefbrunnen fördern konnte, etwas das aussah wie das Skelett eines mechanischen Pferds.
Zumindest war nun ersichtlich warum der Baronet den ganzen Tag hier verbracht, und sogar das Essen hatte aus Zimmer bringen lassen.
"Guten Abend Euer Wohlgeboren, ich hoffe ich komme nicht ungelegen?"
Der Baronet sah auf und stellte die Zeichenfeder zurück in ihren Halter. "Mitnichten Bruchsteben, kommt herein, kommt herein." Freundlich lächelnd winkte der Baronet seinen frisch eingestellten Privatsekretär herbei und erhob sich dabei von seinem Hocker den er statt des eigentlichen Stuhls an den Tisch gestellt hatte um einen besseren Blick auf seine Werke zu haben. "Na Bruchsteben, hat mein Cousin schon wieder seine Leibwächter losgejagt damit sie mich aus dem Marktviertel zerren?"
Der Grauhaarige erlaubte sich ein leises aber vollends dezentes Lachen. "Nicht doch Wohlgeboren, er sah sich durch eines der Zimmermädchen versichert das ihr die Residenz heute noch nicht verlassen habt nehme ich an."
Areshtan seufzte leise, beendete diesen Ausdruck der Resignation jedoch mit einem Schmunzeln. Es sähe seinem Cousin in der Tat ähnlich das Dienstpersonal zur Ortung seines umtriebigen Anverwandten zu mißbrauchen. Fehlte nur noch eine Alarmglocke im Hof für den Fall das er das Hauptor durchschritt ohne sich vorher abzumelden.
"Euer Treffen mit Lady von Flammenfels war zufriedenstellend?" erkundigte sich der Sekretär nach der von ihm recht kurzfristig bestätigten Einladung der Lady an seine Wohlgeboren. Areshtan nickte. "Oh ja, daß ist mit einer der Gründe warum ich hier sitze. Das Projekt nimmt Gestalt an." Areshtan deutete auf die Rißzeichnungen der Maschinen die er bereits fertig hatte und auf die, die noch auf dem Tisch lag. Der Fachkundige hätte darin wohl am ehesten noch eine kurbelbetriebene Kübelspritze für die Feuerwehr erkannt.
"Ich dachte es ginge darum Spielzeuge für ein Waisenhaus herzurichten?" fragte Bruchsteben und betrachtete dabei die Pläne die nicht wirklich nach Spielzeug aussahen.
Areshtan nickte und kam um den Tisch herum. "Sicher doch Bruchsteben, aber eine der Dinge die ich tun werde ist einen Bausatz zusammenzustellen aus Teilen und dazugehörigem Werkzeug woraus man diese Dinge wird, natürlich in "klein", nachbauen können. Ich bin noch am grübeln wie ich Materialien verwende die das Verletzungsrisiko minimieren, aber die meisten der Aufbauten sind keinen hohen Lasten ausgesetzt und können somit aus leichtem Gummoholz gefertigt werden."
Noch ehe der Baronet sich in allzuvielen Details ergehen konnte, wechselte Bruchsteben das Thema. Er verstand von dem meisten Kram den seine Wohlgeboren trieb rein garnichts, was den Baronet eher noch anspornte es ihm zu erklären. Aber er war Sekretär und kein Ingenieurslehrling. "Eh ja, ich denke die Kinder werden damit sicher einiges an Spaß haben, und was Spaß und Lernen verbindet ist doch gleich von doppeltem Nutzen. Nur damit ihr es wißt. Graf Hardvaard schien äußerst erpicht darauf zu erfahren warum ihr bereits ein zweites mal bei der werten Lady aufwartet und das in so kurzer Zeit."
Areshtan ließ einen unidentifizierbaren Knurrlaut hören. "Oh, ich gedenke nächste Woche um ihre Hand anzuhalten. Eisen sollten geschmiedet werden solang sie heiß sind."
Der Sekretär schien einen Moment, als wäre er frontal gegen eine sich öffnende Tür gelaufen. Dann lächelte er auf seine gewohnt höfliche und zurückhaltende Art. "Mit Verlaub an eure Art zu scherzen muß ich mich noch ein wenig gewöhnen aber ich arbeite dran, Wohlgeboren."
Areshtan nickte leise lachend und hob dann ein wenig lauter die Stimme. "Hast du gehört Cousin, mein geschätzter Sekretär hat erkannt das das ein Scherz sein sollte, also spar Dir die Eildepesche."
Nicht das er wirklich davon ausging von Hardvaard belauscht zu werden, aber jeder Ingenieur arbeitete lieber mit einer doppelten Vernietung als das ihm der Kessel im falschen Moment um die Ohren flog.
"Und wo ihr gerade das Gespräch darauf bringt. Setzt bitte eine Bestellung an unser örtliches Weinkontor auf. Ich brauche, falls noch vorrätig, eine Kistchen der Spätlese von vor drei Jahren. Die Lady ist dem Lieblichen besonders zugetan und ich gedenke ihr damit bei nächster Gelegenheit eine kleine Freude zu bereiten, nachdem die letztjährige Rotrebe schon ihren Gaumen so entzückte."
Der Sekretär verneigte sich angedeutet. "Selbstverständlich Euer Wohlgeboren, es wird mir eine Freude sein Euren Auftrag noch heute zu versenden. Und wo wir von Sendung sprechen. Dies war der eigentliche Anlaß Euch aufzusuchen."
Mit diesen Worten hielt er Areshtan einen großen Umschlag entgegen auf dem deutlich in grünem Wachs das Siegel der von Brunnmarks prangte. "Ich ging davon aus, daß ihr daran brennend interessiert sein dürftet und beschloß mich sofort nach der Abgabe durch den Boten Euch aufzusuchen."
Mißtrauisch beäugte Areshtan das grüne Wachssiegel auf dem Umschlag, doch es war selbst für das geübte Auge des Feinmechanikers unversehrt. Innerlich mußte er sich schelten dafür seinem Cousin sogar das zuzutrauen. Es war schon ein Stück weit ungerecht, immerhin gewährte sein Cousin ihm Gastfreundschaft, wenn auch hauptsächlich zu dem Zweck zu verhindern das der ungestüme Baronet sich in den Miederschnürungen irgendwelcher gut gebauter Wirtstöchter verhedderte.
"Danke Bruchsteben, das war genau richtig. Ich brenne seit Wochen darauf Post aus der Heimat zu erhalten."
Kurzerhand brach er das Siegel und zog das feine Papier mit dem Wasserzeichen der Baronsfamilie aus dem Kouvert. Unverkennbar zierte die Handschrift seines Vaters dessen Oberfläche.
"
Mein geliebter Sohn,
ich hoffe dieses Schreiben findet Dich bei bester Gesundheit und Du hast Dich im fernen Götterfels zumindest soweit einleben können das Du nicht jeden Morgen mit dem Gefühl aufwachst man hätte Dich in Löwenstein auf eine Orrianische Galeere gepresst. Als ich erfuhr das der Weinzug ohne Dich aus Götterfels zurückkehrte kostete es mich einige Unterhaltungen, samt einiger eindringlicher Worte gegenüber meiner verehrten Schwester Yvette, um zu erfahren was überhaupt der Grund war das sie ohne Dich zurückkamen.
Du kannst mir glauben, den Unsinn Du wärst freiwillig geblieben um Dich mit dem Adelsleben in der Hauptstadt zu befassen, hab ich nicht einen Lidschlag lang geglaubt. Ein von Brunnmark mit einem Herz für die Großstadt, daß gab es seit Deinem seeligen Ur Urgroßvater Barneth nicht mehr.
Es hätte mir schwanen müssen als Yvette so beharrlich darauf bestand Dich den diesjährigen Zug nach Götterfels anführen zu lassen. Wo sie Dich doch am liebsten an die Kette legen würde. Hätte ich gewußt was da gespielt wird hätte ich meine Entscheidung beibehalten und Dich an die Spitze des Löwensteiner Zugs gesetzt.
Dein Bruder Aedan, wäre auf seine Kosten gekommen sich ein paar Tage von Bankett zu Bankett zu tanzen und dabei einen riesigen Scherbenhaufen an gebrochenen Herzen zu hinterlassen. Du hingegen hättest dort unten im Süden sicher ein paar Tage am Meer mit Speerfischen mehr Vergnügen gehabt.
Deine geliebte Mutter befürchtet ja ohnehin das Du uns einst eine Freibeuterkapitänin als Schwiegertochter anschleppst, aber ich bin mir da recht sicher das dem nicht so sein wird. Wir Brunnmarks sind Landratten und Schiffe schauen wir uns am liebsten von außen, und mit den Füßen auf trocknem Grund an.
In jedem Fall muß ich Dich um Verzeihung ersuchen für das was Dir nun widerfahren ist. Die Führung der Ländereien zur Erntezeit ist immer ein heilloses Durcheinander und seid mein Leib mir zumindest in Teilen die Gefolgschaft verweigert erschöpft sich meine Energie hauptsächlich darin.
Das kann nicht entschuldigen, daß mir die Geschicke meines Erstgeborenen und Erben derartig entgleiten, aber ich möchte Dich trotzdem bitten verzeih mir diesen Lapsus. Der Winter naht und damit die Zeit in der die Geschäfte der Baronie geruhsamer werden.
Und ich denke da werde ich auch sicher die Kraft für eine kleine aber feine Vergeltung finden.
Mit einer getrennten Sendung habe ich schon einmal dafür gesorgt das Deine Zuwendungen um einen guten Teil erhöht wurde. Weder möchte ich das meinen Sohn der Ruf des mittellosen Landadeligen ereilt, der Du nunmal nicht bist. Noch möchte ich das Du zur Finanzierung der Dir aufgenötigten gesellschaftlichen Erfordernisse auf Deinen verehrten Cousin Haardvard angewiesen bist.
Hinzu gebe ich Dir noch ein wenig väterlichen Rat. Verärgere nicht über Gebühr Deinen Cousin. Sieh in ihm lieber einen Leidensgenossen der noch nicht verstanden hat, dass ihr beide Läufer und Bauer auf dem Schachbrett seid, auf dem sich meine werte Schwester so gern als Dame geriert.
Ich bin mir ziemlich sicher Du wirst in nächster Zeit von Gelegenheit zu Gelegenheit gescheucht feine Damen kennenzulernen. Behandle sie freundlich und liebevoll, denn immerhin stecken sie vermutlich in der selben leidigen Situation wie Du, nur das sie dazu noch in ein enges Fischbeinkorsett gezwängt werden.
Außerdem waren zumindest zu meiner Zeit viele dieser Fräuleins vorzügliche, angenehme und kurzweilige Gesellschaft. Ich hoffe mal das hat sich nicht geändert in den letzten Jahren. Und schon damals warfen sie nicht gleich mit einer Fingerfessel nach einem, nur weil man charmant genug war, von ihnen öfter als einmal eingeladen zu werden. So sehr Deine werte Tante auch bestrebt sein mag die Verantwortung für Dich an eine edle, und selbstredend ihren Vorstellungen genehme, Ehefrau abzuschieben, so leicht wird sies nicht haben. Auch solltest Du die Gesellschaft von jenen gepflegten Fräuleins nicht verschmähen die stets bestrebt sind uns Edelgeborenen dröge Stunden durch ihre Anwesenheit zu versüßen. Noch dazu wo man sich mit ihnen auch bedenkenlos in der Öffentlichkeit präsentieren kann, und sogar sollte, denn es beweist zumindest einmal das man die Mittel hat sich solche Vorzüge des Stadtlebens zu leisten.
Nun denn, ich werde das hier mal beschließen und hoffe das Du trotz dessen das es gegen Deinen Willen geschah du die Gelegenheiten die sich bieten erkennst und nutzt. Wäre doch gelacht wenn mein eigen Fleisch und Blut nicht als letztes lacht. Halte das Haupt erhoben mein lieber Sohn
Dein Vater
Adaltus
Areshtan lächelte sachte. Sein alter Herr war eben doch noch der rüstige Kämpfer, der sich stets schützend vor ihn gestellt hatte und es auch noch Zeit seines restlichen Lebens tun würde. Es galt den alternden Baron nicht zu enttäuschen und so unscheinbar dieser Brief auch war er hatte Areshtan eine gute Menge Motivation überbracht.
"Danke Bruchsteben ich werde dieser Tage eine Antwort aufsetzen."
"Sehr wohl Euer Wohlgeboren, so ihr mich nicht mehr braucht würde ich dann noch ein paar Erkundigungen für euch einziehen."
Areshtan faltete den Schrieb zusammen und legte ihn auf dem Schreibtisch ab. "Kein Ding Bruchsteben, ihr dürft Euch entfernen, ehe ich euch mit Bruchfestigkeit und Scherkräfteberechnungen langweile."
Bruchsteben verneigte sich, nicht ohne ein kleines Lächeln in seinem bärtigen Gesicht, und zog sich dann rückwärtig zur Tür zurück diese öffnend und den Baronet allein zurücklassend.