ACHTUNG!
Prostitution, Gewalt, Elend und Wahnsinn
Schmerzen.
Bunte Punkte und weiße Sterne die hinter geschlossenen Lidern tanzen. Blitzen.
Ruckartig saugt sie nach einem atemlosen Moment Luft in ihre Lungen.
Atmen. Schreien. Schmerz.
Unkontrollierte Aggression.
Immer öfter litt sie unter derartigen Gefühlsausbrüchen in letzter Zeit, und immer öfter hatten Möbel, Pflanzen und andere unschuldige Dinge darunter zu leiden.
Heute war es der Schreibtisch geworden, doch der hatte sich nun gewehrt.
Mit gebleckten Zähnen hält sie sich den Fuß, mit dem sie nach dem Möbelstück getreten hatte – der kleine Zeh schmerzte, unglaubliche Nadelstiche von dem winzigen Gliedmaß, das Bein, den Rücken hinauf bis in ihr kurzzeitig betäubtes Hirn.
Ein schweres Schnaufen – nicht noch ein Mal schreien. Nicht noch ein Mal Schwäche zeigen.
Donnernd trifft die Faust auf Holz, will den Schmerz umlenken, fortlenken von dem Fuß, weit weg, wo der Schmerz nicht ganz so schlimm ist.
Heulen könnte sie – vor Schmerz, vor Zorn, vor Frust.
Aber heulen wird sie nicht, nimmt sie sich vor. Ganz fest.
Scheiße fällt nach unten.
So ist das nunmal.
Früher wusste sie das.
Jetzt weiß sie es wieder. Manchmal werden wir mit einem liebevollen Schlag mit einem Holzbrett an Dinge erinnert die wir vergessen haben.
Dinge, die wir nicht vergessen sollten. Grundsätze. Leitsätze. Wichtige Dinge.
Scheiße fällt nach unten.
Vertraue nur dir selbst.
Du bist dir selbst die nächste.
Jetzt weiß sie es wieder.
Und sie ärgert sich dass sie vergessen hat.
Ärgert sich, dass sie nicht den leichten Weg gegangen ist. Sie hätte sich Zutritt in die Zimmer verschaffen, und holen können was sie brauchte. Es wäre schnell gegangen, leicht. Niemand hätte etwas gemerkt. Und sie hätte sich nicht Arschtritte fangen müssen die für fremde Ärsche gedacht waren. Die zu fein waren sie sich selbst abzuholen.
Rasch gleitet eine Schublade auf, ehe schmale Finger sich hineinschlängeln, sich um Metall schließen, es herausheben. Leise wird die Schublade zugedrückt.
Barfuß führen ihre Schritte sie zur Türe; Nur leise rascheln die dünne Hose, das aufgeknöpfte Hemd und das lederne Gurtwerk das die Weste zusammenhält – eine perfekte Einheit aus leiser Beweglichkeit – mit schmerzendem Zeh.
Leise gleitet die Türe auf, ein weißer Schopf der sich in den Flur hinaus streckt. Lauschend. Lauernd. Sie horcht, horcht in das nächtliche Haus. Holz das atmet, knarzend in der Nacht, leise, knackend. Wind und Blätterrascheln um das Haus herum, leises Kratzen auf dem Holz. Verdammte Drecksviecher. Sie war von Anfang an dagegen das Gesindehaus zu einem verlausten Zoo verkommen zu lassen!
In der Ferne der unteren Stockwerke ein Schnarchen. Männlich. Grogos? Vermutlich. Vielleicht.
Sonst ist alles ruhig.
Lautlos tragen ihre Schritte sie durch den Flur; Nahe an der Wand, um verräterisches Dielenknarzen zu vermeiden. Nur kurz streift ihr Blick Lenas Zimmertüre – ehe sie ihn abwenden muss, geradezu beschämt.
Verräter unter Verratenen.
Wolf im Schafspelz – unter Wölfen.
Endlich an der Türe angekommen lauscht sie, hört regelmäßiges Atmen. Der Hauptmann schläft. Gut. Sie blickt den Flur auf und nieder – niemand.
Alles ruhig.
Sie hebt das Werkzeug – leicht, metallen, wie ein alter Freund liegt der Dietrich in ihren Fingern. Sie setzt das Werkzeug an das Schloss – und reißt die Augen auf, als es ihr aus den schwitzigen Fingern gleitet.
Purer Reflex ist es, der sie das Werkzeug fangen läßt bevor es auf dem Boden aufschlägt, Klirren verursacht.
Sie taumelt zurück, stößt mit dem Rücken an die Wand. Mit aufgerissenen Augen, wild klopfendem Herzen und einem feuchtkalten Schweißausbruch starrt sie die Türe an wie ein wildes Monster.
Wolf im Schafspelz unter Wölfen.
Schaf unter Wölfen?
Schaf im Wolfspelz?
Mit einem raschen Einatmen kommt sie auf die Füße.
Hastig sind ihre Schritte, führen sie die Treppe hinunter und durch die Gemeinschaftsküche.
Hinaus in die kalte Nachtluft.
Endlich rennt sie. Leise klatschen blanke Fußsohlen auf kalten Stein. Der Himmel ist klar, und nur die Sterne beobachten ihre beinahe panische Flucht.
Jetzt bricht sie ihren guten Vorsatz – und heult.
Feucht das Gesicht, heiß und Rot, verschwitzt, verwirrt, verärgert.
Schaf oder Wolf.
Zeit, sich zu entscheiden.