Das Sternenkind
"Ma! Ma!" aufgeregt kommt er durch die Tür geschossen. "Ich hab sie wieder gesehen, ich hab.." ohne ihremkleinen Sohn weiter zuzuhören schneidet Ma ihm das Wort ab," Sonnenuntergang hat schon vor einer Stunde eingesetzt, wie oft soll ich dir noch sagen dass du Heim kommen sollst. Es wird zu gefährlich in den Straßen für Kinder". Ihr Tadel hat wenigstens Heute Anklang gefunden. Beschämt schaut der kleine Junge zu Boden, nur um im nächsten Moment wieder herauszuplatzen, "Ma ich hab sie gesehen! Sie saß wieder auf einem ihrer Lieblingsdächer und hat gewartet bis die Sterne herauskommen!"
Mit einem leisen Seufzen setzt sie sich an den Tisch an dem sie zu dritt immer essen.
Auch wenn sie schon wusste um wen es geht fragt sie wie die letzten Male, "Wen hast du gesehen?"
"Na das Sternenmädchen!", als wäre es doch sonnenklar.
Liebevoll sieht sie ihn an um den harten Ton aus ihrer Stimme zu vertreiben, "Du weißt doch dass es kein Sternenmädchen gibt, das ist nur ein Märchen das man sich gern in den Tavernen erzählt um die Zeit zu vertreiben"
"Aber ich hab sie gesehen!" protestiert er lautstark," Melonnie, Jora und Gwen haben sie heute auch gesehen!"
"Melonnie, Jora und Gwen spielen jeden Tag sie wären Charr" sie lächelt herzlich," Ihr Kinder habt so eine blühende Fantasie,"mit einem ernsten Ton setzt sie nach," aber du solltest nie vergessen manche Dinge gibt es nur in deinem Kopf. Genau dort sollten sie auch bleiben."
"Aber Ma!" bringt er gerade noch hervor als eben jene noch anschließt.
"Es ist spät und wird Zeit dass du ins Bett kommst, ab, hoch mit dir."
Wiederwillig aber ohne weiteres Wort macht sich der kleine Junge auf zur Treppe. Die Stufen werden natürlich hochgestapft um lautstark zu verkünden dass er damit nicht einverstanden ist.Seufzend nimmt Ma ihre Stricknadeln wieder zur Hand die nur darauf warten wieder in einem monotonen Klackern ihrer Arbeit nachzugehen. Begleitet vom Geräusch der Nadeln wird die Stille der hereinbrechenden Nacht begrüßt. Nur ein einziges Geräusch unterbricht diese stille Vereinbarung zwischen Nacht und Nadeln.
Eine Buchseite, die langsam umgeblättert wird.
Eine ebenso langsame, müde Stimme scheucht die Ruhe wieder aus dem Raum,"Wieso versuchst du es ihm immer noch auszureden, wir wissen alle dass sie real ist. Außerdem kommt er langsam in ein Alter in dem er uns nicht mehr alles ganz einfach glaubt wenn wir ihm etwas vorsagen. Kluger Junge" lächelt er kurz stolz von seinem Sessel am Tisch aus.
"Ich möchte nicht dass er ihr hinterher jagt, geschweige denn nacheifert."
" Für ihn ist es nur ein Abenteuer, ein einsames Mädchen dass jede Nacht durch die Stadt und über die Dächer huscht. Mal hier mal da gesehen, doch nie wirklich anwesend. Ein kleiner Stadtgeist."
Mit langsamen, fast schon bedachten Bewegungen schließt er sein Buch und legt es vor ihm auf den Tisch. Er weiß schon dass sich das noch eine Weile hinziehen kann und für Heute das Lesen gestrichen ist.
"Vielleicht ist es an der Zeit ihm die Wahrheit zu erzählen", er stützt sich auf seine übereinander gelegten Arme am Tisch ab. Abwartend sieht er zu seiner Gattin um ihre Reaktion regelrecht zu studieren.
Bis auf das regelmäßige "klck-klck-klck" bekommt er jedoch keine Antwort.
"Hast du Angst dass er Mitleid mit ihr bekommt und dann erst recht versucht ihr zu folgen?"
Da war sie! Eine kleine Unregelmäßigkeit im Klackern der Nadeln.
"Er ist ein guter Junge und wenn wir ehrlich zu ihm sind wird er es verstehen."
Endlich kam die Reaktion, hätte er sie nicht ein wenig.. ermutigt hätte er sich erst wieder ihre ganzen subtilen Hinweise über sich ergehen lassen müssen und erst recht nicht in Ruhe lesen können.
"Wie willst du ehrlich zu ihm sein wenn wir nicht einmal wissen was denn nun wirklich wahr ist? Es gibt viel zu viele Gerüchte die Behaupten das sei wahr"
"Das ist eben ein Teil der Wahrheit, wir wissen nicht alles. Besser gesagt kaum etwas"
"Und was wissen wir?", nun legt auch Ma ihre Stricknadeln, mitsamt dem angefangenen Socken wieder zurück in die Schale.
Pa lehnt sich in seinem Stuhl zurück um einen Moment lang die Fülle an Gerüchten zu ordnen.
"Es gibt drei beliebte Theorien woher sie kommt, sie war eine Studierende der Magie und eines Tages ist ein Experiment furchtbar schief gegangen und hat sie verwirrt zurückgelassen. Dann wäre da diese schreckliche Misshandlungsgeschichte und natürlich dass sie einfach nur eine Ausreißerin ist die nicht richtig tickt"
Mit verschränkten Armen sieht Ma ihn eindringlich an, "Hauptsache alle sind sich einig und sie ist verrückt"
"Wie willst du es sonst nennen?" entgegnet er. "Du bringst ihr doch ab und zu essen, wenn du es besser weißt, nur zu."
Angestachelt hebt Ma ihre Stimme. "Natürlich bringe ich ihr etwas zu essen, das arme Ding lebt von nichts und noch weniger!" , Ma seufzt leise, sie lässt die Nacht wieder für einen Moment lang sich breit machen um in der aufkommenden Stille wieder ihre Ruhe zu finden.
"Ich hab sie vor ein paar Wochen gesehen, du weißt noch als ich die ausgebesserten Muster in die Werkstatt brachte?"
Ein kurzes Nicken von ihm lässt sie fortfahren.
"Ich habe sie zuerst nur kurz gesehen, sie saß auf einem der Dächer und starrte in den Himmel hinauf. Nur für einen Moment hat sie zu mir hinuntergesehen und ist sofort vom Dach verschwunden." sachte schüttelt sie den Kopf, "Etwas später hab ich sie zufällig gesehen wie sie zwischen zwei Häusern in der Kanalisation verschwinden wollte.. sie war kaum zehn Schritte von mir entfernt.. du hättest sie sehen sollen, sie hat so schönes,helles, langes Haar, eine helle Haut.. dreckig, ja, von Kopf bis Fuß aber selbst dann.. oder gerade deswegen. Faszinierend..
und dann hab ich es erst gesehen, zuerst habe ich es gar nicht mitbekommen aber sie hat sich zu mir gedreht und mich angestarrt. Sie war so zierlich, die ganzen.. Fetzen.. die sie getragen hat können nicht verbergen dass sie viel zu leicht ist für ihre Größe. Seitdem wunder ich mich wie sie jeden Tag über die Häuser klettern kann und immer und immer wieder den Wachen entwischt."
"Es heißt sie streunt sogar in den Krypten und Ruinen unter Götterfels herum" wirft Pa ein, nur ein kleines Detail um zu sagen dass er noch aufpasst.
"Das glaube ich nicht, viel zu gefährlich für so ein kleines, mageres Ding. Na seitdem bringe ich ihr immer wenn etwas übrig bleibt an den Eingang in dem sie verschwunden ist zu essen und jedes Mal wenn ich wieder vorbei komme liegt stattdessen etwas anderes dort."
"Rando meint sie nimmt nie Almosen und tauscht stattdessen, Äpfel, Früchte vom Markt, manchmal sogar Pilze von außerhalb" sagt Pa wohl nun doch daran interessiert," Ich wundere mich wie sie jedes Mal durch das Tor kommt."
"Kommt die alte Abenteuerlust wieder hoch?" grinst Ma vergnügt und erinnert sich an die alten Tage an denen sie selbst noch durch die Länder gestreunt sind.
Er lacht ebenso vergnügt, wohl den selben Gedanken im Kopf," Was auch immer mit ihr geschehen ist, ob sie nun verrückt ist oder eine arme verwirrte Seele, eins muss man ihr zugestehen, sie ist hart im nehmen und tapfer. Allein in dieser großen, wenn wir ehrlich sind brutalen, Stadt. Wer kann von sich schon behaupten so überleben zu können? Und wer weiß, was sie alles von dieser Stadt und ihren Bewohnern schon alles entdeckt hat."
Lächelnd als wäre alles gesagt nehmen beide wieder ihre eigenen Werkzeuge zur Hand um in stiller Übereinkunft für Heute die Nacht einkehren zu lassen.