„Mein Würfelglück ist zurück!“, hallte es durch einen der, vergleichsweise, kleineren Räumlichkeiten der Seraphen. Hier warteten ein paar wenige auf jegliche Unruhen, sowie damit verbundenen Einsätze. Das klimpern einiger weniger Münzen, die symbolisch für den Wetteinsatz gesetzt wurden, erfüllte die angenehm warme Abendluft. „Nichts zu tun, ein gemütlicher Platz zum Ausharren, ein paar Kollegen um die Zeit zu vertreiben. Ich würde sagen Freunde, wir haben einen perfekten Tag erwischt“, grinste die Wache zu den paar Anwesenden die nacheinander ihre Zustimmung mit fröhlichen Ausrufen zeigten. „Ein ruhiger Tag für Götterfels! Dafür sind..“, die Tür schlug auf und verschluckte den Rest des Satzes als alle reflexartig zu ihren Waffen griffen bevor kontrolliert wurde wer es wagte so in einen der Räume der Seraphen zu stürmen. Einer nach dem anderen senkte seine jeweilige Waffe wieder als man die Mit-Seraphen erkannte.
„Mit dem falschen Fuß aufgestanden Henri oder war es wieder die Markttagbande?“ scherzte eine der Seraphen weiter hinten in einem Eck. Ein kurzer Blick fixierte den Mann in der Ecke während der kleine Trupp aus fünf Seraphen ins Licht des Raumes trat. Ein amüsiertes Lächeln machte sich auf den Seraphen breit als sie den ganzen Dreck auf den Rüstungen und Gesichtern der Neuankömmlinge deutlich sahen. Zusammen stimmten die Wachen ein Allwissendens, „Aaaaaah“ an und lachten herzhaft. Mittlerweile wusste jeder was diese Aufmachung zu bedeuten hatte. Dreckig, kaum bis keine Verletzungen, erschöpfte Gesichter. Eine weitere erfolglose Jagd nach der kleinen Händlerin.
„Warum lasst ihr es nicht gut sein Henri, sie ist nur ein kleines Mädchen. Eine Händlerin die nicht mit schönen Worten verdeckt dass sie andere beim Handeln übers Ohr haut.“, schmunzelte der Seraph der sein Würfelglück wiedergefunden hatte. Mittlerweile hatten sich die Neuankömmlinge zu den anderen gesetzt. Knappen und Laufburschen waren schon losgeschickt worden um heißes Wasser heran zu schaffen. Dreck und Strapazen wollten aus den Gesichtern gewaschen werden.
„Nur mit dem Unterschied dass der übers Ohr gehauene gar nicht erst anwesend ist“ hörte man einen Anderen aus dem Raum hinzufügen.
„Sie richtet doch kaum Schaden an. Die Menschen hier sollten besser auf ihr Hab und Gut aufpassen. Wenn sogar ein kleines Mädchen ein paar Sachen entwenden kann. Wir haben wirklich größere Probleme die in dieser Stadt herumlaufen.“ kam es beiläufig von einem Tisch mit drei Kartenspielern.
„Full House“, Karten wurden auf den Tisch gelegt, gefolgt von mehreren hingeworfenen verlorenen Blättern, so wie Stoßseufzern. „Erzähl, wie ist es diesmal gelaufen“. Manche sahen mit einer Mischung aus Neugierde und Belustigung zu dem Trupp. Andere wiederrum schenkten dem ganzen Geschehen kaum mehr Aufmerksamkeit. Es wird ja wie immer sein.
Henri war nicht gerade begeistert von einem Fehlschlag zu erzählen, doch wusste er dass er der Letzte war. Ab Morgen würde er sich wieder anderen Aufgaben widmen. Wenn er ihr nochmals nachjagen sollte, dann aus anderen Gründen. Ehrgeizig wie er war konnte er es jedoch nicht auf sich beruhen lassen dass sowohl die Ministralwache als auch die Seraphen nicht im Stande waren ein kleines Mädchen zu fangen. Er musste zumindest alles versucht haben bevor er aufgibt und jemand anderen diese Aufgabe überlies.
„Ich wohne und arbeite in Götterfels seit ich hier geboren bin“, fing er an, „jeder von uns kennt Götterfels so gut dass er im Schlaf durchfinden würde. Aber dieses Mädchen… jedes Mal wenn wir hinter ihr her sind, zeigt sie uns neue Ecken und Wege durch die Straßen und Gassen unserer Stadt.“
Henri hatte schon vor einiger Zeit erkannt dass es wohl ein hoffnungsloses Unterfang ist, doch aufgeben kam nicht in Frage. Außerdem hatte er einen Weg gefunden zumindest etwas Positives aus der ganzen Sache heraus zu bekommen. Er konnte jedes Mal eine Geschichte erzählen um die Mit-Seraphen zu erheitern oder zumindest etwas Zeit tot zu schlagen.
„Mittlerweile haben wir aufgegeben die Bevölkerung zu befragen. Niemand weiß auch nur irgendetwas sinnvolles über das Mädchen. Neulich wollte mir ein Bürger glatt weiß machen, dass das Kind so weite Kleidung trägt um die zwei Fuchsschwänze die sie ja hat zu verbergen. Als ob sie ein mystisches Wesen wäre!“ Henri schüttelte kurz seinen Kopf, „Selbst wenn wir jemanden erwischen der sie gerade noch gesehen hat, bis wir am beschriebenen Ort sind, ist sie schon längst wieder verschwunden. Deswegen haben wir jetzt regelmäßig Patrouillen am Abend übernommen um ihr vielleicht über den Weg zu laufen.
Es hat eine ganze Woche gedauert bis wir sie zu Gesicht bekommen haben. Dafür schienen wir eine Glücksnacht erwischt zu haben. Wir haben uns gerade erst in zwei Gruppen geteilt und wie es der Zufall so wollte haben wir sie genau in diesem Moment auf einem der Häuser umkreist. Wir haben davor schon von Glück geredet wenn wir die Chance hatten ihr näher zu kommen, aber sie zu umkreisen? Völliges Wunschdenken.“
In der Zwischenzeit sind die Knappen und Laufburschen mit Trügen heißem Wasser zurückgekehrt und es kam zu einer kurzen Pause in der sich eifrig Gesichter gewaschen wurden. Abgesehen von Henri begann der Trupp sich die Haare grob zu waschen sowie etwas von dem Dreck der Rüstung zu entfernen.
„Sie hat zuerst den zweiten Trupp gesehen und wollte zu unserer Seite hin flüchten. Sie hat nur für einen Moment zu uns hinuntergeblickt , hat die Richtung geändert und ist gesprungen. Von der Spitze des Dachs quer über die Straße zu dem nächsten Haus. Das konnte nicht gut gehen, die beiden Häuser waren gleich hoch! Nur schien sie diese kleine Tatsache nicht weiter zu stören. Als wäre es ganz normal griff sie nach dem Dach und fingen den Aufprall mit ihren Füßen ab. Für sie ist das wohl völlig normal. Mein Herz war drauf und dran mir in die Hose zu rutschen. Ich habe mich schon immer gefragt was in diesem Kopf vorgeht. Wie verrückt muss man sein um über ganze Häuserschluchten zu springen? Wir standen alle wie versteinert da, darauf gefasst, jetzt stürzt sie ab. Es hat einen Moment gedauert bis wir realisierten dass sie sich schon auf das Dach gezogen hat und weiter rannte. Wir eilten hinterher obwohl wir wussten, sie hatte schon wieder gewonnen, dachten wir zumindest. Gleich um das nächste Haus herum konnte sie wohl nicht weiterspringen und musste zuerst vom Haus herunterklettern. So flink sie auch sein mag das dauert seine Zeit. Wir kamen gerade noch rechtzeitig um zu sehen wie sie sich das letzte Stück fallen ließ und durch die Seitengasse hinter ihr verschwand.“
„Drei von uns schickte ich außen herum, die Straße kannten wir. Wir wussten dass sie eine Seitengasse schneidet und dort endet. So mussten wir sie einfach fangen können. Zwei hinter ihr und drei vor ihr im Weg, das funktioniert. Als wir ihr der langen Straße hinterherliefen hörten wir ein Lachen. Leute, ich sage euch, ich habe noch nie ein so helles und heiteres Lachen gehört wie zu diesem Zeitpunkt. Meine Tochter hat ein herzallerliebstes Lachen, aber das was wir da hörten war einfach nicht von dieser Welt.“ kurzes brummendes Zustimmen des Trupps untermalte die letzte Aussage.
„Und zum ersten Mal war mir klar was das alles sollte, für sie ist es ein Spiel. Wir waren so auf die Verfolgung fixiert dass wir gar nicht bemerkt haben dass wir hier schon einmal hinter ihr her waren.“
„Wir sahen wie sie links um die Ecke bog, kurz danach kamen wir. Rechts hörte die Straße auf und am anderen Ende der Straße stand schon der Rest von uns bereit. Sie war keine zehn Schritte von uns entfernt. Und da tat sich eine Möglichkeit auf, sie war noch da. Sie blieb dort einfach stehen. Es war ein eigenartiger Moment, sie war völlig verdreck und trotzdem, durch das Mondlicht dass in die Gasse auf sie fiel schien es als müsste es ganz genau so sein damit es richtig ist. Ich kann den Moment gar nicht beschreiben, sie stand einfach da, die Hände hinter ihrem Rücken haltend, den Kopf zur Seite gelegt, uns anlächelnd.“
„Zehn Schritte! Mehr brauchte es nicht. Wir mussten es zumindest versuchen. Noch bevor ich mich in Bewegung setzte drehte sie sich zu den anderen, winkte ihnen zu und rannte auf die Hauswand zu. Hätte ich es nicht schon gewusst, ich hätte gedacht sie rennt direkt in die Wand. Es gab dort eine kleine Ausbuchtung die man nicht gleich sieht wenn man nicht daneben steht. Ein Kanaleingang. Ich rannte direkt darauf zu und dachte auf einmal dass wir sie diesmal haben. Sie musste hindurchklettern und das wird sie zu viel Zeit kosten. Ich hatte schon die Hand nach ihr ausgestreckt, dachte im nächsten Moment hätte ich sie. Wenn es nur so gewesen wäre. Mit einem Sprung würde wohl wirklich niemand rechnet. Sie ist tatsächlich durch diesen kleinen Kanaleingang hindurch gehechtet.“
„Naja, was das bedeutet wisst ihr nur zu gut. Wir haben einen Versuch gestartet, aber die Kanalisation wurde schon so oft, auch aus anderen Gründen durchforstet. Nie wurde sie gefunden. Keiner will es wahr haben, aber ich denke sie hat in der Kanalisation einen Eingang in den Untergrund gefunden. Fragt mich nicht wie sie da unten überleben soll oder wieso wir ihn nicht finden können. Ich weiß, dass sogar wir schon einige ernsthafte Verletzungen von da unten mitgenommen haben. Vielleicht ist es ihre wahnwitzige, unbekümmerte Art wie sie mit ihrem Leben umgeht, ich weiß es nicht.“
„Was ich weiß, ist dass sich meine Kleinen freuen werden wenn ich ihnen morgen Abend eine neue gute Nacht Geschichte erzählen kann.“