Auf flammendem Vormarsch - Kapitel V.: Gramvolle Meerenge

Während die 'Kreischender Albatros' im ersten Licht der Morgensonne mit gesetzten Segeln aus dem Sanctum-Hafen auslief, erzählte der Priester.


"Vor knapp über siebzig Jahren fand hier die Große Krytanische Blockade statt.", sprach er mit angehobenem Kinn, während die aufkommende Meeresbrise ihm durchs kriegsversehrte Gesicht strich, die dicken Filzlocken leicht zum Wehen brachte. Er hob die Rechte, ließ gerüstete Finger über das Gewässer voraus deuten. Die Klaueninsel lag nicht weit entfernt.
"Die 'Balthasars Dreizack' war Prinz Edairs geweihtes Flaggschiff, als er die Stadt von See und Land her zugleich belagerte. Die mächtigste und größte Kriegsgaleone ihrer Ära. Sie wäre das ultimative Symbol krytanischen Triumphes gewesen, hätten die Auferstandenen nicht angegriffen und zur Verbündung mit Cobiah Marriner und seinen Abtrünnigen gezwungen. Der Altdrache ist gleich zweimal Grund dafür gewesen, warum Löwenstein nicht mehr von seinen rechtmäßigen Herrschern kontrolliert wird."


"Ich würd' Euch ja raten aufzupassen, wo Ihr Euer'n feinen Imperialismus heraushäng'n lasst, Priester. Wir in Löwenstein schau'n stolz auf den alten Coby zurück. Auf sein Vermächtnis an uns. Und Eure aktuelle Königin scheint Eure Eroberungsfantasien nicht grad' zu fördern." Das war Clydes Stimme. Der Mann stand mit locker verschränkten Armen ein Stück abseits neben dem schweigsam lauschenden Driftmark, und beobachtete den Kleriker Balthasars in neutraler Aufmerksamkeit.


Dronon beschloss, von dem Mann genauso wenig zu halten wie von den beiden anderen Suchern Oxuatls, auch wenn die Aussage nicht direkt respektlos intoniert war. Er antwortete ihm mit nicht mehr als einem barschen Aufbrummen und wandte sich auch nicht um. Sie standen im Bugkastell der Karacke, mit zusehends besserem Blick auf die Gramvolle Meerenge, welche sie heute durchsegeln würden.


Die 'Kreischender Albatros' war ein recht schmuckloser Dreimaster aus Löwenstein und trotz ihrem eher behäbigen Format recht flott auf den Wellen unterwegs. Straffe weiße Segel blähten sich im Wind, als sie an Fahrt aufnahmen.
Das Schiff hatte nebst Einigem an Fracht für diverse Stützpunkte im tropischen Süden noch genügend Platz für Passagiere samt Lastentieren unter Deck gehabt. Aber neben dem Priester selbst, Driftmark und den Lakaien des Hylek waren nur zwei asurische Kru-Arbeiter, die in irgendeinem Labor im Funkenschwärmer-Sumpf tätig waren, sowie ein eigenartiger, tätowierter Elonier mit einem lächerlichen schwarzen Federkragen zugestiegen.


"Wir werden auch an Port Noble vorbei segeln, wie ich hörte.", griff der Priester den Faden wieder auf, während die Gischt am Bug des Schiffes herauf spritzte. Um zu verdeutlichen, mit wem er sprach, drehte er das Kinn zumindest andeutungsweise nach rechts. "Dem Militärhafen, von dem aus Edairs Flotte segelte."


"Ihr meint wohl eher das Covington-Fort, das auf den Ruinen gebaut wurde.", antwortete Clyde. Ganz wie vorhergesehen. "Auch auf der Lachmöw‘n-Insel hat die Freiheit gewonn’n."


Der Kriegerpriester ließ den Mann das winzige, wenn auch freudlose Aufschmunzeln nicht sehen, welches er sich mit unverwandtem Fokus auf die See voraus genehmigte. Genauso wenig wie das erbitterte Härten seiner Züge, das sich seiner fast gleichzeitig ermächtigte. "Taidha Covington.", sinnierte er knapp. "Berüchtigte Seeräuberin, deren Piraten keine Autorität achteten und auch die freien Bürger Löwensteins überfielen."


"Aye. Dafür hat'se bezahlt, die alte Hydra-Königin. Die Löwengarde kontrolliert jetz' das Fort."


"In der Tat.. die Mühlen der Eroberung haben ihren Weg gefunden, nicht wahr? Nur ihrem göttlichen Meister wird vergessen zu huldigen."


"Die Nebelkrieger ehren doch Balthasar, ich hab' davon gehört, dass Ihr sie fördert. Und es geht nicht um Eroberung, sondern um den Schutz der Freiheit. Das is' der große Unterschied."


"Was das ist, ist großer Unfug.", grollte Dronon, der sich endlich nach rechts gewandt umdrehte. Driftmark, wie immer, stand nur daneben und lauschte den beiden Männern, ohne sich einzumischen. Der Zaishen war ein zumeist unkomplizierter Mann, trotz seines kleinadligen Blutes und seiner bisweilen vorlauten Zunge. Man gab ihm ein Schwert in die Hand, Nervenkitzel und spannende Missionen in Aussicht, und man brauchte sich keine weiteren Sorgen um ihn zu machen.
Des Priesters Blick aber galt Clyde, welcher ihm inzwischen skeptisch und ernst aus seinen Schweinsäuglein entgegen blickte. "Ihr jungen Leute mit Eurer Freiheit.", fuhr Dronon fort, auch wenn Clyde höchstens fünfzehn Jahre weniger zählte als er selbst. "Freiheit ist ein poliertes Hirngespinst. Diese Welt dreht sich um Stärke, Dominanz und Eroberung. Ändern wird sich das nie, und das ist gut so. Je schneller wir diesen Umstand erkennen, desto eher sind wir zu angemessener Härte fähig, um zu verteidigen und auszuweiten, was unser ist. Dann zählt am Meisten, ob wir die Glorie unseres eigenen Volkes an oberste Stelle setzen – oder ob wir uns entfremden."


"Wenn Ihr meint, Priester.", entgegnete der Antiquitätenjäger mit sachtem Kopfschütteln, das merklich ausdrücken sollte, dass er sich davon nicht beeinflussen lassen wollte. Aber der Kriegshetzer konnte an dem Ärger in Clydes Augen genau ablesen, dass er dessen oberflächliche Moral zu schwächen vermocht hatte.


Als die Stiefel des braungebrannten Kerles ihn die Stufen des Bugkastells herab zu seinen zwei Kollegen trugen, nickte der zurück bleibende Dronon in knapper Aufforderung gen Driftmark. "Auf Euren Posten. Und seht unter Deck nach dem Ochsen."


Erst nachdem auch sein Mitstreiter sich entfernt hatte, ließ er den eignen Blick weiter über das Schiff schweifen. Die Seemänner hatten die Ruder längst eingeholt und sich ihren Aufgaben an Bord gewidmet. Rufe im Fachjargon schallten durch die Takelage. Nicht ganz das, was er sich erhofft hatte, aber mit der krytanischen Marine gegen Piratenpack zu segeln, war auch nicht Sinn und Zweck dieser Mission gewesen.
Dennoch, er fühlte sich sehr standfest an Bord, im sichtlichen Gegensatz zu Driftmark, dessen Schritte über die Planken steifer wirkten, als man es von dem athletischen Zaishen gewohnt war. Bei dem Priester Balthasars aber konnte auch die schwere Plattenrüstung das istanische Blut in den Adern nicht gänzlich verdrängen.


Er fand sich in kurzem Blickkontakt mit dem fremden Elonier wieder, als er feststellte, dass der Mann ihn von der Schiffsmitte aus, wo er den Seebären zur Hand ging, beobachtete. Eine kurze Musterung auf Distanz verriet viel über die Gestalt, und warf genauso viele Fragen auf.
Ein Zeitgenosse, wie er wahrlich nur aus dem Löwensteiner Chaos stammen konnte, mit den roten, dämonischen Tätowierungen im Gesicht und der extravaganten dunklen Kleidung voller schwarzer Federn. Doch der Kerl hatte nicht mehr bei sich gehabt als einen halb gefüllten Jutesack, und das auf Reise in ein Gebiet, das wenig mehr zu bieten hatte als primitive Eingeborene, Soldaten und die Reste untoter Heerscharen.
Als der Kleriker kritisch die Brauen zusammen zog, brach der Tätowierte den Blickkontakt sofort ab und widmete sich erneut der Mithilfe.


Dronon drehte sich wieder herum und stemmte die Panzerhandschuhe auf die Reling, während er voraus aufs Meer starrte.


"Wer weder zögert noch zurückweicht, wird belohnt werden."


[color=#000000]- Schriften des Balthasar, 48 V.E.

Kommentare 2

  • Dankeschön! :3

  • Das du mit großartigen, schriftstellerischen Talent gesegnet bist, weiß hier indessen vermutlich jeder, aber ich nutze diesen Kommentar dahingehend es nochmal persönlich zu unterstreichen.