Kernlos
„Du hast ein Veilchen!“
„Und du hast das bereits zum dritten Mal erwähnt.“
„Ja, weil du noch niemals eines hattest. Ich meine, um dich so zu treffen, muss der Mann ein wahrer Riese gewesen sein.“
Gerade konnte Alexander seinen Bruder Andrew nicht sonderlich leiden. Er glich Adams Fehlen durch dessen Schadenfreude aus, blieb dabei aber gleichzeitig der gute Beobachter, der er immer war. Deshalb entgingen ihm auch nicht Alexanders rote Ohren.
„Sag nicht, es war ein kleiner Mann.“
Alexander schwieg.
„Es war gar kein Mann?!“
Das schallende Lachen seinen großen Bruders füllte das Café, während Alexander angelegentlich den Kern aus einer Kirsche seines Kuchens operierte. Er hatte immer das Stück mit dem Kirschkern.
Andrew fasste sich wieder, konnte aber nicht widerstehen, sich eine imaginäre Lachträne aus dem Augenwinkel zu wischen. „Alex, was war das für ein Weib? Sie muss enorm zulangen können für eine Frau. Beachtlich, wirklich beachtlich. Ich meine, da eröffnen sich, hast du sie erst einmal herum gekriegt, im Bett wirklich interessante...“
„Sie hatte Unterstützung.“, fuhr Alexander seinem Bruder scharf in die unsittlichen Gedankengänge, die er selbst nicht zu beschreiten gedachte.
„Von einem Bruder?“
„Von einer Schiene.“
Zufrieden mit dem sich daraufhin auf der anderen Seite des Tisches ausbreitenden verständnislosen Schweigen stach Alexander mit der Gabel in die kernlose Kirsche und ließ sie sich schmecken.
Doch er hatte sich zu früh gefreut.
„Kommt sie in Frage?“
„Nein.“
„Weil sie dich geschlagen hat?“ Große Brüder waren eine Plage.
„Weil ich es so sage und nun gib Ruhe und iss deinen Kuchen. Er schmilzt sonst.“ Diese Äußerung brachte Alexander einen irritierten Blick seines Bruders ein, doch Andrew gehorchte. Es folgten wundervoll friedliche drei Minuten, bis...
„Aber sie interessiert dich doch?“
„Bei allen Göttern, Andrew, was muss ich tun, um dich endlich zum Schweigen zu bringen?!“
Der ältere der beiden Beauforts lächelte satt und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er hatte seinen kleinen Bruder genau dort, wo er ihn haben wollte.
„Du könntest mir von der anderen erzählen.“
Alexander merkte zu spät, dass die Falle zugeschnappt war. Er hatte sich zu sehr über Andrews Fragen aufgeregt, als dass er sich nun sofort unter Kontrolle hätte bringen können und das Entgleisen seines Gesichtsausdrucks war dem Bruder Antwort genug. Andrews Lächeln wurde weich und Alexander begriff, dass sein Bruder Bescheid wusste. Vollumfänglich.
„Seit wann weißt du...?“
„Schon seit Jahren, Alex.“
„Aber...“
„Adam weiß es nicht. Vater weiß es auch nicht und so wird es bleiben. Alex, jetzt...was stehst du denn auf? Nun lauf doch nicht gleich weg!“
Aber der junge Arzt hörte ihn schon nicht mehr. Er hatte das Café mit langen Schritten durchmessen, auf der Treppe immer nur jede dritte Stufe genommen und war längst in den Straßen verschwunden, noch bevor Andrew den Kellner hatte heran winken können.
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