„Komm zu mir. Komm her. Komm zu mir. Komm her.“
Eine unablässige Stimme. Sie hört nicht auf. Sie ist leise. Das Bärenjunge glaubt nicht, dass die anderen sie ebenfalls hören können. Aber sie ist da.
Wenn sie an Elementaren vorbeigeht, ist sie etwas lauter. Die Elementare haben Gesichter. Bekannte des Bären. Von früher, aus der Gasse. Leute, die auf die Abholer reingefallen sind.
Sie erkennt Tim und Wendy. Ein jugendliches Pärchen, die einem adrett gekleideten Mann gefolgt waren, der ihnen ein Spanferkel versprach.
Es erkennt John und Robert, gerade so erwachsene Zwillinge, die einer vollbusigen Frau gefolgt waren, die ihnen Bier und Entspannung versprach.
Es erkennt noch einige andere in den Elementaren wieder. Und es weiß, dass dieser Ort falsch ist. Etwas stimmt nicht.
Als es sich zu Feli umdreht, geht neben ihr ein Luftelementar mit deren Gesicht. Panisch wendet es sich zu Heather, und sieht ein entsprechendes Feuerelementar.
Sie flüstern: „Komm zu mir. Komm her.“, und sie hören nicht auf. Das Junge rennt vor, vor seinen Freundinnen weg. Es schnauft, atmet panisch, und als es zum Turm aufsieht, kommt es an ebenjenem an.
Der fliegende Turm mit dem undurchsichtigen Magier heißt den BärenWillkommen.
Es reißt seinen Kopf herum und sieht sich um. Kein Weg führt weg, und seine Freunde – sowie die Elementare, die sie ersetzt haben – sind verschwunden.
Stattdessen öffnet sich die Tür, und die Stimmen setzen wieder ein. Etwas zieht es hinein.
Sein Körper wehrt sich, sein Geist wehrt sich, aber er unterliegt.
Mit langsamen, zögerlichen Schritten, tritt das Junge in den schwebenden Turm des guten Magiers Isgarren ein.
Der adrette Mann steht plötzlich vor ihm. Er lächelt sie freundlich an. Freundlich und falsch.
„Da hätten wir ja noch ein hungriges Maul zu stopfen, nicht wahr?“
Das Junge will „Nein!“ rufen, aber es hört nur ein leises „Ja, ich bin so hungrig.“
Die Gestalt des Mannes verschwindet, sie nimmt die Formen der Vollbusigen an und sagt, mit einer in der Theorie verführerischen Stimme: „Man könnte sicher sagen, dass du einen Bärenhunger hast, nicht wahr?“
Das Junge nickt langsam, weiterhin unfreiwillig.
Die Gestalt vor ihr wandelt sich abermals. Sie wird zur alten Hexe aus dem Sumpf.
Sie schreit:
„DANN VERZEHRE!“
Das Junge sieht an sich hinab, als sein Verstand hinweggefegt und in Ketten gelegt wird.
Flammen.
Annah wachte auf.
Sie schrie nicht, sie hielt die Luft an. Sie war schweißgebadet. Sie war heiß. Und sie blutete. Beide Hände waren zusammengekrallt. Die eine in ihre Matratze, die andere in ihren Vorderarm. Und dieser blutete.
Annah brauchte über eine Minute, bis sie sich weit genug beruhigt hatte, dass sie tief Luft holen konnte, was ihr erstaunlich schwer fiel. Wie ein echter Bär leckte sie ihr Blut weg – die Wunde war nicht sehr tief, ihre Nägel hatten nur die Haut durchbrochen – und schnaufte ein paar mal aus, krächzte beim Luftholen etwas.
Nur ein Traum. Natürlich nur ein Traum. Purer Stuss. Konnte nur ein Traum sein. Ich will nach Hause. Ich will den Traumfänger. Warum sind wir überhaupt noch hier? Die Stadt ist böse. Die Stadt ist falsch. Ich will hier weg. Ich will nach Hause. Ich hasse fremde Betten!
Sie sah sich um. Ihr Handgelenk bildete immer wieder Blut nach, ohne dass es wirklich floss, also hielt sie es an den Mund und nuckelte daran. Sie hatte wieder niemanden geweckt. Gut so. Bären haben keine Alpträume. Bären haben keine Angst. Sie hatte keine Angst.
Robin war hier aufgewachsen. Ihr würde nichts passieren. Isgarren war ein guter Magier. Auch wenn er seine Gründe nicht offenlegte. Nicht alle Dinge geschahen aus einem Grund, und nicht jeder verborgene Grund verhieß schlechte Intentionen.
Bekloppt. Natürlich tun sie das!
Nicht jeder Platz musste Probleme haben. Das hieß nicht, dass die Probleme versteckt wurden. Das hieß nicht, dass jemand Übles tat und plante, und das hieß vor allem nicht, dass alle anderen Opfer wären.
Bekloppt. Sowas wie 'Keine Probleme' gibt’s nicht!
Annah war übel. Und ihr war immernoch heiß. Das Luftholen fiel ihr auch weiterhin nicht leicht. Ihre Kehle war irgendwie zugeschnürt, und sie hatte Halsweh. Brennendes Kratzen im Hals.
Ich bin doch nicht krank geworden? Ich fühl' mich krank!
Sie hielt die unversehrte Hand an die Stirn und glühte, dann stieß sie auf.
Hum. Schmeckt nach Apfel. Ewwh.
Nach ein paar weiteren Versuchen, tief durchzuatmen, hatte sie ihren revoltierenden Magen weit genug beruhigt, um keine Angst mehr vor Erbrechen zu haben. Dabei stellte sie fest, dass auch ihr Kopf langsam zu dröhnen begann.
Ungh... wie Dreck... Augen brennen... mhh...
Sie wühlte im Bett umher, bis sie Mud fand, und drückte diesen an sich. Drückte viel mehr sich an diesen. Sie schloss ihre Augen wieder und lies sich zurück ins Bett sacken.
Noch... mhhnn... ein bisschen schlafen... ausruhen...
In ihrem Zustand wälzte sich Annah noch eine Weile hin und her, bis sie trotz den Atemproblemen und all ihren aktuellen Schmerzen einschlafen konnte.
Annah schlief ein.