Es war seltsam.
In der Einsamkeit, die sie für sich selbst so gern und hochlobend propagierte, war sie stets davon überzeugt gewesen auf nichts und niemanden angewiesen zu sein, selbstständig und frei von jeder Hilfe durch das Leben gehen zu können.
Sie verteufelte jene, die sich Abhängig gaben und lobte die anderen, die frei von Hilfe, scheinbar, ihren Weg gehen konnten.
Um die neuerlichen Probleme anzugehen, an der Wurzel anzusetzen, dort, wo es harte und intensive Arbeit benötigte, musste sie ein neues Umfeld schaffen. Sie musste sich freimachen von den Dingen die sie belasteten, und sich zuerst mit sich selbst beschäftigen. All die anderen Dinge konnte sie nicht lösen bevor sie nicht mit sich selbst eine Lösung gefunden hatte – das hatte der Priester ihr klargemacht. Und Dronon war sicherlich der letzte den sie enttäuschen wollte.
Albert war in Götterfels, in seinem Zimmer im Maidenwispern verblieben, und nahm private Post für sie entgegen, die nicht an eines ihrer zwei Büros geschickt wurde. Nach der Arbeit im Ministerium drehte sie eine Runde, sammelte ihre Post ein und ritt dann zu Pferd nach Beetletun zurück. Niemand sollte wissen, wo genau sie sich aufhielt, und Albert hatte Anweisung nur wenigen, exakt benannten Personen mitzuteilen wo sie sich aufhielt, sofern sie fragten.
Das Häuschen in Beetletun war klein und windschief geraten, es lag direkt am Steilhang und bot eine hervorragende Aussicht auf den See am Fuß der Hänge.
Sie hatten beschlossen die Einrichtung minimal zu halten, nur für den Fall dass sie sich wieder einmal nicht beherrschen konnte. So fand sich im Erdgeschoss neben dem Ofen nur ein Tisch mit zwei Stühlen, zwei Holztellern, zwei Messern, Gabeln und Löffeln und zwei Holzbechern. Es gab einen Topf und eine Pfanne und eine große Schöpfkelle, Feuerstein und Zunder und einen kleinen Stapel Feuerholz.
Im ersten Stock gab es nichts, abgesehen von einem ausgetretenen Teppich und dem Prügelsack, den sie hier aufgehangen hatten. Bandagen lagen zusammengeknäuelt auf dem Boden – nachdem sie sich das zweite Mal an dem Sack die Finger blutig geprügelt hatte, hatte sie ein Hemd zerrissen und sich die Stoffstreifen um die Knöchel gewickelt. Das schützte nicht gut, aber ausreichend genug.
Im obersten Stockwerk gab es ein unbequemes Holzgestell mit Stroheinlage, darauf eine dünne Wollgefütterte Matratze und drei zusammengelegte Wolldecken. In einer Kiste lagerte sie ihre Kleidung – sie hatte nur wenig mitgenommen, denn nun war nicht die Zeit darauf zu achten besonders ausgefallene Mode zu tragen.
Trotzdem war sie in den zwei Tagen auf ganz grundlegende Probleme gestoßen.
Am Ersten Tag hatte sie mit ihrer halben Einrichtung in einem schmutzigen Haus gestanden. Albert war nicht mitgekommen, sie war alleine, sie fror, es roch ganz schrecklich muffig und sie glaubte irgendwo irgendetwas krabbeln zu hören. Während es dunkel wurde, hatte sie die Fenster geputzt damit wenigstens ein bisschen Tageslicht ins Innere drang, hatte gelüftet, die Möbel abgewischt und mithilfe einer Unterhose, die sie mit einem Schnürsenkel an einen Stock gebunden hatte, die Böden gefegt.
Als nach getaner Arbeit der Hunger kam, stand sie vor dem ersten richtigen Problem. Das Feuerholz war klamm, und sie hatte noch nie einen Feuerstein in der Hand gehabt.
Nach einer halben Stunde Herumprobieren, hatte sie endlich einen Funken produziert, der groß und lebendig genug war um den Zunder zu entflammen. Nur um dann hustend und krächzend durch die Haustür in die Nachtluft zu stürzen, als das klamme Holz knackend und rauchend das Innere des Hauses einräucherte, weil sie vergessen hatte mit der Kette die Klappe für die Abluft zu öffnen.
Danach saß sie eine Stunde vor dem Ofen und wartete darauf dass das Wasser zu kochen begann welches sie vom See geholt hatte – ehe sie feststellen musste, dass sie nichts hatte, was sie überhaupt kochen konnte. Kein Fleisch, kein Gemüse, nichtmal Tee. Keine Schokolade, keine Kekse.
Als ihr dann auch noch das Holz ausging, und sie mit knurrendem Magen und entflohenem Mut unter ihre Decken kroch, schien der Mond hell durch das Fenster auf ihr unbequemes, hartes Bett.
“Du kannst ja nicht einmal für dich selbst sorgen. Du bist ein Kindskopf den niemand ernst nehmen kann.“
Die kleine, gemeine Stimme bohrte sich wie fieser, stechender Kopfschmerz in ihr Hirn, während sie, frierend, hungrig, durstig und genervt vom leise quietschenden Geräusch des Prügelsackes, der ein Stockwerk weiter unten an seinem Scharnier schaukelnd quietschte, versuchte Schlaf zu finden.
Gleich am nächsten Morgen wartete das nächste Problem. Es gab keinen Zuber, und der Topf war zu klein um eine angemessene Menge heißes Wasser aufzukochen. Mit scheußlichen Rückenschmerzen und völlig übermüdet, denn ihre Nacht war denkbar kurz gewesen, huschte sie noch in der Dunkelheit hinab zum See. Dort wusch sie sich im eiskalten Wasser, und als sie wieder hinauf zur Hütte ging, spürte sie ihre Zehen nicht, und war sich sicher dass man an ihrer Gänsehaut eine Muskatnuss hätte reiben können.
Der darauf folgende Tag im Ministerium war eine Qual gewesen. Sie war zweimal über ihrer Papieren eingeschlafen, und musste einen Termin absagen weil sie die Unterlagen irgendwo vergessen hatte. Ausserdem hatte sie Hunger, so sehr, dass sie irgendwann ihre Sekretärin schickte um ihr eine Mahlzeit zu besorgen. Doch diese bösartige, dürre Frau mit der Hakennase besorgte ihr nur zwei Möhren, zwei Stangen Sellerie und eine aufgeschnittene Paprika, und teilte ihr schnippisch mit, dass sie nicht dafür zuständig war, die Ratsherrin mit Festgelagen zu versorgen.
Elizabeth war derart müde, dass sie darauf nicht einmal etwas zu erwidern wusste.
Nach der Arbeit sammelte sie ihre Post ein, und ging beim Krämer vorbei, wo sie Kartoffeln, Möhren, einige Kräuter, Rüben, Mettwürste und diverse Gewürze kaufte. Ausserdem ein Kissen, ein Schafsfell, ein scharfes Messer und schwarzen Tee im Kilosack. Ausserdem kaufte sie sich noch zwei Paar Socken, einen dicken, flauschigen Schlafanzug für Männer – denn in ihrer Größe gab es keinen für Frauen – mit kleinen Schwertern und Äxten aufgestickt, eine Sturmlaterne und eine Axt. All diese Dinge ließ sie sich auf ihr Pferd schnüren, und nahm sie mit nach Beetletun, wo sie am Abend, nachdem sie etwas Holz gehackt, und sich dabei beinahe den Fuß am Knöchel abgetrennt hatte, eine etwas fade aber sättigende Gemüsesuppe und dazu schwarzen Tee genoss. Den Prügelsack ölte sie im Licht der Laterne bevor sie sich auf das Schafsfell ins Bett legte, und sich mit dicken Socken und im Schlafanzug gemütlich einkuschelte.
Es war nicht gut und unfassbar weit von perfekt entfernt. Aber es war ein Anfang. Ein erster, kleiner Schritt. Und sie war ihn ganz allein gegangen.
Ein wenig stolz auf sich selbst, fiel sie schnell in einen tiefen und erholsamen Schlaf für den ein flauschiges, teures Prinzessinnenbett ganz offenbar überhaupt nicht notwendig war.
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