Das Wirtshaus 'Weinkeller Barradin' hatte seinen Ursprung als traditionelle Spelunke für ascalonische Immigranten, doch über die Jahrzehnte hatte der kulturelle Schmelztiegel Krytas auch hier seine Spuren hinterlassen. In diesem Fall zum vermeintlich Negativen, wenn man dem Zeitgeist der tyrianischen Moderne folgte.
Mit den Jahren hatten sich hier besonders zwei Dinge festgesetzt, die die Ascalonier mitgebracht hatten – Nationalstolz und kultivierte Fremdenfeindlichkeit. Die kleine Taverne im Untergeschoss eines baufälligen Handelshauses in Rurikstadt war bekannt für ihre konservativen Stammtische und gelegentlichen Schlägereien; Alles im Rahmen des rechten Anstandes.
Gewissermaßen war die kulturelle Vielfalt so dennoch gewährleistet – Charrhasser trafen auf elonische Traditionalisten, die der Touristen im Ossa-Viertel überdrüssig waren, oder auf Handwerker, deren Gewerbe nach und nach durch asurischen Magitech überholt wurde.
Hier trafen die Männer und Frauen zusammen, die an ihren Wurzeln hingen und sich auslassen mochten über die Einflüsse, die von diesen fort steuerten. Leute, die in ihrer Ordnungstreue fern davon waren, Separatisten zu werden, aber aufgebracht genug, um ihre Meinungen kund zu tun.
Der Priester musste sich selbst eingestehen, Orte wie den diesen immer gemieden zu haben. Nicht nur weil er Tavernen selten lange ertrug. Es war ihm nie richtig erschienen, seine Vision mit kleingeistlichen Beschwerden in Verbindung zu bringen.
Inzwischen aber war ihm klar geworden, dass diese Menschen, diese 'meckernden Rassisten', wie sie schmälernd geschimpft wurden, die Zukunft für seine Lehren waren. Sie konnten leisten, was andere nicht sahen. Sie waren im Stande, den Verfall zu erfassen, den Rückschritt den die Menschheit von Zugeständnis zu Zugeständnis machte, das den Einflüssen der fremden Völker eingeräumt wurde.
Die Dielen des Eingangsbereiches knarrten unter den schweren Stapfern seiner Panzerstiefel und dem Stocktocken des Hammerstiels, als er die Treppe herab gestiegen und eingetreten war. Der schummrig beleuchtete Schankraum war weder groß noch in allzu gutem Zustand, dafür aber gut besucht und erbaulich geziert.
Getreu dem Namen des Etablissements war eine alte Flasche Amethyst-Wein das hiesige Maskottchen, noch fest verkorkt und mit fast dreihundert Jahre alter, vergilbter Orginalaufschrift aus der Grünhügel-Grafschaft. Beinahe wie ein Relikt war die Flasche hinter Tresen und Wirt über dem Spirituosen-Regal aufgebahrt.
Ascalonische Langschwerter kreuzten sich patriotisch an der Wand, an einer anderen Stelle auch das stilisierte Gemälde eines heroischen Soldaten im Gefecht mit einem monströs dargestellten Charr. Aber die ascalonischen Wurzeln der überschaubaren Taverne waren nicht alles. Auch einen elonischen Teppich oder krytanischen Blumenkasten sah man hier und da.
Dronon erkannte viele der Gäste wieder. Rutger den Schreiner etwa, einen hoffnungslosen Trinker und Schwarzseher, der schon das eine oder andere Mal um Balthasars zornige Rache gebetet hatte, seit seine Werkstatt hatte dicht machen müssen.
Und tatsächlich saßen, etwas abseits an einem kleinen runden Tisch, sogar einige noch uniformierte Seraphen der Kompanie Silberschwinge bei Bier und Würfelspiel beisammen. Auf Anhieb konnte er Levinson und den griesgrämigen Braga ausmachen, der derzeit wegen seiner Knieverletzung keinen Dienst tat, aber auch die vernarbte Visage von Feldwebel Hadrick, der sich in jenem Moment recht dicht zu Korporal Derfflinger hinüber lehnte, um der ansehnlichen Soldatin irgendetwas ins Ohr zu raunen.
Ein strammer Ministerialwächter war auch vor Ort, wenn er ihn auch namentlich nicht kannte – wie zu erwarten weit weg von den Soldaten der Krone in einer Ecke am Tresen. Der Mann trank und beobachtete die Menschen.
Hier wurde gezecht und sich unterhalten, an manchen Stellen gegrölt, gelacht und Bier verschüttet. Nicht alle bekannten Gesichter merkten auf, aber es blinzelten doch einige Augenpaare überrascht, als der bullige Kriegshetzer in seiner prächtigen Plattenpanzerung durch den Raum hammer-krückte, um das hölzern aufächzende Musikerpodium zu betreten, das heute als seine Empore herhalten musste.
Eingangs skeptisch ließ der kahlköpfige Wirt vom Polieren eines Kruges ab, um prüfend hinüber zu blicken, als der riesige Balthasar-Priester den Stiel seines Streithammers dreimal in Folge laut auf den hölzernen Untergrund knallte, um Aufmerksamkeit zu beziehen.
"Ihr Menschen!", dröhnte der Kriegerpriester in den Raum, den Blick des Wirtes weder erwidernd noch potenzielle Verdächte schürend, er könnte mit seinem martialischen Auftreten das Inventar demolieren. Er hatte keinen Zweifel an seinem Vorhaben vor Ort, ließ die erdrückende Kraft seiner Stimme ohne Rücksicht über die Geräuschkulisse der Wirtschaft hinweg schmettern. Erste Leute merkten auf, manche neugierig, andere missmutig, wieder andere ärgerlich über die scheinbare Störung aus dem Nirgendwo.
Unbeirrt fuhr er fort. "Ihr Abkömmlinge Krytas und Ascalons, Canthas und Elonas." Während der Priester in halbgar cäsarischer Gestik die gerüstete Rechte erhob, ließen die Stimmen und aneinander knallenden Bierhumpen von Sekunde zu Sekunde nach. Gegröle wurde zu Getuschel, Zecher wendeten sich mit knarrenden Stuhllehnen für einen Schulterblick um.
Nach und nach verfielen die Gäste in Schweigen, als sie den grimmig-determinierten Blick der kolossalen Gestalt schweifen sahen. Als der Wirt seinen geputzten Bierhumpen abstellte ohne zu intervenieren, und auch der letzte Trunkenbold begriffen zu haben schien, dass da eine Ansprache in den Startlöchern stand, nutzte Dronon den zur Ruhe gekommenen Moment, um richtig zu beginnen.
"Die Zeit der Erkenntnis ist auf flammendem Vormarsch. Die Zeit, in der wir uns der Missstände gewahr werden müssen, welche die Wiege unserer Rasse befallen."
Die gerüstete Pranke wieder sinken lassend, schweifte sein Blick umher. Er erfasste gemischte Reaktionen, zumeist neutral, andernorts aber auch ermüdet und irritiert, wie es mit diesem Quereinstieg zu erwarten gewesen war. Er ließ nicht zu, dass das Wurzeln trieb. Ein harscher, konfrontativer Schwenk der Rechten, und er bezog den Fokus der Leute erneut.
"Es hat rechtschaffen begonnen mit den Portalen der Asura, die uns eine große Hilfe sind. Es ging weiter mit der Waffentechnik der Charr, aus der auch wir Lektionen bezogen haben. Ja, so kann man nicht verleugnen, dass wir Nutzen beziehen, Nutzen sowohl aus der Observierung alter Feinde als auch der Methoden neuer Verbündeter. Wir kämpfen Seite an Seite, respektieren einander, wo die Stunde danach ruft.
Nun aber wollen zu viele Vertreter und Kuschler der fremden Völker sich einnisten, uns ihre Weisen aufdrängen. Unsere Kultur ist auf dem Rückzug, Kameraden, und die Politik lässt es sehenden Auges zu! Und wir, auch wir lassen es zu, wir lassen zu, dass das Eroberungswerk Balthasars mit Füßen getreten wird, und zwar mit jedem nicht-Menschen, der auf unseren Straßen ungestraft drohen darf, spotten darf, seine eigenen Maßstäbe auf uns projizieren darf.. mit jedem von ihnen, der keinen RESPEKT mehr hat vor unserem glorreichen Erbgut!"
Der Priester liebte das Predigen. Dem war nicht immer so gewesen – es hatte die Zeit gegeben, da er den schlichten Kampfruf und das Schwingen der Waffe allein in seinem Herzen fand. Doch die Stadt und ihre Umtriebe hatten ihn gewandelt, seinen Zorn auf Weisen geweckt, die er früher den Schwätzern seines Akolythenjahrgangs nachgesagt hätte.
Er spürte die Hitze, den Ärger, und er sah dem Wandel in den Gesichtern vieler der hiesigen Stammgäste an, dass er sie anzustecken vermochte. Sie hatten begriffen, wovon er sprach. Begriffen, weshalb er hierher gekommen war.
Hier und da wurde ein halbgar beipflichtendes Murmeln laut, doch es war zum Sterben verurteilt, als er lautstark weiter sprach:
"In Zeiten, wo uns im Herzen der Heimat Frieden vorgegaukelt wird, waren wir schon immer in der Unterzahl. Wir, die das Wort erheben. Gegen vermeintliche Neuerungen. Gegen diese.. diese BESENKAMMERPOLITIK, die all das außer Sicht räumt, was uns einst stolz und mächtig gemacht hat. Aber in der bitteren Erkenntnis dieser Unterzahl liegt der Schlüssel zu furioser Stärke, zu Überzahl in den Stunden, da man uns brauchen wird, um zu verteidigen. Um anzugreifen oder unseren braven Beitrag zu Zucht und Ordnung zu leisten.
Es muss Schluss sein, ihr guten Leute, Schluss, endgültig Schluss mit jener Invasion, die die weiße Fahne der Gastfreundlichkeit als Deckmantel missbraucht! Willkommen sind jene, die in Anerkennung und Zurückhaltung kommen, nicht jene, die uns frech zu formen trachten. Wir haben unsere Götter. Unsere sechs wahren Götter. Sie haben uns alle Weisheiten gegeben, die wir brauchen, um zu bestehen."
Er konnte es fühlen, das Blut das ihm zu Kopfe stieg, seine Adern und Muskeln zum Pochen brachte. Er ließ sich freien Lauf, ließ seine Stimme immer weiter anschwellen, während er mit verzerrtem Gesicht auf dem Podium auf und ab hinkte.
Das leise Knacken einer nachgebenden Diele unter dem rechten Panzerstiefel ließ ihn nicht innehalten, und ebenso wenig den steigenden Aggressionspegel der beisammen hockenden Bürger, auch wenn der Blick des Wirtes protektiv zu der Stelle herab schoss. Füße wurden unter den Tischen aufgestampft, Raunen kam auf. Gesichter voller entfachter Wut. Der einzige Mann, dem die Worte übers Politische leicht gegen den Strich zu gehen schienen, war der Ministeriale.
Am Rande der Szenerie hob Vectus Hadrick, einer der stilleren Anwesenden, gleichzeitig einen Mundwinkel und sein Bier, um dem Prediger diskret zuzuprosten.
"Wir wollen keine Heiden und profanen Sektierer in unserer Mitte, keine Gottlosen, die sich Mensch nennen. Aber schaut Euch nur um, die Zahl solcher Sünder wächst mit jeder Woche! Mit jeder Woche, in der wir daneben stehen und ZUSEHEN, wie diese fehlgeleitete Form der Weltoffenheit unser Vermächtnis den Bach herunter gehen lässt.
Der Gott des Krieges hat uns als Eroberer berufen! Und wir sind doch, wahrlich, Söhne und Töchter Balthasars. Ihr alle hier, die Ihr hier beisammen sitzt, um krytanisches Bier und ascalonischen Wein zu trinken."
Sie tobten und brüllten, klatschten hier und da besoffenen Beifall, schwenkten ihre Humpen und Flaschen. Levinson grinste breit, lauter braunen Kautabak zwischen den Zähnen, und stand etwas plump auf, um seine rechte Faust salutierend auf die Brust zu schlagen - während Graubart Braga die seine immer wieder auf die Tischplatte herab fahren ließ und aufgebrachte Parolen röhrte. Rutger der Schreiner schrie seinen Sitznachbarn etwas von der Rache des Kriegsgottes entgegen. Sogar der Ministerialwächter grölte mit.
Und Dronon wusste, dass er die nötige Saat gesät hatte. Triumphal reckte er dem Schankraum die Plattenfaust entgegen.
"Möge Balthasars Zorn das Beste in Euch hervor holen!"
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