Viel zu lange schien es schon her zu sein, dass sie sich vom wärmenden Kerl fortgemacht und Fell gegen Kleidung getauscht hatte. Langsamer waren ihre Schritte in den letzten Stunden geworden, schleppend und immer wieder hielt sie inne, musste ausschnaufen. Die Müdigkeit drängte sich in ihren Kopf und den gesamten Körper. Dabei war der Schlaf nahezu ruhig gewesen.
In den letzten beiden Gehöften hatte sie Glück. Die Bewohner ließen sich auf den Tausch ein. Zogen dann ein Stück mit ihr, zum Hof der Sippe, um dort weitere Dinge auf den Karren zu laden. Planen und Äxte, Brennholz hatten sie auch aufgeladen. Soviel sie eben entbehren konnten. Auch Honig war dabei gewesen.
Geister... wie gern hätt' ich jetzt Honig. Doch sie verwarf den Gedanken direkt wieder und verzog das Gesicht. Eine kalte, feuchte Nase drückte sich an ihr Bein und nur kurz darauf war eine warme und weiche Zunge zu spüren. Mit müdem Lächeln schaute die Rothaarige zur grauen Wölfin hinunter und legte ihre Finger auf deren Kopf. Treues Goldgelb erwiderte den ernsten und doch etwas traurigen Blick aus tiefem Blau. Schließlich zog sie sich das Leder wieder über Mund und Nase und stapfte weiter den Pfad entlang durch den Schnee. Immer begleitet von der Grauen, die keinen Fuß zu weit von ihrer Seite wich.
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„.... sie brauchen unsere Hilfe. Heimatlos, geschwächt und kra-...“ Weiter kam sie nicht.
„Löw'nstein, eh? Vergiss es, Weib! 's is mir egal, was der verspricht! Wir brauch'n all unser Zeug selber, 's is Winter, falls du nich kuck'n kannst!“
Die Hüttentür knallte, auf die hinaus geblafften Worte, zu und die Norn atmete tief durch. Versuchte den Zorn, die Verzweiflung und die Traurigkeit hinunter zu schlucken... was ihr nicht gelingen wollte. Zu viel war geschehen. Und der Angriff auf die Stadt war vielleicht nur der bittere Höhepunkt dessen. Fest hämmerte sie mit der Faust an das Holz der Tür und brüllte dagegen.
„Du stumpfsinniger Dolyakarsch! Meinst du etwa, die haben sich das ausgesucht?! Bleib nur hocken auf deinem fetten Arsch und kümmer dich um dich selbst! Kannst wohl am Besten!“
Damit wirbelte sie herum und stapfte mit leisem Knurren weiter durch den Schnee. Wut und Trübsinn ließen sie die Hände zu Fäusten ballen, sodass das Leder leicht knarzte.
Immer weiter entfernte sie sich vom Gehöft. Weiter Richtung Süden. Sie wusste, dass bald die Stelle erreicht sein würde, an welcher im Frühjahr der Schnee nachließ. Berge und Gipfel begleiteten ihren Weg, mit dem starken Nordwind, der ihr um die Ohren pfiff als wolle er sie von dieser Gegend des Passes fernhalten. Und trotz, dass ihr die Füße schmerzten und sie sich die Faust in den Bauch presste, um das Stechen weg zu drücken, lief sie weiter gegen den Wind an. Weiter, immer weiter...
Denn im Süden gab es noch drei Gehöfte, die sie mehr oder weniger gut kannte:
Das, der alten Vettel und ihrer Söhne – sie würden sicher helfen. Hildyr war zwar etwas Eigen, aber im Grunde hatte die Alte ein großes Herz.
Dann gab es noch das von Stig, den sie so gut kannte und, so ungern sie es sich selbst eingestand – zutiefst hasste. Ein stummes Gebet schickte sie in den Wind und griff fester um den Bogen in ihrer Hand. Wolf... sorge dafür, dass er nicht da ist.
Und das Letzte. Allein der Gedanke daran jagte ihr einen Schauer über den Rücken, der unangenehmer war, als der schlimmste Schneesturm – wenn man nackt ist. Nicht, wenn es sich vermeiden lässt.
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Lornars Pass, dritter Tag nach Katastrophe:
In den frühen Mittagsstunden kämpfen sich zwei Norn – ein Hüne von einem und ein Kleinerer, fast schmächtiger – mit einem Dolyakkarren den Pfad zur Abtei Durmand hinauf. Vor der Treppe, die nach oben führt, bleiben sie stehen und der Größere neigt den Kopf etwas zur Seite, kratzt sich den Wanst.
„Sach ma, Kern... der Karr'n kommt aba nich die Trepp'n rauf, häh?“
Leise seufzt Kern und streicht sich die Kapuze vom Kopf. Fest klopft er dem Dolyak auf das Nackenfell, raunt dem Tier etwas zu und überwindet dann die letzten Schritte – allein – zu der Treppe. Er geht sie auch bereits hinauf, als er sich nochmals umdreht und zum Großen schaut.
„Was denkst'n, klar kommt Greda da nich rauf. Der Karr'n schon gar nich. Pass auf se auf und ich such uns wen, der ablad'n hilft, neh?“
Der Hüne nickt schwerfällig und legt einen Arm um den Nacken des Dolyaks. Sein Blick folgt nur kurz dem Kleineren, ehe er schon von etwas anderem abgelenkt wird, fast träumerisch und versonnen einer Schneeflocke nachschaut.
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Im Laufe des Tages werden noch zwei weitere Karren in der Abtei eintreffen. Einer davon erst am frühen Abend. Doch eines haben alle Karren gemeinsam:
Die Nornmänner und Frauen, die sie begleiten helfen eifrig, die Vorräte abzuladen und zu verstauen. Vieles ist dabei und wenn die Männer und Frauen gefragt werden, wer sie schickt, so kommt lediglich: „Der Lock'nkopf hat vom Legend'nsänger ausgerichtet un' getauscht.“
Ladungen der Karren, nach Ankunftsreihenfolge:
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1. Nützliches
Brennholz in Scheiten, 2 Äxte, Hammer, Nägel, Zange, Zeltplane und Segeltuch (insgesamt 5), 2 Töpfe Honig.
2. Nahrung und kochen
4 Paar Hartwurst, 3 Räucherfische, 3 Kanten Speck, 3 ordentliche Stücke Fleisch – Dolyak, 2 große Pfannen, 1 Kessel, 1 große Blechschüssel.
3. Nahrung
3 Sack Getreide (Roggen, Hafer, Gerste), 2 Sack Kartoffeln, 1 kleinerer mit Zwiebeln, 1 Kiste mit verschiedenem Gemüse (Sellerie, Karotten, Kohl), 1 Kiste mit Äpfeln. Außerdem ein Kochgestell für einen Kessel und ein Steinmörser.
Weiterhin sind die Karren mit Fellen abgedeckt. Es sind jeweils 4-6 Stück, einige Langhaar, andere Kurzhaar. Sie gehören wohl zum Tausch dazu, denn die Norn nehmen lediglich die Karren samt Dolyaks wieder mit.