Es liegt mir jetzt schon seit einiger Zeit im Magen, ein paar Denkanstöße zum organisierten Verbrechen in Kryta loszuwerden. Geben wir der Sache einen Versuch. Wall of text incoming.
Zunächstmal möchte ich betonen, dass es sich hierbei nicht um einen "anti-kriminellen" Thread handelt. Oftmals wird sich im Zuge solcher Diskussionen ja darüber beschwert, dass generell zu viele Charaktere kriminell und/oder korrupt seien, zu viele Missetaten begehen, und so weiter und so fort. Davon soll hier bitte Abstand gehalten werden.
Was ich allerdings scharf kritisieren und als Startpunkt für mein Argument wählen möchte, ist die Spielerwahrnehmung der Zustände in Götterfels. Immer wieder - schon seit Jahren - liest man IC Sätze wie "Götterfels ist ein korruptes Drecksloch", "Götterfels ist eine Hochburg krimineller Rassisten", "Götterfels verdirbt selbst die Besten", und so weiter. Auch gern genommen ist "Das Ossaviertel gehört den Iorgas", oder "An der Lampe treiben sich alle Fremden herum", was ich schon immer als absurd empfand, besonders im Hinblick auf die elonische Kultur des Ossaviertels. Nur zwei günstige Beispiele, kein Flame. Bei manchen Leuten mag es ausgespielt als frustrierter Nonsens aus dem Mund gescheiterter Existenzen oder als abfällige Schlechtmache durch Außenstehende durchgehen, aber in den allermeisten Fällen begründen die Charaktere das auf ihren fortwährenden IC-Erfahrungen. In manchen Fällen werden diese auch dazu verwendet, um IC zu begründen, warum man eben nicht mehr in Götterfels wohnt.
Und es geht mir auf den Zeiger. Ehrlich, Leute, es nervt. Ich kann verstehen, wenn ihr auf Grimdark und moralisches Grau steht. Geht mir genauso. Problematisch wird es aber da, wo Rollenspieler ihre kleine IC-Welt als Maßstab verwenden, dem sie die NSC-Welt im Gesamten unterordnen. Denn diese stellt keinen durchweg korrupten, kriminellen und von Anschlägen geplagten Sündenpfuhl dar, sondern (hauptsächlich) eine strahlende Metropole der Hoffnung inmitten eines kriegsgeplagten Landes. Mir scheint immer wieder, dass es dem handelsüblichen Rollenspieler enorm schwer fällt, sich seiner eigenen Spielwelt unterzuordnen und Wege zu finden, sein Rollenspiel mit dieser auf eine Wellenlänge zu bringen.
Und mit dem im Hinterkopf nun zum eigentlichen Thema: Die Zukunft des organisierten Verbrechens in Kryta. Der Krieg am Doric-See neigt sich langsam der Endphase zu, und unabhängig davon wann man ihn IC als beendet betrachten möchte, sollte eines nicht vergessen werden - es geht damit mehr zu Ende als nur ein Krieg. Wesentlich mehr.
(Achtung, spoilery ab hier. In eine Klappe packe ich es aber nicht.)
Wer Caudecus getötet und die Briefe in seinem Anwesen gesammelt hat, der weiß was gemeint ist. Bereits vor Head of the Snake war aus jüngerer und älterer Lore bekannt, dass der Weiße Mantel den Götterfelser Schmarzmarkt kontrolliert, dass korrupte Minister die Zentauren mit Waffen versorgen um die Königin schwach aussehen zu lassen und dass sehr, sehr viele Banditen und Götterfelser Kriminelle von höheren Instanzen gelenkt werden.
Mit Caudecus' Briefkorrespondenz wurde nun erst das Ausmaß des Ganzen offensichtlich. Beinahe ALLE größeren politischen, kriminellen und kriegerischen Unruhen der menschlichen Personal Story wurden direkt oder indirekt durch die Ränkespiele des Weißen Mantels bzw. speziell Caudecus verursacht. Von den Banditen und Separatisten bei seinem eigenen Anwesen, über Minister Zamon und die Zirkus-Story, die Tötung seiner eigenen Vorgängerin (Confessor Esthel) durch den Spielercharakter bis hin zur bekanntesten aller Krisen, der Verteidigung von Shaemoor. Caudecus war nicht nur Legatminister und Confessor des Weißen Mantels, sondern auch ein General (!) der Separatisten und Geschäftspartner Ulgoths, des Kriegshäuptlings der Modniir, welcher alle Zentaurenfeldzüge lenkt.
Effektiv sind so gut wie alle Zustände wirtschaftlicher/politischer/militärischer Schwäche in Kryta (und Ascalon, teilweise) Caudecus' Werk, der die Krone über Jahre hinweg, selbst als er unter Schutzhaft im Palast stand, öffentlich geschwächt hat, im gescheiterten Versuch selbst an die Macht zu kommen. Man sieht das auch sehr schön am Kontrast, dass die Seraphen im Krieg nun als "gut geölte Maschine" präsentiert werden, nicht länger nur als geschwächte Helferlinge, und am Ende eigentlich erstaunlich wenig Schwierigkeiten haben, den Weißen Mantel strategisch schachmatt zu setzen.
Viel Gelaber, ich weiß. Was will ich damit sagen? Simpel: All diese Probleme kommen nun zu einem Ende. Die disloyalen Minister sind tot, Caudecus' Mantler werden am Ende auch zerschlagen sein und mit all dem geht auch der gesamte Rattenschwanz an Korruption und Kriminalität über Bord. Schmuggler, die ausgehoben werden, Banditenbanden, die zerschlagen werden, Straßenräuber & Söldner, die überführt werden. Sogar die Zentaurenbedrohung verliert durch Caudecus' Ende signifikant an Bedeutung, mehr noch als ohnehin schon. All das wird in Head of the Snake zwar kaum behandelt, ergibt sich aber als logische Konsequenz des Ganzen.
Natürlich kann zum aktuellen Zeitpunkt noch Niemand sagen, wie weit das gehen wird und ob ArenaNet ein erstarktes, gesäubertes Kryta (gut, im Rollenspiel hat sowieso kaum ein Arsch je die wirtschaftlichen Engpässe der Nation beachtet, Ressourcen ploppen oft genug aus dem Nichts auf) in naher Zukunft explizit behandeln wird. Natürlich bedeutet das auch längst nicht, dass alle kriminellen Organisationen zerschlagen werden. Worauf ich aber hinaus will ist Folgendes; Man sollte es im Rollenspiel spüren können. Ich lehne mich jetzt aus dem Fenster und behaupte, dass gut 90% aller organisierten Kriminalität in Kryta der letzten Jahre direkt oder (wesentlich häufiger) indirekt unter der Fuchtel des Weißen Mantels stand.
Natürlich kann Niemand erwarten, dass die bespielten organisierten Kriminellen sich von einem unerwartet umfangreichen Storypatch komplett umpolen lassen. Niemand kann hergehen und sagen "die Iorgas haben für den Mantel gearbeitet" oder "die ganzen Mordanschläge wurden durch Caudecus verursacht!" (IC kann man natürlich schon, hoho), usw. Was allerdings erwartet werden kann, ist dass die bespielten zwielichtigen Organisationen sich zumindest mal hinsetzen und ausarbeiten, wie viel Profit und wie viele Kontakte/Geschäftspartner sie durch die Sache verloren haben, welche Schwachpunkte und Risiken sich für sie aufgetan haben, welche neuen Optionen.
Und damit bin ich wieder bei meinem Einstieg ins Thema angelangt: Es wäre großartig, wenn mehr Leute darauf achten würden, die bespielten kriminellen Fraktionen (und an sich auch andere spielererdachte Gruppierungen) weniger als stadtweite Größen zu thematisieren und mehr als das, was sie eigentlich sein sollten - kleine Lichter im größeren Ganzen. Ich unterstelle noch nichtmal den Leuten selbst zwingend, dass sie es sind, die sich aufbauschen. Zumindest nicht immer. Es sind häufig die casual-Rollenspieler im Gesamten.
Und jetzt ist unter Umständen ein guter Zeitpunkt, um daran ein wenig Feinschliff zu betreiben.