Dies sind die Geschehnisse jenes Winters, in dem sich das Feuer eine Wölfin holen wollte...
I - Die Legende (von Llarrian)
Das Feuer knackst unwillig, als der alte Skalde eine Handvoll frischer Zweige hineinstreut. Funken stieben auf, beleuchten die um ihre Abendflammen versammelte Sippe. Kinder drängen sich erwartungsvoll zusammen, schweigen ebenso gespannt wie die Erwachsenen zwischen ihnen. Alle Augen sind auf den betagten Sänger gerichtet, wartend und freudig. Wie immer lässt er sich Zeit, ehe er beginnt. Streift mit den faltigen Fingern durch den weißen Bart, schließt die Augen im vom Alter reichlich gezierten Antlitz. Als schaue er in sich hinein, in seine Erinnerungen. Eine Weile bleibt es still. Nichts regt sich, nur die hohen Fichten im Nachtwind. Dann öffnen sich wolfsgoldene Augen und die klare, volle Stimme hebt an...
"Heute erzähle ich euch eine Legende von Vier Wegen, die eines Weibes wegen getan wurden. Im Jahre des Flammenbund war es, lange noch ehe wir Jormag zum zweiten Male entgegentraten. Ihr kennt die Geschichten von den Feuern im Norden, von den Vertriebenen und dem Hunger auf dem Hof. Tausend Male habe ich sie euch gesungen. In jenen Tagen ist es geschehen, dass eine Wölfin unseres Rudels einen Kampf ausfocht gegen die Flammenlegion. Sie kehrte mit ihrem Leben zurück, doch brachte sie Verderben mit sich. In jenem ruhmreichen Kampfe leckte das unheilige Feuer an ihrer Bogenhand und hinterließ eine Wunde, die sich nicht mehr schloss. Kräftige Finger wurden zu taubem, toten Fleisch und von Tag zu Tag fraß sich die faule Glut tiefer in ihren Leib. Lange dauerte es, bis die Schamanen der Hütte eine Lösung gefunden hatten, ein Ritual ersinnen konnten um der Wölfin Leben zu bewahren. Den Namen der Wölfin kennt ihr. Ich habe ihn euch tausendmale gesungen: Varda Wildherz hieß sie und dies ist die Geschichte ihres Rudels, das auszog, das Wilde Herz zu bewahren..."
II - Wanderung ins Gestern (von Locce)
Der Hammer hatte gesprochen. Andsvarr, die Antwort, hatte einmal mehr die Frage nach Leben oder Tod beantwortet. Die Wölfe der Eisbrut lagen erschlagen, das Dorf, in dem Lokke einen großen Teil seiner Jugend verbracht hatte, war gerettet. Und doch war etwas anders als gewöhnlich, wenn er durch seine alte Heimat streifte. Viele der Bestien hatten keine zerschmetterten Knochen sondern waren von langen Pfeilen durchbohrt, zielsicher, tödlich. Der Veteran vieler Schlachten war nicht allein. Aber es war kein Trupp der Wachsamen, der ihn begleitete, sondern die eine Person, die er nicht für eine ganze Armee eingetauscht hätte. Varda. Seine Liebe. Die Frau, die er das große Glück hatte begleiten zu dürfen.
„Wolf hat uns hergeführt“, hatte sie gesagt. „Oder einer von den ander'n.“ Das war nicht nur eine Floskel. Wieder einmal sprudelte aus dem Mund, der ihm immer wieder auf unterschiedlichste Arten Freude bereitete, eine Wahrheit, die auch Lokke gerade durch den Kopf gegangen war. Das Dorf lag praktisch auf dem Weg, vor allem, nachdem er Varda das nahe Gehöft gezeigt hatte, das früher einmal die Schmiede seines Vaters beherbergte. Aber dass sie dort gerade in dem Moment ankamen als die korrumpierten Bestien Jormags sich in Scharen aus den Hügeln auf den Platz zwischen den Hütten ergossen, dass es durch dieses zeitliche Zusammentreffen nur einige Leichtverletzte unter den völlig überraschten Dorfbewohnern gab, von denen viele alt genug waren, dass sie den nun hünenhaften und kampferfahrenen Wachsamen noch aus Zeiten kannten als er noch unbeschwert tollend unter einem Dolyak hindurchlaufen konnte, das war mehr als nur ein Zufall, zumal es auch schon der zweite während dieser Reise gewesen wäre.
Sein Blick ging nach Westen, auch wenn das Ziel seiner Augen schon lange nicht mehr in Sicht war, jene Höhle, von der er erst vor wenigen Tagen erfahren hatte, dass sie Vardas und seine Geschichte miteinander verknüpfte. Vier Hölzer sollten sie besorgen, ein jedes von einem anderen Ort, der in Vardas Leben eine besondere Bedeutung hatte, und diese Höhle war Vardas Schmerz. Nun wusste er auch, wie sie dort gelitten hatte, wusste aber ebenso, dass er darüber nie wieder ein Wort verlieren würde, wenn sie ihn nicht darauf anspräche. Trotz des ernsten Hintergrunds huschte ein kurzes Schmunzeln über das Gesicht des Norn, und er musste daran denken, dass er seiner Liebsten beinahe im Scherz vorgeschlagen hätte auszuprobieren, ob er vielleicht auch anders als durch Handauflegen heilen könnte. Das war gerade als sie dabei waren die Höhle wieder zu verlassen, gerade als er plötzlich innehielt, gerade als das Flüstern der Geister, das ihn so oft begleitete, durch eine Stimme ergänzt wurde, die er glaubte nie wieder hören zu können.
Vielleicht war es nur Wunschdenken, vielleicht spielten ihm seine Sinne oder seine Erinnerung einen Streich, denn immerhin war er erst neun Jahre alt als er sie das letzte Mal gehört hatte, aber vielleicht war tatsächlich sie es, die durch die Nebel zu ihm sprach, seine Großmutter Valdis, die vor vielen Jahren in diese Höhle gegangen war um darin spurlos zu verschwinden.
Er erfuhr damals erst viel später von ihrem Schicksal. Lange hatte er sich Gedanken gemacht, warum Valdis ihn nicht mehr besuchte, die eine Verwandte, zu der er eine echte Verbundenheit verspürte, die ihm oft Geschichten erzählte und ihm immer ein Vorbild war und ihn wohl mit ihrer Neugier und ihrem Hunger auf Abenteuer angesteckt hatte. Wieder und wieder musste er fragen, bevor seine Eltern endlich mit ihm die Reise unternahmen zum Gehöft seiner Großmutter, wo ihnen einer ihrer Freunde, ein entfernter Verwandter, der ebenfalls dort lebte, berichtete, dass man tagelang auf ihre Rückkehr gewartet, danach wochenlang nach ihr gesucht, aber dass man sich schließlich damit abgefunden habe, dass sie nicht wiederkehren würde.
Das war vor sechsundzwanzig Jahren. Nur einmal war er seitdem bei dieser Höhle und nicht ein einziges Mal seit die Geister zu ihm sprechen, und wahrscheinlich wäre es dabei auch geblieben, wenn Varda ihn nicht genau dorthin geführt hätte, auch, wenn streng genommen er sie dorthin geführt hat nachdem er den Ort aus ihrer Beschreibung wiedererkannt hatte. Dann hätte er wohl nie selbst die Besonderheit dieses Ortes gespürt, nie geahnt, was seine Großmutter damals dorthin trieb, nie gewusst, dass er dringend dorthin zurückkehren müsste. Bald würde sich eine Gelegenheit ergeben, eine Möglichkeit in die Nebel zu wechseln und mit eigenen Augen zu sehen, ob er sich irrte. Er würde sie sich nicht entgehen lassen. Die Geister hatten sie beide gemeinsam dorthin geführt.
„Geh'n wir?“ holte ihn die Stimme seiner Gefährtin wieder in die Gegenwart zurück. Er nickte. „Wir hab'n noch'n weit'n Weg vor uns.“
III - Die Erlösung (von Llarrian)
In seinem Traum war Yilve noch bei ihm. Er und sie rannten um die Wette über die nebelfeuchte Almwiese, zwei sehnige Beine gegen vier Pfoten. Der kleine Schrein am Fuß der Berge war noch weit entfernt, seine Umrisse von den Regenschleiern verwischt. In seiner Mitte flackerte das goldene Glühen der Wolfenflammen unbeirrt von Wind und Feuchtigkeit. Norn und Wölfin hechelten im gestreckten Lauf, spornten einander an indem einmal der eine, dann wieder die andere voranzog. Zur Flamme, zum Licht, zu Vater Wolf. Näher, näher, fast sind sie da, da, sie spüren schon die Wärme des Feuers, legen die Köpfe in den Nacken und heulen, heulen, heulen...
Das Rütteln einer Hand weckt ihn und vor Schreck springen die goldgelben Augen auf. Nicht jetzt, ich bin gleich da...! Hämmerndes Herz in der Brust, ein unsteter Blick in das Halbdunkel der Rudelhütte. Ragna, die über ihm kniet. "Deine Wache, mein Großer. Die Flamme wartet." murmelt sie mit vollem Mund und müden Wolkenaugen. Er blinzelt und kämpft das unbändige Verlangen nieder, sie an sich zu ziehen. "Schon wach." murmelt er und nickt. Schaut ihr hinterher, wie sie mit ihrem Mittnachtsproviant in ihre Felle verschwindet.
Eik tritt hinaus in die kühle Sturmnacht, schnalzt dreimal mit der Zunge. Kurz steht er da, lauscht dem Tosen der hohen Fichten im Wind und erst, als nichts geschieht, fällt es ihm wieder ein. Achja. Du kommst ja nicht mehr. Tief atmet er durch und verdrängt den Gedanken an die alte Wölfin, zumindest für jetzt. Trauer kann er nun keine gebrauchen, also reibt er sich das schlaftrunkene Gesicht, haut sich links und rechts eine hinunter und marschiert hinauf in die Rast. Bis auf das Sturmheulen ist es still am Hof, seit die Vertriebenen alle wieder weg sind und so wandert der Wirt ungehört durch die Dunkelheit. Dem Schein des großen Ofens nach, der aus der Rast hinaus auf den Hof dringt. Drinnen ist es leer, keine späten Trinker, keine Schläfer und wer vorher noch da war, hat sich längst schon in die Felle verzogen.
Sein erster Weg führt zum Herd, doch der Ofenglut gilt die Sorge nicht. Ausnahmsweise unbeachtet glimmt sie dunkelrot vor sich hin, ab und an aufschimmernd wenn der Sturm durch den Kamin nach unten leckt. Der Hüttenwirt holt sich gutes Holz in kleinen und großen Spänen und hockt sich auf den Ofenrand. Dort baumelt an eisernen Ketten die schwere Kohlenpfanne herab. Goldgelbe Feuerfinger tänzeln daraus hervor, wiegen sich im leisesten Luftzug: Die Wolfenflamme taucht die Rasthütte in ihr warmes Zwielicht. Hier wird er nun sitzen und nachlegen, auflockern und behüten bis Ragna ihn wieder ablöst. So lange, bis es Zeit ist, die Flamme hinauf nach Hoelbrak zu bringen, damit sie Teil von Vardas Heilung sein kann. Leise lächelt der Skalde. Reibt sich den wirren, ungeflochtenen Vollbart. Den Blick verliert er an das Goldglühen und die Erinnerungen an die Klänge der Reise, die hinter ihm liegt...
"Man sagt, zu Mittsommarnacht steht die Sonne hier genau zwischen den Stelen." - "Dann kommen wir wieder, wenn es Mittsommar wird, du und ich. Und wenn es wirklich stimmt, dann küss' ich dich, wenn das Licht am hellsten ist." - "Spinner."
"...ich glaube einfach, Vielfraß liegt irgendwo in 'ner Höhle und pennt und wartet drauf, bis es Zeit ist wieder aufzuwachen. Und wenn es soweit ist, dann kommt er zurück und meine Sippe hat ihre Seele wieder." - "Vielfraß, mh? Ja, das passt."
"Bist du würdig, Welpe?" - "Ich bin's und war es immer und werd's auch immer sein! Ich jage mit euch, ich teile mit euch und ich komme, um meinen Platz unter euch zurückzufordern!"
"Du wirst noch sehr lange dafür büßen. Weit länger, als du glauben magst. In den Nebeln wird's dir noch nachkriechen, Eik. Und das is' Teil deiner Strafe. Das is' es, was dich von deinem Vater unterscheidet, warum du nie so wirst wie er: Reue."
"Scheisse, ich hatte noch nie soviel Angst. Was is', wenn ich es..." - "Du wirst's packen, Eik. Für Varda und für's Rudel. Für dich."
"Ehrlich, du warst's und warst es nicht! Wolf hat durch dich geredet!" - "Red keinen Scheiss, Johansson, du warst kurz weg und jetzt hast du Fieber. Du Spinner."
"Eik, 's wird Zeit dich zu verabschieden. Wolf wird sie hierbehalten. Das weißt du." - "Scheisse...nein. Yilve..."
"Ich beneid' dich drum. Ich hab nie wo hingehört und ich weiß auch nicht, was mich ausmacht. Was meine Seele ist." - "Seele? Du behauptest, deine nicht zu kennen? Ich sag dir was. Ich hab noch nie wen getroffen, der soviel Seele hat wie du. Die is' so hell, dass sie dir überall herausleuchtet."
"Für Varda." - "Für Varda."
"Wir sind Wolf. Wir sind wild. Wir sind Pflicht, wir sind Jagd und wir sind das Rudel. Vergebung wirst du keine erfahren, aber entschieden hast du dich. Du bist Wolf, Eik Johannson."
"Kriegst du das hin, ohne das die Flamme ausgeht?" - "Sicher. 's Einzige, was schwerfällt, ist mich zu beherrschen und nicht mit dem Feuer zu spielen." - "Mhm. Kenn ich."
"Wenn ihr noch 'ne Stunde braucht, der Schnee is' noch weit genug weg. Nur zu." - "Lieber tagelang im Sturm mit dir als eine Stunde in ihren Fellen."
"Wirst du dir wieder einen Welpen nehmen?" - "Ja. Irgendwann. So is' es Brauch in der Wolfshütte. Aber vorerst..."
Ein Scheit knackt laut, der Norn blinzelt. Reibt sich die Augen, in denen ein Lächeln steht und füttert die hungrige Wolfenflamme mit neuen Spänen.
Für Varda. Für das Rudel.
IV - Schwestern (von Varda)
Arkadia betrachtete die zwei Norn, die in ihrer kleinen Hütte standen. Der Raum war weder groß, noch klein. Für Arkadia war er perfekt. Streckte sie die Arme, konnte sie die Decke nicht erreichen.
Doch die Beiden, die vor ihr standen, ließen die Hütte viel kleiner erscheinen, als sie eigentlich war. Varda war schon als Kind groß gewesen. Wenn sie in einer Menge stand, stach sie hervor und das nicht nur wegen ihrem feuerfarbenem Haar. Doch Lokke überragte sie nochmal um einen ganzen Kopf und stieß mit Seinem fast an die Decke.
Beide waren sie schwer bewaffnet, ein großer Seesack hing über Lokkes Schulter und auch seine Begleitung trug mehrere kleinere Taschen und eingerollte Felle.
„Wir geh'n jetzt los“, verkündete Varda und das vertraute warme Lächeln zierte die Lippen.
„Passt auf euch auf“, erwiderte ihre Schwester und sah hinüber zu Lokke, der seitlich hinter seiner Gefährtin stand. Sie wollte etwas hinzufügen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Er sah zu Varda und den Blick, den er ihr zuwarf, sprach für sich. Arkadia würde ihm nicht sagen müssen, dass er auf die wilde Wölfin aufpassen sollte. Vermutlich gab es niemanden in Tyria, der besser auf ihre Schwester hätte aufpassen können, als er.
Als ob Varda es gespürt hätte, sah sie über die Schulter zu ihm und schenkte ihm ein Lächeln voll tiefer Zuneigung. Sie küssten sich, dann nickte er Arkadia zu und verabschiedete sich mit einem „Geister mit dir!“. Mit schweren Schritten verließ er die Hütte und ließ das Schwesternpaar allein.
An dem Blick, den Varda ihr zuwarf, erkannte die Jüngere, dass sie noch etwas auf dem Herzen hatte. Und Lokke hatte vorzeitig den Raum verlassen, als hätte er es gewusst. Die Beiden verstanden und kommunizierten miteinander auch ohne Worte. Es gab Tage, an denen Arkadia diese Fähigkeit faszinierte und Tage, an denen sie sie darum beneidete.
„Wurde mal Zeit, dass du dir endlich einen Gefährten suchst und nicht durch die Felle hüpfst“, meinte sie, während sie besagtem Gefährten nachsah.
Arkadia hatte ihre Schwester in dieser Hinsicht nie verstanden. Für sie war es von Anfang an klar gewesen, dass sie einen Gefährten haben wollte, der ihr eine Hütte baute und sie, zusammen mit ihr, voll Kinder füllte. Varda hingegen wollte nur ihren Spaß haben. Sie band sich nie an Einen und schon gar nicht blieb sie bei ihm. Der Kriegsmeister der Wachsamen schien das Unschaffbare geschafft zu haben und das rechnete Arkadia ihm hoch an.
„Kady, ich weiß nich', was ich mach'n soll.“
Als die Angesprochene zurück zu ihrer Schwester sah, stand die nackte Angst in den himmelblauen Augen. In jenen Augen, in denen sich sonst nie Angst oder Unsicherheit zeigten. Arkadia nahm ihre Hände in Ihre und lächelte.
„Was meinst du?“, fragte sie sanft.
„Ich... was is', wenn's nich' klappt? Wenn die Arbeit der And'ren umsons' war? Kady, die opfern so viel für mich! Es is' zu viel, ich...“, stotterte Varda, während sie sich an den Händen der Anderen festklammerte.
Es war einer der seltenen Momente, in denen die Ältere ihre Schwächen zugab und sie offen zeigte. Einer der seltenen Momente, in denen sie sich fallen ließ und Arkadia sie auffangen konnte.
„Es ist dein Rudel. Hast du mir nicht immer gesagt, dass es so sein muss? Dass man einander hilft? Dieses Mal haben sie die Chance, dir zu helfen.“
„Aber's is' so viel. Gefährlich. Und sie meckern nich' einmal, sie mach'n 's einfach. Wie soll ich's je wiedergutmach'n, ich...“
„Varda, Varda. Du liebst dein Rudel und genauso lieben sie dich. Allen schenkst du deine Liebe und bist dann völlig überfordert, wenn sie dir ihre Liebe geben.“
Arkadia konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Vor allem nicht, als sie förmlich sehen konnte, wie es hinter Vardas Stirn zu arbeiten schien. Doch die Zweifel und die Angst blieben.
„Auch Wolf liebt dich“, fügte die Jüngere leise hinzu. „Das weißt du. Du spürst es.“
Sie legte ihrer Schwester eine Hand auf die Brust, dort, wo das Herz schlug. Varda legte ihre Hand darüber, klammerte sich an ihr und hielt sie dort fest.
Arkadia kannte sie. Varda würde die dunklen Gefühle tief in sich verschließen und für die Anderen lachen und lächeln, ihnen Mut zusprechen und sie voller Tatendrang füllen. Und sie selbst würde den Zweifel mit sich tragen und niemals zeigen oder teilen.
„Immerzu hast du Vertrauen in Andere. Nun habe Vertrauen in dich, Varda.“
Die Angesprochene nickte, doch die Maske wanderte bereits wieder über ihre Züge und versteckte den Teil, der sich so schnell und nur so kurz gezeigt hatte. Varda zog sie in eine warme Umarmung und es war nicht klar, ob sie die Schwester festhielt oder sich an ihr festhielt.
„Ich liebe dich, Kady“, flüsterte sie und küsste sie auf die Wange.
„Und ich liebe dich, Große.“
„Wolf mit dir.“
Mit diesen Worten verabschiedete Varda sich. Bevor sie die Hütte verließ, drehte sie sich noch ein letztes Mal um und schenkte ihr ein Lächeln voller Liebe und Zuversicht.
„Und mir dir“, erwiderte Arkadia leise und sah ihrer Schwester noch lange nach.
Sie erkannte, dass sie sich ähnlicher waren, als sie dachte. Auch sie hatte Varda Mut zugesprochen und versucht, sie aufzumuntern. Doch in ihren Gedanken flehte sie Wolf an, ihre Schwester zu retten.
V - Das Opfer (von Llarrian)
In ihrem Traum war sie wieder Welpe. Sorglos tollte sie mit ihren Brüdern und Schwestern umher. Sie biss und balgte, stritt sich mit den anderen um das frisch gerissene Wild bis Vaters Knurren für Ruhe sorgte. So kräftig waren ihre Glieder einst, so wenig Sorgen in ihrem Herzen. Umringt von den warmen Leibern ihrer Geschwister lag sie am gemütlichen Feuer und lauschte dem Heulen unter dem Mond...
Silberaugen reißen auf, schauen weit wie der Vollmond in das Zwielicht einer Hütte. Wo bin ich? Sie versucht, sich zu regen, versucht der Hitze unter den auf sie getürmten Fellen zu entgehen. Schon die erste Regung bereitet ihr Pein und dennoch versucht sie eine zweite. Mühsam streckt sie die dünnen Arme unter den Fellen hervor, sucht diese wegzuschieben. Ihr ganzer Leib schmerzt. Als hätte sie einen Berg aufgehoben und an das andere Ende der Zittergipfel getragen - wo er sie dann unter sich begrub. Leises Stöhnen entfährt ihren aufgerissenen Lippen. Reibender Laut, nur rohes Krächzen ist ihre Stimme und es brennt wie Sonnenfeuer in ihrer Kehle. Ein Luftzug lässt sie schaudern. Kalt...warum...? Mühsam finden die hageren Hände ihre Kehle, tasten sich hinauf zu ihrem schmerzenden Kopf. Sie fühlt...nichts. Kahle Haut, glattgeschabt. Mein Haar...wo...was... Stechend fällt ihr ein, was geschah und mit einem trockenen Knurren sinkt sie kraftlos zurück auf das Fellkissen und in gnädig dunklen Schlaf...
In ihrem Traum ist sie bei Vater. Groß wie die Berge ist seine Stimme in ihrer Seele. "Du wirst für mich laufen unter ihnen, wirst mein Heulen weitertragen. Wirst mein Knurren, meinen Biss und mein Lecken aus den Nebeln unter mein Rudel bringen. Leiden wirst du, denn du bist wild und doch gezähmt; frei und doch gebunden." Sie senkt zur Antwort ihr Haupt, schiebt schwarzes, dichtes Haar beiseite. Entblößt den Nacken und dann spürt sie zuerst Vaters Biss und dann sein kümmerndes Lecken, als aus Haut Fell und aus ihrem Sein Wolf wird...
"Du musst trinken, Godi."
Warm und leise dringt eine Stimme zu ihr. Eik...Hjertson...Sohn meines Herzens... Sie schlägt die Augen auf und dann sind warme Hände bei ihr. Stützen den geschorenen Kopf, richten ihren entkräfteten Leib auf. Warme Flüssigkeit, süß und bitter zugleich benetzt die zerbrochenen Lippen, schmiegt sich in den ausgedörrten Mund und rinnt wohlig den wehen Hals hinab. Eine Weile trinkt sie, zitternd und gierig. Sie schämt sich nicht ihrer Schwäche, nicht vor ihm zumindest. Starke Arme ziehen sie in eine warme Umarmung, an vertraute Brust wird sie gedrückt und eine Weile ist nur mehr Ruhe. Ein Stück ums andere schiebt sich aus ihrer Erinnerung an das Licht des Wachens, sie erinnert sich. An die Höhle, an das Feuer der Wulfenflamme. An großes Gelächter und tiefe Trauer. An Zusammenhalt und Fürsorge, an wilde Entschlossenheit und kräftige Gesten. An den Geschmack von Eisen im Mund und an Blut, das in loderndem Feuer zischend verdampft. Ihr Herz klopft, als sie sich an die Trommeln erinnert, an deren wilden Herzschlag und hastiges Hetzen. Sie wagt es nicht, die Frage zu stellen, warum wage ich es nicht? Ich muss wissen...muss wissen.. All ihren Willen nimmt sie zusammen, um krächzend die Worte hervorzubringen und ihr Leib spannt sich schmerzhaft in Erwartung der Antwort.
"Eik...ist es geschafft?"
"Ja, Mutter. Es ist geschafft. Schlaf jetzt."
In ihrem Traum ist sie bei Vater. "Zweifle nicht. Du bist ich und ich bin du. Wir sind eins. Was einer will, wird der andere gewähren. So war es immer und so wird es immer sein." Getragen von der heulenden Stimme, die den Himmel und die ganze Welt ausfüllt, steigt sie umringt vom Rudel auf in die Nebel...
VI - Eulen im Schnee (von Aanika)
Ewig hatte, zumindest sie, gebraucht um auch nur im Ansatz zu verstehen was der Kerl von ihnen wollte, während Toras sich intuitiv mit ihm verstand und das trug nicht eben zur Aufhellung ihrer Laune bei. "Dämliche Kerle auch!" Immer wieder musste sie nachfragen und beim dritten Mal wäre ihr fast eine unfreundliche Bemerkung entkommen. "Beim Stumm'lschwanz der Bärin, kanns' Du uns nich' einfach sag'n was wir mach'n soll'n? Scheiß Räts'lrat'n!" hatte es ihr schwer auf der Zunge gelegen und doch hatte die Norn es für sich behalten.
"Wir... soll'n Yilva mit nem Zahn die Haare abschneid'n un' sie dann im Dreck verscharr'n?" platzte ein weiterer, reichlich absurder, Rateversuch aus ihr raus und sie erntete das bekannte, brummige Gelächter von Toras, dass sie während der Reise zu hassen gelernt hatte und ein amüsiertes Grinsen vom Schamanen. Fast schien es so, als würde sogar die alte Leopardin auf seinem Schoß mit den Augen rollen.
Jetzt war Aanika es, die unzufrieden brummte. Sie war einfach unglaublich schlecht in solchen Dingen und sie wusste das. Schon damals in ihrer Taverne, als die stumme Sylvari ein simples Bier wollte, hatte sie sich angestellt wie ein Dolyak beim Stricken. "Tschuldige, Weißkohl, aber 'ch kann Dir kein'n Fass mit Quaggansabber bring'n. Sowas verkauf' 'ch nich'ma'!" meinte sie damals im Brustton der Überzeugung und die verwirrten Blicke, die sie dann trafen, fühlten sich nicht gut an. Erst als sie Papier und diesen Asurastift mit dem Knopf an der Seite, den man vor dem Schreiben drücken musste, reichte, begann sie zu verstehen. "Bier! Warum sags' das nich' gleich?" hatte sie noch gesagt, ehe ihr "Weil sie nicht sprechen kann, das ist ja das Problem!" durch den Kopf schoß.
"Wir... soll'n unsere Nam'n in den Dreck mal'n un' Dir dann n' Witz erzähl'n in dem n' Zahn vorkommt?" Leises Lachen. Leiser als zuvor, gemischt mit Resignation. Man gab die Hoffnung wohl langsam auf, dass sie jemals auf des Rätsels Lösung kommen würde. Sie mochte ungewöhnliche Lösungen, aber um die ging es hier wohl nicht. "Ach leckt mich doch beide am Arsch. Sag einfach 's wir mach'n soll'n, sons' steh'n wir noch in ner Woche hier!" murrte sie dann leise in sich hinein und da war er. Der tadelnde Blick vom Hünen der sie begleitet hatte. Und auch den hasste sie wie kaum etwas anderes. Stundenlang hatte sie ihm in den Ohren gelegen. "Sei höflich! Sei freundlich! Der muss uns helf'n un' wenn wir dem ans Bein piss'n, is' alles umsons'!" hatte sie ihm vor der Halle der Schneeleopardin versucht einzubläuen. Und jetzt war Aanika es, der der Fellkragen, in dem sich immer mehr Schneeflocken fingen, platzte. Sie musste sich abwenden um den Rest ihrer Fassung zu behalten.
"Natürlich. Wir werden Dir einen Zahn eines Säblers bringen um ihn gegen den Gesang zu tauschen." tönte dann des Rätsels Lösung von hinten, wohl absichtlich so laut, damit sie es auch ja gut hören konnte und sie fuhr zu den beiden herum. Ein wutentbranntes Ausschnauben entkam ihr und wurde von leisem, kehligen Knurren begleitet. Der Mund war schon halb offen um irgendwas fürchterlich schnippisches, das ihr bestimmt gleich einfallen würde, zu sagen, als Toras ihr übers Maul fuhr. "Weil er nicht sprechen kann!" kam seine Antwort ihrer Frage zuvor. "Dämlicher Kerl! Kerle! Alle beide!" wollte sie beide anbrüllen. Brüllen konnte sie gut und lang und laut, doch der Krieger stapfte einfach in den aufkommenden Schneesturm an ihr vorbei. Kurz zögerte Aanika, folgte aber dann.
"KOMM HERAUS, BESTIE!" plärrte Toras gegen den Sturm an, gut, das letzte Wort verschluckte er fast, als ihm reichlich Schnee entgegenkam und sie musste lachen. "Bei welch'm schneeblind'n Schaufler has' Du bitte s' Jag'n gelernt? Leise pirsch'n! Diese Brüllerei klappt nur in den groß'n Held'ngeschicht'n, Du Dolyakschäd'l!" zischte sie ihm höhnisch zu. Endlich wieder überlegen! Jagen konnte sie. Gerade als sie nachsetzen und sich noch ein wenig genüsslich über die mangelden Jagdfähigkeiten von Toras amüsieren wollte, kam es rasend schnell aus dem Schnee auf sie zu und gerade noch konnten beide sich ducken.
"Glückwunsch. Du has' ne Eule aus 'm Sturm gebrüllt. Ne rieeeees'n Bestie! Die wird uns sicherlich gleich anfall'n un' zerfleisch'n. Hoff'ntlich Dich zuers', damit 'ch noch n' bisschen lach'n kann." spottete Aanika, als sie erkannten was ihnen da gerade über die Köpfe gezischt war. Die Anspannung fiel ab ab und die beiden riesigen Schwerter, die die beiden Norn zur Abwehr erhoben hatten, wurden langsam wieder gesenkt und weiter durch den leise knirschenden Schnee gepirscht. Der Sturm heulte sein Lied und trug das leise Gelächter von ihren Lippen.
"'ch schau' eb'n, ob die noch alle Federn hat." und schon wurde auf den Baum zugestapft ohne auf Toras warnende Worte, die Bestie könnte über beide herfallen während sie irgendwelchen Eulen nachstieg, zu achten. "Jaja, genau. Die riesig'n Bestien, die Du aus dem Schnee brülls'. Als nächstes wird uns n' Dolyak um die Ohr'n flieg'n, wenn Du nich' bald ma' Ruhe gibs'." murmelte sie in die Nadeln des Baumes, die sie vorsichtig auseinanderbog um nachzusehen. Sie hatten sich vermehrt! Unglaublich schnell! Gut, oder die zweite Eule sass da schon länger. Ziemlich sicher sogar, denn sie wirkte weniger vom Sturm gebeutelt als die andere. Aanika grinste ihr breitestes Katzengrinsen, begutachtete die beiden Vögel im Baum und gerade als sie sich wieder vom Baum abgewendet hatte, passierte es.
"DAS DRECKSVIEH HAT MIR AUF N' KOPF GEKACKT!" machte sie ihrem Zorn Luft und schon wurde das Schwert gehoben. Den verdammten Baum mit diesen zwei scheiß Eulen würde sie in Stücke hauen und jetzt lachte der dämliche Kerl auch noch. So laut, dass er den Sturm bei weitem übertönte. "Erinner mich daran, der Eule ein Opfer zu bringen, wenn wir zurück sind." verhöhnte Toras sie. Nicht das sie sich nicht schon beschissen genug vorkam. Beschissen... ja. Der Zorn verflog so schnell wie er auf sie hinabgeregnet war, als sie ein leises Maunzen aus dem Sturm heraushören konnte.