Ebonfalke
Die beliebte Musiklehrerin "Karin Beck" ist am gestrigen Abend verstorben. Ersten Berichten zufolge soll sie friedlich in der Wohnung eingeschlafen sein.
Karin Beck, aufgewachsen in Ebonfalke, half schon als kleines Kind im Fleischerladen ihres Vaters aus und knüpfte auch in der Schule schnell neue Kontakte. Ihr offenherziger Umgang mit anderen Personen, ihr Fleiß und ihr sonniges Gemüt waren seither eine Bereicherung für ihre Mitmenschen.
Mit 28 übernahm die junge Karin das Geschäft ihres Vaters und kümmerte sich fortan um Kunden, Waren, Logistik und Vertrieb. Doch der Krieg zwang letztendlich die Familie, ihren Laden zu schließen und händeringend nach neuen Optionen Ausschau zu halten. Selbst in dieser schwierigen Zeit behielt Karin nicht nur die Nerven, sondern verlor auch nie ihren Optimismus.
Noch im selben Jahr entschied sie sich, die Bewohner der Stadt auf ihre ganz eigene Art und Weise gegen den andauernden Krieg zu unterstützen und schrieb sich in der örtlichen Schule ein, um den Schülern die Kunst der Töne und Noten näherzubringen. Eine fundierte Ausbildung fehlte Karin dafür jedoch erstmal gänzlich. Dennoch hatte sie Glück, da der vorherrschende Lehrermangel ihr entgegen kam.
Karin brachte sich seit dem Kindesalter autodidaktisch das Klavierspielen bei und hoffte nun, die Mädchen und Jungen damit in den Bann ziehen zu können - fernab von Mord und Totschlag abseits der dicken Steinmauern.
Sie hatte Erfolg.
Über 40 Jahre lang unterrichtete Karin Beck die heranwachsenden Generationen von Ebonfalke in den Künsten der Musik und der Kreativität. Sie beflügelte den ein oder anderen zu einer Karriere, die ohne ihr Einwirken wohl sicher nicht stattgefunden hätte und entgegnete Schülern sowie Kollegen stets mit einem offenen Ohr und einem warmen Herzen.
Mit Mitte 30 lernte sie ihren heutigen Ehemann "Friedrich Beck" kennen. Er selbst entstammte einer ärmeren Familie, die sich vor allem um die Stallungen in Ebonfalke kümmerte, daher fehlten finanzielle Mittel, um dem jungen Friedrich Musikstunden zu ermöglichen. Karin, so teilte ihr Mann uns mit, fühlte mit ihm und so geschah es, dass die beiden sich täglich zur selben Zeit, eine Stunde nach Unterrichtsende, heimlich in einem der Klassenzimmer trafen, um gemeinsam zu lernen, zu musizieren und zu lachen.
Es dauerte nicht lange, ehe die beiden zusammenkamen und auch ein Jahr später heirateten. Karin und Friedrich entscheiden sich, keine Kinder zu bekommen.
Im südlichen Viertel von Ebonfalke war am gestrigen Abend demnach ein durchdringendes Orgelspiel bis über die naheliegende Nachbarschaft zu hören. Es heißt, dass der Witwer der verstorbenen Karin Beck, seine Tränen, den Schmerz und das ihn plagende Leid auf seiner heimischen Orgel ausgelebt hatte.
Es dauerte keine zwei Stunden, da machten die Nachrichten über ihren Tod die Runde und alte Musikschüler und Kollegen der Lieblingslehrerin versammelten sich im strömenden Regen vor dem Haus der Verstorbenen, um sich von ihr auf ganz eigene Art und Weise zu verabschieden. Die melancholisch-brennenden Töne aus dem Obergeschoss begleiteten die Trauernden - ja, sogar die Wolken weinten.
Den Seraphen, die am selben Abend wegen Ruhestörung zweimal anrückten, wurde bei Ankunft die Situation geschildert und es wurde ein Auge zugedrückt, sollte das Spiel nicht die ganze Nacht gehen.
Die Beerdigung soll diesen Sonntag stattfinden.