Stunden nachdem sie ins Bett gegangen waren lag sie noch immer wach neben Helena in Adrians Bett - seinem ehemaligen Bett - und stierte im Dunkel an die Decke.
Helena hatte beschlossen dass sie bei ihr schlafen würde, und Elizabeth war die Letzte die sich dagegen gewehrt hätte. So lag die Freundin neben ihr auf der Seite, ihr zugewandt und in einer halben Fötushaltung, und schlief. Elizabeth bezweifelte, dass es ein guter, traumloser Schlaf war. Sie bezweifelte schon eine Weile dass Helena gut schlief, und redete sich ein, wach zu bleiben um über die Freundin und ihren Schlaf zu wachen.
Leise raschelten ihre von der Sonne gebleichten Haare auf dem weichen Kissen, als sie den Kopf drehte und die Züge der schlafenden Iorga neben sich betrachtete.
Helena Iorga war eine Koryphäe. Jeder in der Stadt kannte Helena Iorga - und jeder der es nicht tat, brauchte üblicherweise nicht lange um ihren Namen aufzuschnappen. Helena war jünger als sie selbst es war - ein Jahr nur, aber dennoch - und schaffte es doch so ungleich viel älter, herrschaftlicher aufzutreten als sie selbst es konnte. Und dann wiederum, war sie ein verdammt närrischer Kindskopf, ein kleines, stures Mädchen, egozentrisch, majestätisch und oftmals soviel klüger als man es einer Frau mit strahlend blondem Haar und derart feinen, weiblichen Zügen zutrauen würde. Ihr Geschäftssinn war legendär, und Elizabeth war sich sicher, ganz gleich wieviel Gold sie in ihrer Schatzkammer auch hortete: Helena Iorgas Freundschaft, das enge, vertraute Band welches sie beide geknüpft hatten und welches jedem Streit und jeder Widrigkeit trotze, war ihr wertvollster Besitz.
Ihr Blick ruhte auf Helenas schmaler, gerader Nase und ihren geschlossenen Lidern, als sie im Flur Stimmen hörte. Zwei Männer - Vito womöglich? Oder Adrian? Sie sprachen miteinander, doch sie verstand nicht worum es ging. Wenn es etwas Wichtiges war, würde sie es ohnehin früher oder später erzählt bekommen, und so scherte sie sich nicht weiter darum. Auch Helena musste sie gehört haben, denn sie regte sich leicht, und bettete ihre Wange an Elizabeths sommersprossigen, speckigen Oberarm. Sie liebte Helena wie eine Schwester, jeden einzelnen Teil von ihr. Das verletzliche Kind ebenso wie die gereizte Diva, wie auch die völlig betrunkene, weibliche Nachwuchs-Version von Victor Iorga.
Victor. Sie ärgerte sich über diesen Mann, den Onkel der ihrem Mädchen derart wehtat. Jedes Mal wenn sie hinunterging, und das seltsam durchgewetzte Plüschpferd in dem Sessel sitzen sah, stach es scharf in ihr Herz. Nicht etwa, weil sie Victor oder dieses dummdreiste Mädchen und das Balg vermisste, sondern weil Helenas Schmerz sie traf.
Adrian hatte ihr wehgetan, Gwennis auch. Sogar Richard. Viele Leute hatten ihr schmerzhafte Hiebe versetzt, doch dies war etwas gänzlich Anderes. Zu sehen wie Helena litt bereitete ihr seelische und körperliche Schmerzen, und die Hilflosigkeit, die Machtlosigkeit, die schiere Unfähigkeit etwas zu ändern machte sie rasend. Sie tat ihr bestes, doch Helena war ihr sehr ähnlich. Sie sprach nicht viel darüber, eigentlich garnicht, und wenn dann sprach sie voll zerstörerischer Rage. Sie entdeckte viel von sich in Helenas Verhalten, und es schrak sie. Womöglich war das der Grund warum Helena es nicht vertrug, wenn Elizabeth schlechte Laune hatte.
Sie glaubte nicht daran dass es Zufall gewesen war dass sie Helena und ihrer Familie damals im Flaschenhals begegnet war. Es musste einfach Schicksal sein. Es war nicht anders möglich. Eine Fügung der Sechs, ganz klar. Nur so hatte es so weit kommen können. Dazu, dass sie heute einmal mehr neben der Freundin im Bett lag, Trost spendete durch pure Anwesenheit, wie auch sie es von der anderen oft erfahren hatte.
Nur so hatte sie Adrian kennenlernen können.
Schuldig fühlte sie sich, als der Iorga sich schon wieder in ihre Gedanken drängte, penetrant wie schon eine Weile wieder, während sie neben ihrer gebeutelten Freundin lag. Sie sollte sich lieber mit all den Rückschlägen beschäftigen die Helena wiederfahren waren, und nicht irgendwelchen Hirngespinsten hinterherjagen.
Dann aber wiederum...
Adrians Reaktion hatte sie beeindruckt. Wie jedes Mal, hatte sie auch diesmal die Entscheidung zugunsten der Familie getroffen. War den loyalen Weg gegangen. Er hatte sie geküsst. Drei Mal gleich. Sie war sich dessen nicht gleich gewahr geworden - erst, als Helena auch in jener Nacht neben ihr eingeschlafen war, hatte sich der Moment, der sich heiß in ihre Erinnerung gebrannt hatte, wieder hervorgetraut. Und sie hatte alle Mühe gehabt, nicht wie ein verliebtes Äffchen loszuquieken.
Auch jetzt trieb es ihr ein Lächeln auf die vollen Lippen, und sie strich mit den Fingerkuppen behutsam über die Stellen, an denen er seine Wangen an die Ihren geschmiegt hatte. Es war unsinnig, lächerlich und absolut unpassend. Aber es erhellte ihr ohnehin sonniges Gemüt noch mehr, und das war gut.
Die Gedanken an die kleinen Zärtlichkeiten, kleine Gesten die er ihr hatte zukommen lassen über die Dauer des letzten Jahres, halfen ihr dabei sich selbst zu helfen. Und damit am langen Ende auch allen anderen. Die Isolation hatte sie kalt und hart gemacht. Inkomatibel mit anderen Menschen. Doch für echten Erfolg war sie auf die anderen Menschen angewiesen. Vor allem auf jene, die wagemutig und dumm genug waren sich in ihrer emotionalen Nähe aufzuhalten - denn von ihnen lernte sie. Sie lernte jeden Tag wie Emotion sich anfühlte. Wie man mit Emotion umging. Sie war nicht gut darin, aber sie glaubte - nein, sie hoffte inständig, dass sie eines Tages dazu fähig sein würde zu lieben.
Die Liebe einer Schwester kannte sie mittlerweile.
Ob sie auch die reinste, königlichste Form zu empfinden in der Lage war, würde die Zukunft zeigen.
Bis dahin würde sie sämtliche Liebe, all die Freude und Zuneigung in überwältigendem Übermaß dazu aufwenden, das malträtierte Herz ihrer Helena zu reparieren soweit es ihr möglich war.
Der Gedanke ließ sie lächeln und sich behutsam etwas auf die Seite drehen.
So, dass sie einen Arm um die Blondine legen, und mit der Nase im platinblonden Iorga-Haar endlich einschlafen konnte.
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