Der Schmerz war beträchtlich. Nie zuvor war ihm etwas Vergleichbares untergekommen. Swift und Celanry hatten den zerfetzten Ärmel des Gambeson weggeschnitten und damit die Bisswunde abgebunden, aber die wuchernde Fäulnis hatte sich zu rasch ausgebreitet. Die Schmerzmittel aus der Notfalltasche halfen gerade genug, dass er nicht schreien musste.
Er schwitzte aus allen Poren, fühlte sich als würde Orr ihm jeden Tropfen Flüssigkeit aus dem Körper saugen.. er wollte keine Kleidung mehr am Leib haben und doch der verseuchten Atemluft dieses toten Landes nicht noch mehr ausgesetzt sein.
Seine Kehle war trocken, er konnte kaum sprechen, und seine Finger zitterten, wann immer er sich besser aufzurichten versuchte. Der Söldner verfluchte die Auferstandenen und dieses Land, verfluchte den verdammten Priester, diese Mission und die aufgedunsene Kröte von Gierschlund, die sein eigener Arbeitgeber war. Erst die Piraten, und jetzt das hier.
Für diese Scheiße hab' ich den Job nicht angenommen., dachte sich Clyde, während er dem Tengu, der einige Schritte weiter im Schutt wühlte, bei der Arbeit zusah. Die Stellen, die Dronon beschrieben hatte, hatten Nichts hergegeben. Den ganzen verdammten Ort hatten sie zu dritt durchkämmt, von früh bis spät, unter der ständigen Geräuschkulisse entfernt donnernder Pakt-Kanonen.. und mit ungebetenem Besuch.
Er blinzelte die Trübheit aus seinen verklebten Augen, schielte auf den schlaff hängenden rechten Arm herab. Seit der letzten Stunde hatte die schwarze Fäulnis des nekrotischen Geschwürs sich bis zum Handgelenk herab gefressen. Wenn man genau hinsah, konnte man schleichende Bewegung erkennen.
Ich sterbe., wurde ihm klar. Er hatte Angst, panische Angst. Würde er sein Mädchen in Apfeleck jemals wiedersehen? Ihr Götter, ich sterbe.
"Swift.. gib.. gib's auf.. wir hab'n uns v-verzettelt. Die.. Abtei Durmand war lange.. v-vor uns hier." Er hörte sich selbst krächzen, als sei er der Vogel von ihnen beiden. Seine eigene Stimme klang so entfernt, so hohl, so fremd.
Der blau gefiederte Tengu ließ den aktuellen Geröllbrocken fallen, fuhr herum und blitzte ihm aus wütenden Augen entgegen. "Verdammt, das weiß ich auch. Wir warten, bis Celanry von der anderen Seite zurück ist, und dann hauen wir ab. Hätten nie herkommen sollen."
"Ich.. Ich werd's nich' schaffen, Swift.."
"Könnt ihr Menschen denn Nichts als jammern?", erboste sich Krummschnabel, während er den gefiederten Arm hob und mit einer Klaue auf seinen Kameraden deutete. "Wir verschwinden bald von hier. Kann sein dass wir deinen Arm amputieren müssen, aber das schaffst du schon. Dann verfolgen wir den Plan weiter. Oxuatl hat Kontakte zur Abtei. Wir können den Amboss sicher rausschlagen."
"Ich fürchte, das kann ich Euch nicht tun lassen." Diese Stimme war seltsam blechern. Neu in der Runde, und doch bekannt. Clyde hätte sich erschrocken, wenn er tief im Inneren nicht gewusst hätte, dass das für ihn selbst jetzt auch keinen Unterschied mehr machte. Er ließ den Kopf nach links sacken, um die bullige Gestalt in rotem, mit den Sekreten bezwungener Untoter besprenkeltem Plattenstahl ins Auge zu fassen. Der ständige Kanonendonner musste verhindert haben, dass sie die gerüsteten Schritte eher hören konnten.
Da war etwas Tropfendes, das der Priester Balthasars in der Hand trug. Goldene Flüssigkeit breitete sich schwach auf dem Steinboden aus, eh der Panzerhandschuh jene grün-braunen Blätter freigab und den gewaltsam abgetrennten Kopf über den Untergrund kullern ließ.
Swift sprang auf, furchtlos wie immer, den Bogen bereits zur Hand. "Ihr habt sie… verdammter Mörder! Ihr wollt wirklich der nächste Kriegsminister Wona werden, nicht?"
Dronon schien unberührt, blickte dem Tengu in ausgesprochener Stoik entgegen. Sein Gesicht war nicht zu sehen, denn ein gehörnter Helm mit Vollvisier verhüllte auch den letzten Flecken Haut. "Ihr habt mich verraten."
"Wir haben lediglich die Arbeit fortgesetzt, von der IHR Euch habt ablenken lassen!"
"..hrrn.", machte der Priester Balthasars, und Clyde konnte etwas in der tiefen Stimme vernehmen, das sich bislang nie gezeigt hatte – Amüsement. Blutrünstiges, grimmiges Amüsement. Das dumpfe Grollen rumorte noch ein paarmal auf und ab, in der freudlosen Pervertierung eines Lachens. Dann war es schlagartig wieder fort, und Nichts als kräftiger Atem blecherte durchs Visier. "Haltet mich nicht zum Narren, Mauerkriecher. Ich wusste schon, was in Mister Clydes Journal steht, bevor wir Fuß nach Orr gesetzt haben. Euer Geldgeber will meine 'magische Rüstung'. Wie bedauerlich."
Mein Tagebuch., schoss es dem Söldner durch den Kopf, und er konnte seine Verwirrung nicht verbergen. Woher..
Einmal mehr versuchte er sich aufzurichten, nur um an den beißenden Schmerzschüben zu scheitern, die der rechte Arm durch seinen Körper jagte. Japsend sackte er in sich zusammen, versuchte die Augen auf dem Geschehen zu halten.
"Wie beim Himmel über den Himmeln wollt Ihr das beweisen?", fauchte Krummschnabel, der den Priester hasserfüllt im Fokus behielt.
Dronon stand breitbeinig da, seinen Streithammer in der Rechten. Der Fokus des Priesters verriet, dass er auf diesen Augenblick gewartet hatte. "Indem ich das Journal mit mir nehme. Aus den toten, kalten Händen einer Bande von Halunken. Der Amboss wird der Kirche gehören!" Mit diesen Worten langte die gerüstete Linke des Riesen zum Holster an seiner Hüfte herab. Es war das erste Mal, dass Clyde ihn von dieser Pistole Gebrauch machen sah, und seine Augen ruhten einen Moment lang auf dem zähnefletschenden Hundemaul, als das der Lauf der Waffe geschmiedet war.
Der sterbende Mann konnte nicht sagen, ob es die theatralischen Worte waren oder unterlegene Reflexe, aber der Kleriker Balthasars konnte nicht mithalten mit der Geschwindigkeit von Swift Krummschnabel.
In der Zeit, die Dronon brauchte um seine klobige Schusswaffe auszurichten – zügig wie er auch blankzog – hatte der Tengu bereits in übermenschlicher Geschwindigkeit angenockt und gespannt. Die Sehne schnappte, ein Pfeil mit sichelförmiger Spitze sirrte durch die Luft, und der gepanzerte Arm des Roten ruckte ohne Pistole zur Seite.
Schlitternd flog die Handfeuerwaffe hinter dem Priester zu Boden – der nächste Pfeil, den Swift noch währenddessen an die Sehne seines Kompositbogens führte, war mit einer panzerbrechenden Bodkin-Spitze ausgestattet.
Für einen winzigen Moment hatte Clyde die Hoffnung, dass der Tengu Recht behalten würde. Er würde vielleicht seinen Arm verlieren, aber.. er konnte leben. Er WOLLTE leben. Doch auch der nächste geschwächte Versuch, sich aufzurichten, war zum Scheitern verurteilt.
Das letzte was der braungebrannte Löwensteiner sah, bevor er flach auf den Rücken sank, war Dronon, wie er Krummschnabel mit Gebrüll über den Haufen lief. Der Tengu ragte höher auf als jeder Mensch, aber seine schlanke Statur konnte der Wucht eines gepanzerten Mannes nicht standhalten. Der bereits gespannte Bogen wurde zur Seite gerissen, der Pfeil löste sich, trudelnd ins Leere fliegend, während die beiden zusammen zu Boden gingen.
Metall schepperte, Federn raschelten, wilde Schläge und wortloses Geschrei tobten wüst durcheinander. Er konnte Nichts sehen. Hilflos und sterbend wie er dalag, spürte der gestandene Söldner, wie seine Eingeweide sich verselbstständigten und er sich bepissen musste. Das Notwasser floss noch, als die chaotischen Geräusche mit einem scharfen Knacken erstarben.
Dann.. stahlknirschende Schritte. Clyde fürchtete nicht den Mann, von dem er wusste, dass er kam. Doch er fürchtete sich. Es ging zu Ende mit ihm. Aus dem Schatten des Sichtschlitzes starrte der Balthasarpriester auf ihn herab, als er schließlich über ihm stand. Ein gesichtsloser Richter aus Stahl. Blut troff vom rechten Panzerhandschuh, doch er hielt den Hammer unbenutzt in beiden Pranken.
"Ihr seid von einem Verweser gebissen worden.", stellte Dronon fest.
"Aye.", brachte Clyde mit gebrochener Stimme hervor. Er wollte nicht sterben. Oh Götter, er wollte nicht sterben. "Bitte. Habt.. habt Gnade."
"Ich bringe Euch die Gnade Balthasars.", erklang es durch die Helmfront, während der Priester des Krieges seine Waffe empor hob – Falkenschnabel voran. "Möge Grenth über Euch richten."
Der Hammer fiel, und die Reisegemeinschaft fand ihr Ende.