Ein junger Mann und eine junge Frau sitzen in einer heruntergekommenen Hütte. Es ist dunkel draußen und es regnet. Auf dem Tisch brennt eine einzelne Kerze, als Lichtquelle, und in der Ecke steht ein Korb aus dem leises, ruhiges Atmen dringt.
Das Paar redet mit unterdrückten, hohlen Stimmen miteinander.
„Was soll ich denn tun? Ich muss den ganzen Tag arbeiten damit wir hier wohnen bleiben können. Wenn du mit den Seraphim nach Harathi ziehst um gegen irgendwelche Pferde zu kämpfen bin ich hier ganz allein mit ihr! Ich kann nicht aufhören zu arbeiten, für eine Amme reicht unser Geld nicht ansatzweise und sonst kann auch niemand für sie sorgen!“
„Andere Mütter schaffen das doch auch, Schatz!“
„Andere Mütter müssen auch nicht zwölf Stunden am Tag arbeiten, weil ihr Mann von seinem Sold Spiel- und Saufschulden abzubezahlen hat! Andere Frauen können sich mehr als eine volle Mahlzeit am Tag leisten! Andere Frauen leben nicht in Lumpen!“
„Kscchht, nicht so laut. Anna schläft! … Und so schlimm ist es wirklich nicht.“
Das stimmte nicht. Das Bärenjunge lag wach in seinem Korb. Es verstand nicht, wovon die seltsamen Menschen redeten. Aber es war traurig und ängstlich. Ganz untypisch für einen Bären.
Und es war so schlimm.
„Ich bin trotzdem dagegen.“
„Das nützt dir nichts! Du bist morgen weg und ich muss hier allein klarkommen. Allein mit der Arbeit, allein mit Anna!“
Der Mann seufzte langgezogen: „Na gut. Aber wir holen sie wieder, sobald ich aus Harathi komme, ja?“
„Natürlich! Ich liebe sie doch auch. Es geht nur einfach nicht!“
Der Mann nickte ruhig, langsam. Er war offensichtlich anderer Meinung, aber er war überstimmt.
Sie legten sich ihre Mäntel an – der Plan war wohl schon häufiger besprochen worden – und machten sich bereit. Physisch und Emotional.
Kapuzen wurden aufgezogen, der Korb aufgesammelt und das Bärenjunge darin zugedeckt.
Sie löschen die Kerze und verlassen die Hütte, treiben flinken Schrittes durch die Straßen und den Regen und flüstern unterdrückt miteinander.
Nach einer Weile ertönt ein lauteres
„Das ist doch bekloppt!“
Annah wachte auf.
So weit zurück hatte ihr Traum noch nie gereicht, auch wenn sie ihn schon oft geträumt hatte. Das musste wohl irgendwas mit dem Gespräch mit Heather über deren Vergangenheit zu tun haben.
Annah sah es nicht als Alptraum an. Aber es war wohl der unangenehmste Nicht-Alptraum, den sie bisher hatte.
Immerhin. Mama und Papa wollten mich nicht „nicht“.
Kein ausreichend tröstlicher Gedanke. Annah war unglücklich. Annah war selten unglücklich. Sie war praktisch kontinuierlich mürrisch und abweisend. Aber sie war selten unglücklich. Sie war auch selten glücklich. Ihre Gefühle schlugen einfach nicht so stark in irgendeine Richtung aus.
Entsprechend wusste sie nicht gut, damit umzugehen.
Sie nahm Mud und Sand in ihre Arme – die beide auf der selben Seite schliefen, sie hatten sich wohl endlich vertragen – und drückte sie, während sie das erste mal, soweit sie sich zurückerinnern konnte, Tränen über ihre Wangen laufen spürte.
Sie haben mir versprochen, dass sie mich wiederholen! Sie wollten mich wiederholen!
Heather hatte ihr berichtet, was ihre Mutter „aus Liebe“ getan hatte. Heathers Mutter war bekloppt gewesen. Absolut bekloppt. Annah war beinahe wütend auf sie. So bekloppt.
Ihre Eltern waren da wohl vernünftiger. Nicht viel, aber immerhin war bei ihren Plänen wohl niemand um's Leben gekommen. Außer vielleicht ihrer Eltern. Immerhin hatten sie sie nie wiedergeholt.
Annah blieb einen Moment ruhig, um in Felis und Heathers Zimmer zu hören. Sie schliefen wohl.
Das war gut. Dann sahen sie nicht, wie Annah sich fühlte. Oder dass sie weinte. Bären weinten nicht.
Außerdem wusste sie seit gestern eh nicht wirklich, wie sie mit Heather umzugehen hatte. Heather hatte sie enttäuscht. Und das gleich in vielerlei Hinsicht. Sie hatte ihr Vertrauen mit diesem dummen Streich gebrochen. Sie hatte ihr Sorgen bereitet – und Annah mochte es nicht, sich zu sorgen. Das hatte Implikationen, die Annah weder bereit war, zuzugeben, noch zu fühlen. Sie hatte ihr Schuldgefühle verschafft – mal wieder – was ähnliche Probleme mit sich brachte, wie die Sorgen. Und das alles, weil sie es witzig fand.
Andererseits hatte Heathers späteres Geständnis ihr gezeigt, dass Heather, ganz entgegen ihrer ersten Beobachtungen, doch auch bekloppt war. Und dass sie gerade einige Probleme hatte, mit denen sie allein vielleicht nicht gut fertig wurde. Es waren bekloppte Probleme. Aber es waren Probleme. Und Annah war ihr da nicht unähnlich. Nur, dass sie sich natürlich nie diese Probleme gemacht hatte. Annah war nicht bekloppt.
Heather brauchte also jemanden, der ihr half. Feli brauchte sowieso immer jemanden, der ihr dabei half, anderen helfen zu können. Also blieb Annah praktisch gar nichts anderes übrig, als sich um dieses bekloppte Pärchen zu kümmern.
Wenn die nur nicht soviel Ewwh Kram treiben oder erzählen würden...