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„RAUS MIT DIR!“ Das waren die letzten Worte von Chester, die an ihn gerichtet waren. Der vermeintliche Rausschmiss aus der Wohnung der alternden Ärztin kam ihm nur gelegen, denn so war die schnelle Abreise noch in der darauffolgenden Nacht mit dem neuen Priester als Begleitung gewährleistet. Ein weiterer Zaishen war mit aus Löwenstein gekommen, um ihn abzuholen und durfte auf dem Rückweg als Pack-Dolyak herhalten. Zwei volle Rucksäcke und ein weiterer Seebeutel, dann war das angestrebte Portal bereits erreicht und bevor er es hoffen konnte standen sie im Fort Marriner. Es hatte sich viel zum schlechten geändert, aber die Unterkünfte waren noch immer dort wo sie auch vor Jahren waren. Zum Leid aller Anwesenden die sich noch an die damaligen Zeiten erinnern konnten, folgte nach der Ankunft eine Einquartierung des Ausbilders. Es waren nicht einmal zwei Tage im altbekannten Bereich. Wenige Stunden nachdem man angekommen war wurde man bereits von drei Rekruten aufgesucht, allesamt Soldaten des Priesters. Marktur hieß er. Ein weiterer Diener Balthasars und in seiner Denkweise auf einer Höhe mit Thrymaer, was ebendiesen dazu veranlasste mit ihm zu sympathisieren. Irgendetwas gefiel ihm sehr an ihm, aber er konnte es nicht benennen. Die vermeintlichen Anwärter sollten sich als fähige Kämpfer erweisen und gerade die einzige Frau darunter, ein Spross des Klerikers, war unangenehm ehrgeizig.
Man hatte den Standort und die Unterkunft gewechselt, da der Krüppel jene im Fort als unzureichend empfand. Die Insekten sirrten bereits in seinem Quartier herum, bevor die Sonne überhaupt aufgegangen war und nervten sein Unterbewusstsein. Seitlich lag er auf der Matratze und hielt die Arme überkreuzt vor der Brust verschränkt, der Rücken dabei an der Wand angelehnt. Nach dem ersten Tag und damit auch der ersten Übungseinheit in der Blutstrom-Küste war er es leid sich großartig über irgendwelche Veränderungen Gedanken zu machen, was sein eigenes Äußeres beinhaltete. Das lange Haar wurde zu einem schlicht geflochtenen Zopf und statt sich komplett zum Schlaf umzuziehen blieben Unterhemd sowie Leinenhose einfach an, mieften am Abend bereits vor sich hin und hielten zumindest einige der fliegenden Quälgeister von ihm fern. Die meisten. Noch zwei Stunden vor dem morgendlichen Appell klopfte es barsch an seiner Tür an, was ihn dazu verleitete aus dem Augenwinkel rüber zum geschlossenen Holz zu sehen. In der ihm gegenüberliegenden Wand war ein Fenster, an seinem Kopfende stand ein alter Tisch und davor ein Stuhl der aussah wie bereits lebendig, so sehr war er von moosigem Grün bewachsen. Der Durchgang selbst stand dort alleine und mittig in der Fassade. Erneut ein Klopfen. Genervt raunte er auf und drückte sich in eine sitzende Position hoch. „Was?“, brüllte er gereizt und ließ die Person hinter dem Holz leise schnauben. Sie schon wieder. „Könnten wir das Training ein paar Stunden vorziehen?“ Ihre Stimme erklang klar und erwartungsvoll, jedoch kam ein drängender Unterton nach. Seine Braue zuckte unstet herum bei der Nachfrage und er spürte die schlechte Laune in sich erwachen, obwohl der Körper noch immer im Dämmerzustand ruhte. „Weshalb?“, feixte er dann zurück. „Damit wir einige Stunden früher wieder aufhören können?“ Der Spott darin war nicht zu überhören und brachte die Rekrutin dazu vergnügt aufzulachen. „Nein, bestimmt nicht. Aber so können wir länger üben!“ Er hasste sie so sehr.
Fünf Stunden Lauf in voller Montur später unter der prassen Sonne und sie gab immer noch nicht auf, schrie ihre beiden männlichen Kameraden sogar an und rannte ihnen vorne weg. Die Sandbank war ein kleiner Bereich am Fuße eines Hanges, den sie immer wieder erklommen und oben einen Stein umrundeten, bevor es den steilen Teil wieder hinab ging ins salzige Wasser. Mehrere Meter weiter drinnen stand ihnen das Wasser auf Hüfthöhe und in einem unebenen Feld war ein zweiter Stein. Es war eine triste Aufgabe und diente nur der dumpfen Förderung der Ausdauer aller. Danach folgte der Schwertkampf in ungerader Runde, jeder gegen jeden und mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Waffen sowie einem weiteren Sortiment, das im heißen Sand vergraben war. Keine Distanzwaffen waren darunter, wobei Wurfklingen eine Ausnahme waren und nach zwei Stunden des direkten Gefechtes unter dem wachsamen Blick des Ausbilders, welcher auf einer Anhöhe stand, war es der Tochter des Priesters zu viel. Sie war keineswegs so bullig wie die anderen beiden, doch stark und ausdauernd, nicht geneigt ihren Kampfgeist aufzugeben. Sie kreuzte die Klingen mit denen ihrer Kollegen und konnte sie selbst dann auf Abstand halten, wenn sie sich entschlossen zu zweit auf sie loszugehen. „Herr!“, rief sie zum alten Zaishen hinauf ohne ihn anzusehen und hatte damit seine ungeteilte Aufmerksamkeit. „Hm?“ „Ich fordere Euch zu einem Kampf heraus!“ Er nahm die Herausforderung ohne zu zögern an.
Und es war ein Fehler. Die ersten Momente tänzelte sie regelrecht leichtfüßig um ihn herum und machte ihn darin lächerlich sich nicht so agil bewegen zu können, wie sie es tat. Ihr linkes Auge funkelte ihn provokant an und das rechte wurde immer wieder von einer braunen Strähne ihres beinahe kurzen Haares überdeckt. Kein Lächeln ruhte auf ihren Lippen, nur der Ehrgeiz brannte in ihrem Blick. Sie sah ihrem Vater sehr ähnlich. Irgendwann gingen sie beide in den Kampf über der knapp zwanzig Minuten voller Schwerthiebe und Wächtermagie werden sollte. Letzten Endes war es ein Sieg für den Krüppel, denn an seine Erfahrung im Kampf kam sie schlicht nicht heran. Fehler gab es auf beiden Seiten kaum, jeder Streich fand irgendwie sein Ziel und Blockaden durch eine gedrehte Schneide gab es ebenso genügend, hielt sie jedoch beiderseits in keinster Weise davon ab den jeweiligen Kontrahenten bluten zu lassen. Danach musste die weitere Trainingseinheit unterbrochen werden, denn der Priester war noch nicht zurück gekommen von seinem Besuch in Götterfels. Der zweite Tag, ging es ihm durch den Kopf. Der zweite Tag und diese Göre bietet mir ernsthaft immer noch die Stirn. Die Zeit verflog unregelmäßig vor seinem geistigen Auge. Schon wieder klopfte es an der Tür. Er lag nutzlos auf seiner Matratze und hatte eigentlich vor den schlicht versorgten Schnittwunden ihre Zeit zu geben, seufzte bei der neueren Störung auf. „Was?“ „Ein Brief aus Götterfels, Herr.“ Einer der Kerle war es nun. „Ja.“, bratzte der Krüppel und drückte sich ungelenk auf die Beine hinauf, nur um ungestützt und steifen Schrittes zur Tür zu laufen. Der um den Torso und die Arme gewickelte Mull kratzte, während die Gehhilfe am Tisch anlehnte und damit begann den ersten Staub anzusetzen. Die Klinke wurde in die Hand genommen und runter gedrückt, das Holz schließlich geöffnet. Blaue Augen sahen ihm entgegen aus einem markant geprägten Gesicht. Ein Mann von knapp zwanzig Jahren, der einen halben Kopf größer war als sein Ausbilder und ebendiesem verdutzt entgegen blinzelte. Gerüstet war er zwar nicht mehr, doch trug er immerhin noch einen dunklen Gambeson und auch ein Einhänder war am Gürtel in Leder gesetzt. „Ist-?“ „Her mit dem Teil.“ „Ja.“ Der Schrieb wurde überreicht und Thrymaer schnarrte bei der Sicht des roten Siegels, das er zu schnell erkannte. „Kann ich noch-?“ „Weggetreten.“ Ohne weitere Nachfrage wandte sich der Rekrut ab und der alte Zaishen schloss die Tür.
„Ehre dem Kriegsgott...“ Er überflog die Zeilen nur. „.. heutige Abendstunde.. Besprechung in Vorbereitung.. Maguuma-Dschungel..“ Das alte Ekel konnte sich selbst raunen hören, bevor der Mann blinzelnd inne hielt. „P.S.: Bruder Marktur liegt im Vorhut-Hospital..“ Was? Ungläubig zog er die Braue hoch und las ordentlich weiter. „.. aufgrund der Strapazen unseres Zweikampfes. Ich übermittle Euch dies aus eigenem Antrieb, er fragte nicht danach..“ Nun musste er doch auflachen, laut und höhnisch. „Das glaubst du doch selbst nicht, Junge.. weder das eine, noch das andere.“ Grinsend las er dann den Rest weiter. „Voraussichtlich ist er binnen weniger Tage zurück in Löwenstein.“ Kopfschüttelnd setzte er den Schrieb in den Umschlag zurück und legte diesen auf den Tisch, rieb sich grummelnd über den verbliebenen Teil seines Gesichts. „Also zurück in die Stadt..“ Eine dumpfe Realisation machte sich in ihm breit, was ihn dazu veranlasste die Hand zu senken und noch einmal zum Brief zu sehen. Dieser Priester ist nicht dumm, in keinster Weise. Die linke Hand griff das Schreiben und der Körper wandte sich zur Tür herum, zu der er rüber lief. „Marktur!“, brüllte er dann das Holz an, hinter welchem sich bereits schnelle metallene Schritte näherten. „Herr?“, fragte sie auch schon nach. „Übernimm die Aufsicht hier, ich bin für den restlichen Tag nicht anwesend..“ „Wie kommt es?“ Ihre Stimme klang überrumpelt und sie sah ihm ehrlich erschrocken entgegen, als er die Tür öffnete und ihr die Nachricht einfach ins Gesicht warf, bevor er die Tür wieder in den Rahmen riss. Priester, ich zähle nun auf Euren Intellekt.