Ein Wiedersehen
Drejs Rechte wanderte in eine Tasche des abgewetzten Ledermantels und klaubte eine leicht geknickte Kippe hervor. Der Glimmstengel wanderte zwischen seine Lippen und kurze Zeit später glomm dessen Ende in einem dunklen Rot auf. Sein Blick wanderte ruhig über die Masse an Menschen, die sich eingefunden hatte, um die Darbietungen der verschiedenen Künstler anzuschauen. Er mochte solche Aufläufe, die beste Gelegenheit Geschäfte zu machen. Apropos Geschäfte - suchend blieb sein Blick an einem eher schmalen, aber hochgewachsenen Kerl hängen der sich scheinbar zufällig durch die Menge auf ihn zubewegte. Pünktlich war er ja wenigstens schonmal...
Saila schob den Träger ihres dunkelroten Kostüms nach oben und musterte ihre Tochter für einen Moment kritisch hinter dem dünnen Vorhang, hinter dem sie sich befanden. Den Geräuschen nach zu urteilen, war viel los, was alleridings nicht zwingend viel Geld bedeuten musste. Die Männer zahlten gern für viel nackte Haut, wie sie sie zeigte, aber waren die Frauen dabei, waren die Kerle gleich viel zurückhaltender. Saila grinste auf, als sie hörte, dass sie angekündigt wurden und scheuchte die Göre zuerst hinaus ins Licht, wo sie sich an einer Scheibe positionieren sollte, ehe Saila selbst hinter dem Vorhang hervor trat. Salim rief gerade in die Menge: "Und nun, meine Damen und Herren, ein verbotener Traum aller dunklen Nächte, eine tödliche Schönheit, die ihresgleichen sucht und heute doch nicht töten wird. Meine Damen und Herren. SAILA und ihre Messer!"
Im Hintergrund hörte Drej wie die nächste Nummer angekündigt wurde, schenkte den Worten aber nicht viel Beachtung. Der Dünne hatte ihn mittlerweile erreicht und er streckte wortlos die Hand aus. Das Geschäft war schon vor einigen Tagen gelaufen, es ging nur noch um die restliche Bezahlung. Der Dünne grinste auf und drückte ihm einen prallen Beutel in die schwielige Pranke. Er machte sich nicht die Mühe, die Münzen zu zählen - jeder wusste, dass es das letzte war, was man tat, wenn man versuchte ihn zu bescheißen. Grinsen zog er an seiner Fluppe "Weißt an wende dich wendn musst, wennde mal wieder was brauchst…" meinte er und machte sich schon wieder auf den Weg - für Aussenstehende sah es so aus, als hätten die zwei Männer nur einen kurzen Blick miteinander getauscht, als sich ihre Wege kreuzten. Drej schob seine breiten Schultern durch die Menge - sein Augenmerk galt jedoch nicht der Show sondern den Zuschauern - der Kennerblick verreit, wo was zu holen war.
Ein Raunen ging durch die Menge, als Saila hervor trat und sich sogleich ein Tuch in passender Farbe um die Augen band. Die Augen aller waren auf die Messer geheftet, die sie nun zog und die wie von MAgneten angezogen mit einem dumpfen Geräusch haarscharf neben Gesicht und Gliedern ihrer Tochter einschlugen, die nicht einmal zuckte. Begeisterter Applaus brandete auf und Saila zog das Tuch von den Augen, um sich in der Menge umzublicken. "Ein mutiger Freiwilliger?" rief sie.
Tatsächlich herrschte nur einen Augenblick Stille in der Caitlyn beiseite trat und Sailas Messer aus der Scheibe zog um sie ihr zu reichen. Sobald sie alle wieder in den Händen hielt hoben sich schon die ersten Hände - häufig von betrunkenen Kerlen, die gröhlend mit ihren Kumpanen zu Besuch waren oder von Bübchen, die wohl eine Mutprobe der etwas anderen Art vor sich hatten, um von ihren Freunden endgültig 'anerkannt' zu werden.
Und da sah sie ihn. Sie war sich nicht sicher, ganz und gar nicht, aber dieses irre Grinsen...er musste es sein. Und er hatte sie nicht erkannt. Er war nicht ihretwegen hier. Die eisblauen Augen verengten sich zu gefährlichen Schlitzen und sie murmelte ihrer Tochter zu: "Hol den Riesen da. Den, der nicht herguckt."
Drej ging, als würde er ein anderes Ziel ansteuern, hinter einer Gruppe von offensichtlich reicheren Kaufherren her. Trotz seiner Größe und nicht vertrauenserweckenden Erscheinung gelang es ihm mühelos, den Beutel eines dicken Herren unter seinem Wams hervor zu fischen ohne das dieser etwas davon bemerkte. Seine Lippen verzogen sich zu einem selbstzufriedenen Grinsen - er hatte es immer noch drauf so wie früher. Gerade als er seinen Weg fortsetzen wollte schob sich ein dürres Gör in eben jenen und sah unerschrocken zu ihm auf - machte doch tatsächlich Anstalten, seine Hand ergreifen zu wollen. Unzufrieden brummte er und wollte das Mädchen davon scheuchen.
"Und da haben wir unseren Freiwilligen.", erklang da allerdings Sailas einscheidene Stimme und die Menge machte gröhlend ein wenig Platz, um Drej und die Kleine nach vorne zu lassen. Plötzlich fand er sich im Zentrum aller Aufmerksamkeit wieder. Sehr schlecht für die Geschäfte.
Drej hob seinen Blick und runzelte die Stirn. Er hielt das Handgelenk des Mädchens gepackt und hatte es gerade grob in die Menge schubsen wollen - allerdings nicht unter den Augen der über Hundert Schaulustigen. 'Was zum Henker…' seine dunklen Augen verengten sich unzufrieden zu Schlitzen - er hasste diese Art von Aufmerksamkeit und wusste nur zu gut, wie schädlich sie sein konnte, wenn er jetzt nicht mitspielte. Trotzdem ließ er das Handgelenk des Kindes nicht los, schob es allerdings nicht zur Seite sondern nun vor sich her in Richtung der 'Manege'. Sein Blick streifte kurz die offensichtlich dazu gehörige Frau und sein Grinsen wurde schmierig. Na, vielleicht kam diese seltsame Geschichte doch nicht so ungelegen...
Oh ja, er war es. Unverkennbar, denn sein Grinsen wurde ekelhaft, als er sie erblickte und noch immer nicht erkannte. Fein...Die sich zusammenbrauenden Gewitterwolken hielt die Frau aus ihrem Blick fern und wies dem Vater ihrer Tochter einen Platz an der Zielscheibe zu. Vielleicht merkte er etwas, als sie seine Glieder etwas ruppiger als nötig ausgestreckt platzierte. "Bereit, Herzchen?", raunte sie ihm zu.
Andrejs Grinsen verrutschte keinen Deut als die Messerwerferin ihn vor der Scheibe platzierte. Er musterte ihr Gesicht und hatte für einen Moment das wage Gefühl sie zu kennen, aber der Eindruck verflog als sie ihm die zwei kurzen Worte zuraunte "Immer" grinste er immer noch schmierig während die Menge im Hintergrund applaudierte.
Normalerweise zog sie die Augenbinde nicht über bei den Übungen mit den Zuschauern, doch sie wusste, dass er nicht zucken würde. Das würde ein Spaß. Für den Moment wollte sie allerdings bei den Würfen noch sein Gesicht sehen. Sie nahm in einiger Entfernung Aufstellung und zückte das erste Messer, das völlig ohne Vorwarnung auf ihn zusauste und sich so haarscharf neben seinem Auge in das Holz bohrte, dass es ihn ein paar Haarsträhnen kostete. "Erzähl dem Publikum von dir, Herzchen. Sie sollen doch wissen, wer hier verreckt, wenn ich daneben werfe.", rief sie.
Andrej hob eine Augenbraue - nicht als das Messer haarscharf neben seinem Kopf ins Holz schlug sondern als ihn die Messerwerferin aufforderte, etwas von sich zu erzählen. Auch das noch…"s gibt nicht wirklich viel zu erzähln" brummte er grinsend und spielte das Spiel für die Zuschauer mit, während sein Blick den Körper der Frau etwas eingehender musterte - wenn sie die nächsten Messer genauso warf würde sie das heut Abend definitiv wieder gut machen - auf die in oder auf die andere Art und Weise.
Zack! Da bohrte sich das nächste Messer dicht neben seine Schulter und schlitzte den Mantel etwas auf, was die Menge aufstöhnen ließ, erst, weil sie Blut fürchtete und dann, weil doch keins floss. "Ach komm schon, Alan, oder wie auch immer du heißen magst. Keine Frau, von der du dich verabschieden willst? Ein paar letzte Worte?" Krach! Auch die nächste Klinge ritzte seinen Mantel haarscharf und bohrte sich durch das Leder in das Holz. Langsam aber sicher wurde er im wahrsten Sinne des Wortes festgenagelt.
Die Menge raunte etwas lauter auf als Drej auch bei den nachfolgenden Messern mit keiner Wimper zuckte. "Keine, dies wissn müsste" antwortete er und die dunklen Augen blitzten kurz auf. Die Kleine war gut, richtig gut sogar - aber er war schon viel zu lange im Geschäft und hatte ein viel zu gutes Gespür dafür um eins zu merken: das hier war etwas persönliches. Hätte er dieses Gespür nicht gehabt, würde er schon längst unter der Erde liegen. Sein Blick wanderte erneut über ihren Körper und blieb dann an dem exotischen Gesicht hängen und versuchte die Augen zu fixieren. Die meisten Frauen hatte er immer auf die gleiche Art kennen gelernt - nachdenklich versuchte er sich zu erinnern.
Mittlerweile steckten in dem Holz vier Messer, die seine Arme fixierten, zwei für seinen Kopf und gleich sechs für seine gespreizten Beine. Es gab eigentlich nur noch genau eine Stelle, wo ein Dolch treffen konnte und sie blickte ihn so lange mit einem wachsenden Grinsen an, bis auch ihm das klar wurde. Die Menge tobte. Erst als sie sich sicher war, dass er es wirklich begriffen, sie vielleicht sogar erkannt hatte, band sie sich die Augenbinde um und hob das letzte Messer langsam an.
Andrej blinzelte und zuckte mit den Mundwinkeln, als ihn plötzlich die Erinnerung überkam. Es war mittlerweile über 10 lange Jahre her, aber es war damals auch bei einem Zirkus gewesen. Er war nur zwei, drei Tag ein der Gegend gewesen, hatte Geschäfte gemacht und seinen Spaß gehabt - aber wie er jetzt feststellen musste, war dieser Spaß in der Zwischenzeit zu einem Leckerbissen heran gewachsen. Er fing an zu lachen. Ein tiefes, brummiges Lachen entrang sich seiner Kehle als die Messerwerferin - damals war sie noch keine gewesen, jedenfalls nicht richtig - sich die Augenbinde um die Augen band. Die Menge raunte erneut auf, als der Kerl, mit Messern an das Holz genagelt, plötzlich anfing aus voller Kehle zu Lachen. Ganz oder gar nicht ging es ihm durch den Kopf - egal wo das letzte Messer traf - warf sie daneben, hatte sie noch etwas für ihn übrig. Wenn sie traf - war die Antwort genau klar. Drej lachte und lachte und wartete gespannt auf das Ende.
Das Messer traf und die Menge stöhnte auf, als es sich durch das Leder seiner Hose schnitt und nun tatsächlich Blut floss...an der Innenseite seines Oberschenkels. Ein dünnes Rinnsal nur, von einem noch dünneren Schnitt herrührend und er konnte sich sicher sein, dass DAS beabsichtigt war. Sailas Messer verfehlten nie ihr Ziel. Niemals. Sie nahm die Augenbinde ab und blickte ihm aus kalt brennenden Augen entgegen. Er erinnerte sich. Sehr gut. Das war es also. Andrejs Lachen verstummte nach kurzer Zeit im tosenden Applaus der Menge während er - immer noch grinsend - gelassen den Blick der Messerwerferin erwiderte. Er hatte so eine Ahnung, dass das hier nur der Anfang gewesen war - und auch diese Ahnung trog ihn so gut wie nie.
Einen winzigen Tiefschlag hatte sie ihm verpasst, jetzt sollte der nächste, weitaus größere folgen unter den gierigen Augen der Menge. "Cait, bring mir die Messer, die deinen Vater an das Holz nageln und gib ihm ein Tuch für seine aufgeschlitzten Eier." Cait blinzelte und warf ihrer Mutter einen irritierten Blick zu - war aber Profi genug nicht vor der Menge nachzufragen sondern tapste dann gehorsam zu dem großen Kerl an der Holzscheibe und zog nacheinander die Messer raus. Verstohlen musterte sie das bärtige und immer noch grinsende Gesicht, der Typ schien gerade nur Augen für ihre Mutter zu haben. 'Das soll er sein?' ging es dem Mädchen durch den Kopf und sie rüpfte die Nase. Das letzte Messer wurde aus der Holzscheibe und dem Leder gezogen - das zwischen den Beiden und sie wollte sich gerade wieder abwenden, gedanklich schon bei den Fragen, die sie ihrer Mutter stellen würde - als sie schon wieder von diesem Grobian gepackt wurde. Ehe sie sichs versehen konnte entglitten die gesammelten Messer ihren Fingern und wanderten in eine Pranke dieses Kerls, der damit auf Saila zuschritt.
Ruhig und mit stolz angehobenem Kinn blickte die Frau dem Mann entgegen, auf den sie so viele Jahre gewartet hatte. Das bisschen Blut war nichts im Vergleich zu dem, was er verdient hätte, doch alles zu seiner Zeit. Die wahre Freude, das hatte er ihr damals beigebracht, die bestand darin, alles langsam auszukosten. Freude, die zu schnell verging, war nichts wert. "Andrej." sprach sie grüßend und streckte die Hände nach ihren Messern aus.
Das Mädchen von damals war tatsächlich zu einer Frau herangewachsen - und zu was für einer. Andrej legte grinsend die Messer in die ausgestreckten Hände und den Blick von ihr abzuwenden. Als die Messerwerferin nach den Messer griff schlang sich auf einmal sein linker Arm um ihre Hüfte und hob sie mühelos ein Stück vom Boden hoch. Sein Gesicht beugte sich zu ihr herunter und drückte ihr - ob sie wollte oder nicht und ob er dafür noch ein Messer kassierte oder nicht - einen kratzigen Kuss auf den Mund. Sollte die Menge ihre Show doch haben.
Scheißkerl! Kein Stück hatte er sich verändert. Beide Hände stemmten sich gegen seine Schultern und drückten ihren schmalen Leib weg von ihm, während ein unwilliges Geräusch über ihre Lippen kam, ehe sie die Zähne bleckte und zubiss. So leicht würde sie es ihm nicht machen. Vor 10 Jahren war sie vielleicht dumm genug dazu gewesen, aber jetzt bekam er sie nicht so schnell weich!...auch wenn sie auf ihn gewartet hatte. Scheißkerl!
Andrej spürte, wie sich ihre Zähne in seine Unterlippe bohrten und sie zu bluten anfing. Die Zeit hatte anscheinend einiges aus dem damals eher naiven Mädchen gemacht - aber gut, er hatte damit kein Problem, jetzt wo er schon einmal die Aufmerksamkeit von allen hatte, kostete er die Situation auch so aus, wie er es wollte. Der Kuss zog sich in die Länge während langsam Blut in seinen Mund tröpfelte, da sie immer noch seine Unterlippe gepackt hielt. Da berührte ihn kalter Stahl an der Kehle und ritzte auch gleich die Haut ein wenig ein. Noch mehr Blut, das vergossen wurde und die Messerwerferin hatte offenbar nicht die geringsten Probleme damit. Nur töten wollte sie ihn nicht, sonst hätte sie es längst getan. Die Menge gröhlte bei der eigentümlichen Wiedervereinigung des Pärchens auf.
Eben das schien auch diesem Scheißkerl klar zu sein, denn er ließ sich nicht hetzen, brachte den Kuss zu Ende und schenkte Saila dann ein blutiges Grinsen. Seine Augen verieten ihr, dass er - nach diesem unverhofften Wiedersehen - seinerseits nicht fertig mit ihr war und sie hatte die starke Vermutung, dass sie ihn heute Nacht schon wieder sehen würde. Betont langsam und dabei nicht einmal sonderlich bewusst leckte die Frau sich sein Blut von den Lippen und leichte Belustigung stand in den klirrend kalten Eisseen ihrer Augen, die die seinen suchten. "Willkommen zurück.", raunte sie. Gerade als Drej zu einer Antwort ansetzen wollte, erklang wieder die laute Stimme des Ansagers. Andrej hörte gar nicht genau hin sondern fixierte immer noch die Frau nur wenige Zentimeter vor sich. "Wir sehn uns Herzblatt" grinste er dann auf und die dunklen Augen blitzten auf - genau die Worte, die er damals zu ihr gesagt hatte.
"Oh, das werden wir." Ebenso ihre Worte von damals, als sie noch nicht geahnt hatte, dass es so viele lange Jahre werden würden. Aber sie hatte gelernt. In einer fließenden Bewegung hielt sie ihm alle die Beutelchen vor die Augen, die er so bei sich trug und grinste dabei schon abartig böse, ehe sie sie Cait zuwarf mit den Worten: "Bring die in mein Zelt."
Er würde wieder kommen.
'Was für eine Hexe' ging es Andrej durch den Kopf aber auch eine nette Herausforderung - grinsend und mit einem Versprechen in den Augen löste er sich nun endgültig von ihr und ließ eins seiner Messer wieder in seinem rechten Ärmel verschwinden während die Träger ihres knappen Oberteils langsam nach unten rutschten. Grinsend trat er langsam zurück und wandte sich schließlich um - wollte sie nicht gleich mehr oder weniger unbekleidet vor der Menge stehen, würde sie ihre beiden Hände gebrauchen müssen. Damit wollte er nur sicher gehen, dass er nicht doch noch ein Messer in den Rücken bekam, als er sich unter dem Applaus der Menge Richtung Ausgang bewegte. Oh ja - er würde wieder kommen.
Verdammter Bastard. Die Frau in seinem Rücken lachte auf, als sie sich ihr Oberteil festhielt und lachte auch noch, als er in der Menge verschwand. Hätte sie ihm ein Messer in den Rücken werfen wollen, sie hätte es getan ungeachtet der Tatsache, dass andere ihre Brüste zu sehen bekamen. Ihr Blick ging zu ihrer Tochter. "Pack alles ein, dein Vater kommt zu uns zurück."