ACHTUNG!
Prostitution, Gewalt, Elend und Wahnsinn
Ein Lufthauch der die Wärme des Tages in abendliche Milde umwandelte, strich sanft um meine Füße die frei hängend über dem Abgrund baumelten.
Ein mörderischer, gigantischer Abgrund, tiefe Schwärze – ganze drei Meter bis zu den Blumenkästen.
Doch mein Blick galt nicht der Tiefe – die Angst vor der Höhe wohnte noch immer tief in mir, und es gelang mir nicht sie vollends zu bezwingen – sondern vielmehr der Ferne, weit weg.
Noch war es nicht ganz dunkel, ein dämmriges Licht, ausgehend von einer rotgoldenen Kugel die längst hinter den hohen Mauern verschwunden war, brandete durch die Straßen, die nur mehr wenig bevölkert waren. Ruhig war es geworden seit ich hier saß, waren vor wenigen Augenblicken als es noch gänzlich hell war noch viele Passanten, Marktbesucher, edle Damen und Herren mit Gefolge und Garden, Seraphen und Ministerialwachen unterwegs gewesen, so irrten nurmehr wenige einsame Gestalten durch die Gassen, darunter Nachtschwärmer, Wachen und Gestalten deren Zuhause die Nacht ist.
Ein bitteres Lächeln schleicht sich in meine Mundwinkel, weiß ich doch, wie wohl und geborgen man sich im Arm der Nacht fühlen kann.
Ich seufze. Ein Geräusch das in der abendlichen Stadt ungehört verklingt. Zwar ist es ruhiger als am Tag, doch still ist es hier nie. War es nie. Wird es niemals sein.
Meine Fingerkuppen streichen über den Gegenstand auf meinen Knien, den ich schon beinahe vergessen hatte. Ein Stapel gebleichtes Papier wie es Künstler benutzen. Ich habe mir einige wenige Blätter gegönnt, dazu einen Graphitstift und ein kleines, scharfes Messer.
Mein Blick lenkt sich hinunter und ich betrachte die Striche, die Linien die meine Hand geführt hat. Waren die ersten Graphitspuren die ich auf dem Papier hinterließ noch unsicher und zittrig, so waren die letzten die ich führte bevor ich mein Werk für vollendet hielt sicherer, geschwungener. Wilder.
Nun fühlte ich mich befreit, erleichtert.
Meine Gedanken wanderten weite Wege, als wären die Linien die aus meinen Fingern geflossen waren zuvor Gitterstäbe gewesen die Gedanken eingezäunt hatten. Zurückgehalten. Eingeschränkt.
Weisse Wölfin.
Seit sie die Worte an mich gerichtet hatten, spukten sie in meinem Kopf herum. Sie verfolgten mich im Schlaf, beim Essen, jederzeit. Stets fragte ich mich, was genau sie gemeint haben mochte. Und warum diese wenigen Worte die sie an mich gerichtet hatte, so eine tiefe Ehrfurcht in mir ausgelöst hatten. Warum ich den starken Drang empfunden hatte ihr danken zu wollen.
Was ist ein weißer Wolf?
Er ist ein Wolf, ein stolzes, starkes Tier, Wappentier, Vorbild. Teil eines Rudels an Gleichen.
Ein weißer Wolf ist ein Wolf, der anders ist.
Ein stolzes, starkes Tier, das anders ist. Auffällig. Weiß zwischen Braun und Schwarz.
Kein Vorbild, sondern Aussenseiter.
Teil eines Rudels an Anderen, die unter sich alle gleich sind.
Er ist etwas Besonderes.
Doch ist es gut, etwas Besonderes zu sein?
Gut oder Schlecht?
Ich war immer anders gewesen. Noch nie war es jemandem gelungen mich zu verstehen. Zu begreifen warum ich bin wie ich bin. Warum ich tue was ich tue. Und wie ich es tue.
Erneut strichen meine Finger über die Zeichnung.
Nein, wahrlich, ich war keine Künstlerin.
Was ein stolzer Wolf hatte werden sollen, konnte genausogut ein Stinktier sein. Oder ein Bär. Vielleicht auch ein besonders hässlicher Mann mit extremem Bartwuchs.
Doch ich mochte es. Es wirkte wild, und es anzusehen beruhigte mich. Vermutlich würde niemand darin erkennen was ich ausdrücken wollte, doch das war mir einerlei. Ich beschloss es zu behalten.
Und niemand würde es je sehen.
Als ich aufstand, um meine Sachen zusammenzupacken wurde mir etwas bewusst, von dem ich wusste dass es noch wichtig werden würde.
Denn Blut fällt im Fell eines weißen Wolfes ganz besonders auf.