Mit kühlen Fingerspitzen hielt sie den Vorhang zur Seite gezogen, um durch das Fensterglas hinaus in die dunkle Nacht blicken zu können. Wo vorher nur etwas Schnee lag und dunkle Wolken vom aufziehenden Sturm kündeten, war mittlerweile ein dichtes, verwirbeltes Schneesturmchaos ausgebrochen, welches die schwarze Nacht zu unruhigem Grau aufstob.
Es war kühl im Haus, der Wind pfiff leise durch die Ritzen die sie noch nicht mit Sackleinenstoff gestopft hatte, und zwang sie dazu, zusätzlich zu Socken und Schal zum Schlafanzug – es war der, mit den kleinen Schwertern und Äxten darauf – eine Wolldecke dicht um den Leib gewickelt zu tragen. Es war bitterkalt, und sie sehnte sich zurück in die Stadt, auf ihren bequemen Sessel am Feuer, dazu einen guten Wein, ein paar Kekse und den neuesten Tratsch und Klatsch der Stadt serviert.
Doch es war nicht so weit, sie brauchte noch Zeit. Sie kam gut voran, doch sie musste sicher sein. Es durfte nicht nur auf fruchtbarer Erde liegen – es musste Sprießen, erste Wurzeln schlagen, bis sie es strapazieren durfte.
Der Abstand half dabei ihre Gedanken zu ordnen, er half, dass sie Gefühle sortieren, sie abarbeiten konnte. Es erdete sie, und hatte ihr den Boden unter den Füßen zurückgegeben, den sie vor so langer Zeit verloren hatte.
Nicht zuletzt, hatte sie Ablenkung. Sah sich mit neuen Problemen konfrontiert, die viel Grundsätzlicherer Art und Weise waren, und deren Lösung ganz oft so simpel war, dass sie lange brauchte um darauf zu kommen – denn so simpel zu denken war sie nicht gewöhnt.
Sie blinzelte, und ertappte sich dabei, wie sie mit den Fingerspitzen ihre Lippen entlangglitt. Verwundert senkte sie den Blick auf ihre Hand, und zog danach die Hand wieder unter die Decke.
Den Kopf zog sie zwischen die Schulter, als eine Welle von Scham über sie brandete, und rot und peinlich über ihr zusammenschlug. Sie fühlte sich sündig, fühlte sich schmutzig, dabei war sie ganz unschuldig. Es fühlte sich an, als habe sie ihre Prinzipien verraten – und doch, es war gut gewesen. Vielleicht. Ein wenig nur. Es schauderte sie, als sie darüber nachdachte, und versuchte ein objektives Urteil zu fällen. Über Dinge, die nie hätten passieren dürfen, über Dinge, die sie sich in ihren Mädchenträumen ganz anders vorgestellt hatte.
Es hätte ein Ball sein sollen, im Sommer, mit schönen Kleidern, lauschiger Musik, mit Garten, Springbrunnen, leckeren Häppchen und gutem Wein.
Sie seufzte leise, und dachte daran, dass Helena und sie einst von den Abenteuerbüchern geschwärmt hatten, in denen die schönen Prinzessinnen immer mit dem raubeinigen Abenteurer durchgebrannt waren. Helena hatte ihre Abenteurer gehabt. Sie selbst hatte es auf dessen Antagonisten abgesehen gehabt – den Oberschurken.
Als sie unter ihre Decken auf das Lager aus Stroh und Fell kroch, dauerte es eine kleine Weile bis ihr warm genug war dass sie schlafen konnte.
Als sie aber in einen tiefen Schlaf fiel, schlief sie lange, fest und gut – und das erste Mal seit einem ganzen Jahr, spielte Adrian Iorga absolut keine Rolle in ihrem Träumen.
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